Nostalgie

    Wie die Politik ein Gefühl instrumentalisiert

    Ein Esszimmer mit Kaffee-Service im 70er-Jahre-Stil
    Durch nostalgische Rhetorik können diskriminierende Botschaften plötzlich als salonfähig empfunden werden, sagen Forscher. © IMAGO / biky
    Erinnerungen an frühere Zeiten lassen uns gut fühlen. Diese nostalgischen Gefühle machen sich Parteien zunutze. Sie verknüpfen sie mit ihren politischen Botschaften. Diese wiederum werden dann positiver aufgenommen. Das birgt Gefahren.
    Mit Nostalgie verbinden wir meist Positives: Erinnerungen an die Kindheit, rauschende Partys in unserer Jugend, die erste große Liebe. Seit vielen Jahren hat Nostalgie Hochkonjunktur und ist in allen Bereichen der Gesellschaft zu finden, zum Beispiel in Musik, Serien, Videospielen, Lebensmittelindustrie und Werbung. Wissenschaftler sagen, in den vergangenen Jahren habe es sogar eine Radikalisierung nostalgischer Einstellungen gegeben. Das macht sich die Politik zunutze.

    Nostalgie als Trost in unsicheren Zeiten

    Für den Neurowissenschaftler und Gesundheitsforscher Tobias Esch von der Universität Witten/Herdecke ist Nostalgie „eine positive Erinnerung an eine Erfahrung aus der Vergangenheit, die wir uns gemerkt haben und die uns dieses Positive wieder erwarten lässt“. Die Erinnerung daran bietet uns also etwas, an dem wir uns in schlechten Zeiten festhalten können. Denn Menschen suchen vor allem dann Trost in nostalgischen Erinnerungen, wenn ihre heile Welt bedroht scheint.
    Der Psychologe Clay Routledge forscht am Archbridge Institute in Washington D.C. Er hat Hinweise darauf gefunden, dass die Menschen auf individueller Ebene nostalgischer werden, wenn sie gerade viele Umbrüche in ihrem Leben durchmachen. Das würde auch bedeuten, dass wir in Zeiten starker sozialer und kultureller Veränderungen vermehrt Nostalgie empfinden. Überall dort, wo die gesellschaftliche Ordnung aus den Fugen gerät, haben nostalgische Erinnerungen Konjunktur. 
    Wenn die eigene Heimat bedroht ist, durch Fluchtbewegungen, Krieg oder die Energiekrise, dann sei es geradezu biologisch opportun, dass wir uns an dieses Gefühl des Beheimatetseins erinnern, sagt der Neurowissenschaftler Esch. Laut ihm haben wir nostalgische Rituale, um uns Verlusten zuwenden und sie aushalten zu können. In von Krisen geschüttelten Ländern könnte also eher eine kollektive Nostalgie herrschen. Davon geht zumindest der Kölner Medienpsychologe Tim Wulf aus. Auf diese kollektive Nostalgie kann man dann auch wieder abzielen - das heißt: Sie auf politischer Ebene bewusst adressieren.
    Unsere Gegenwart bietet vermeintlich kaum mehr Stabilität. Deswegen habe Nostalgie Konjunktur, sagt der Literaturwissenschaftler Stephan Pabst. Denn fast keinen Bereich des Lebens sei nicht von Wandel betroffen.

    Beispiele für die politische Instrumentalisierung von Nostalgie

    Politiker nutzen nostalgische Rhetorik, um Wählerstimmen zu gewinnen. So zum Beispiel im Wahlkampf von Ex-Präsident Donald Trump. Der Slogan „Make America Great Again“ beziehe sich implizit auf eine bessere Vergangenheit, die wiederhergestellt werden solle, sagt der Kölner Medienpsychologe Tim Wulf

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    Solche Slogans wirken. Denn: In den USA haben einige gesellschaftliche Gruppen in den vergangenen Jahren Abstiegserfahrungen gemacht. Dies wurde für politischen Zwecke genutzt, indem an eine vermeintlich bessere Zeit erinnert und nostalgische Gefühle hervorgerufen wurden.
    Ähnliches sei vor dem Brexit-Votum in Großbritannien geschehen, so Wulf. Dort haben Kampagnen die ehemalige Seemacht Großbritannien glorifiziert. Deren Stärken - so machten Politiker Glauben - könnte man mit einem EU-Austritt zurückgewinnen.
    Anzeichen für diese Instrumentalisierung von Nostalgie gibt es auch in Deutschland. Pabst nennt das Entstehen der AfD eine „D-Mark-nostalgische Gründung“. 
    Viele kleine Buttons mit Bildern der Deutschen Mark und dem AfD-Logo als Werbemittel.
    Deutsche-Mark-Buttons als AfD-Werbemittel auf dem AfD-Bundesparteitag 2018 in Augsburg.© picture alliance / Sven Simon / Oryk Haist
    Die Grünen hätten während ihres Parteitages 2021 inmitten der Pandemie Nostalgie ästhetisch inszeniert: mit einer Art Wohnzimmer im Stil der 70er-Jahre.
    Robert Habeck, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, und Annalena Baerbock, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, unterhalten sich beim digitalen Bundesparteitag auf einer Bühne, die wie ein Wohnzimmer dekoriert ist.
    Die Bundesvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen Annalena Baerbock und Robert Habeck beim digitalen Bundesparteitag der Grünen 2021 im sogenannten "Wohnzimmer". © picture alliance / dpa / Kay Nietfeld
    Medienpsychologe Tim Wulf und sein Team haben sich 2019 die Thüringer Wahlkampagne der AfD näher angeschaut. Die AfD nutzte damals die Slogans „Wende 2.0“ und „Vollende die Wende“ und setzte damit auf Nostalgie. Die Partei hätte versucht, „Menschen davon zu überzeugen, dass sie die Wende, also die deutsche Einheit, besser gestalten könnte als die aktuell gewählten Parteien", sagt Wulf. 

    Warum die politische Instrumentalisierung von Nostalgie gefährlich ist

    Auf den ersten Blick mag es harmlos erscheinen, wenn PolitikerInnen an gute alte Zeiten anknüpfen wollen. Doch Tim Wulf und sein Team haben in einer empirischen Studie festgestellt, dass sich Menschen von nostalgischen Botschaften beeinflussen - quasi einlullen - lassen.
    In dem Experiment haben Probandinnen und Probanden einen Auszug aus einer Wahlrede erhalten. Einmal mit populistischer Rhetorik, die behauptete, dass heute überall Kriminalitätskloaken seien und nichts mehr sicher sei. In einer anderen, nostalgischen, Version wurden rhetorische Mittel eingebaut, die implizierten, dass es früher anders war, dass es früher sicherer gewesen sei und man beispielsweise die Kinder nicht immer habe zur Schule fahren müssen. Dieses Framing führte dazu, dass diskriminierende Botschaften plötzlich als salonfähig empfunden wurden. 
    Wulf spricht von einem „Sugar Coating Effect“, also Zuckergusseffekt. Er erklärt es so: Obwohl auch in dem zweiten Text von „Kriminalitätskloaken“, also einem sehr negativen Wort, die Rede war, sei diese Aussage nicht ganz so schlecht bewertet worden, wie in dem rein populistischen Text. Das heißt, die nostalgische Rhetorik macht die populistischen Aussagen für den potenziellen Wähler etwas schmackhafter.

    Wie sich die politische Instrumentalisierung durchschauen lässt

    Damit liegt es also an den Wählenden, solche Strategien zu durchschauen. Das sei gar nicht so einfach, räumt Clay Routledge ein. Denn wir alle sind anfällig, uns von nostalgischen Botschaften verführen zu lassen. Doch wenn unsere Ängste adressiert werden, mit dem Ziel, das Gefühl zu erzeugen, dass früher alles besser war, dann sollten unsere Alarmglocken angehen.
    Wir sollten uns laut Routledge fragen: „War früher wirklich alles besser?“, „Besser für wen?“ und „Was fehlt in diesem Bild von der Vergangenheit?“. Wir Menschen sind zwar empfänglich für solche Geschichten. „Aber meistens sagen wir eben doch, dass früher nicht alles besser war“, so Routledge, „sondern nur bestimmte Dinge“. So wollen wir die Errungenschaften der Moderne nicht abschaffen, sondern sehnen uns nur nach bestimmten Dingen zurück: zum Beispiel danach, dass Familien früher vielleicht mehr Zeit miteinander verbracht haben.
    mfied, ck