Nathan H. Lents: Diversität

Evolution setzt auf Vielfalt, nicht auf Schubladen

Cover des Buches "Diversität" von Nathan Lents
© DuMont-Verlag

Nathan H. Lents

Übersetzt von Sebastian Vogel

Diversität: Der biologische Sinn hinter der Vielfalt von Sex, Gender und GeschlechtDumont, Köln 2025

448 Seiten

25,00 Euro

Von Michael Lange |
Dass es in der Natur mehr gibt als Mutter, Vater, Kinder wurde von den Fachleuten lange Zeit bewusst übersehen. Der Biologe Nathan H. Lents füllt diese Wissenslücke – nicht mit Schlagworten und Ideologie, sondern mit Wissenschaft.
Begriffe wie Diversität, Gender oder sexuelle Identität wurden in den letzten Jahren zum gesellschaftlichen Streitthema. Dabei wird die Natur von verschiedenen Seiten für sich in Anspruch genommen. Aber was ist natürlich? Wer sich in der Tierwelt umschaut, findet jede Menge Diversität. Es gibt fast nichts, was es nicht gibt: Zwei Geschlechter in einem Lebewesen, saisonale und dauerhafte Monogamie, kooperative Dreiergemeinschaften, ungebremste Promiskuität, mehrere Geschlechter nebeneinander und allerlei Zwischenformen.

Nemos Papa wird Mama

Ein beeindruckendes Beispiel präsentiert der Biologe Nathan H. Lents gleich zu Beginn seines Buches: Die sympathischen Clownfische, bekannt aus dem Animationsfilm „Findet Nemo“. Die im Kino dargestellte Clownfisch-Kleinfamilie aus Vater, Mutter, Nemo existiert in der Natur nicht. Wenn Mama ums Leben kommt, wird Papa zur Mama. Genauer gesagt: Das Männchen Nummer eins in einer Clownfisch-Gruppe verwandelt sich in ein Weibchen und wird seinerseits durch Männchen Nummer zwei ersetzt. Denn jedem Weibchen folgen mehrere Männchen, von denen nur eines sein Sexualpartner ist. Die anderen sind dem Weibchen stets zu Diensten und in Bereitschaft, falls sie doch als Vater gebraucht werden.
Mit teils kuriosen Beispielen demonstriert der Autor die Vielfalt biologischer Sexualität. Unzählige Spielformen von Sex und Gender haben sich in 500 Millionen Jahren sexueller Evolution entwickelt. Das gilt auch für unsere nächsten Verwandten. Anders als bei Vögeln ist Monogamie bei Säugetieren, insbesondere bei Menschenaffen eine seltene Ausnahme. Männliche Schimpansen kämpfen aggressiv gegeneinander, um so viele Weibchen wie möglich zu begatten. Bei Gorillas herrschen große Alphamännchen souverän über eine Art Harem, in dem andere ausgewachsene Männchen nichts verloren haben. Und bei den Bonobos gehört Sex mit verschiedenen Geschlechtern zum Alltag.

Von Natur aus flexibel

Aus Beobachtungen und Studien schließt Nathan H. Lents: Die Evolution braucht Diversität. Das gilt auch innerhalb der Arten. Nur, wenn eine Spezies Individuen mit unterschiedlichen Eigenschaften, Strategien und Vorlieben hervorbringt, kann sie flexibel auf neue Herausforderungen reagieren. Auch bei den menschlichen Geschlechtern weiblich und männlich experimentiert die Natur mit Zwischenformen.
Männer haben immer auch weibliche und Frauen männliche Eigenschaften. Und bei der Partnersuche haben sich individuelle Vorlieben über ein weites Spektrum entwickelt. Das hilft bei der Paarbildung: Würden alle Frauen den gleichen Idealtyp bevorzugen und ebenso die Männer, gäbe es viel Streit und wenige Paare. Die Menschheit wäre längst untergegangen. Und so kommt Nathan H. Lents zu dem Schluss: Evolution setzt auf Vielfalt, nicht auf Schubladen.  
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