Narzissmus

Spieglein, Spieglein … Bin ich schon narzisstisch?

Eine junge Frau mit kurzen braunen Haaren betrachtet ihr Spiegelbild.
Ein gewisses Maß an Narzissmus gilt als gesund: Es stärkt das Selbstwertgefühl und hilft, Verantwortung zu übernehmen. © imago / imagebroker / Titova Ilona
Ob Donald Trump oder perfekt inszenierte Instagram-Profile – es scheint, als gäbe es immer mehr Narzissten. Was unterscheidet gesunden Selbstwert von einer echten Persönlichkeitsstörung? Und machen uns soziale Medien tatsächlich narzisstischer?
Der Begriff „Narzissmus“ fällt heute schnell – in sozialen Medien, in Beziehungen oder beim Gespräch am Küchentisch. US-Präsident Donald Trump gilt oft als Paradebeispiel, auch Influencerinnen und Influencer werden als narzisstisch bezeichnet. Doch Narzissmus ist nicht per se etwas Negatives. Selbst Gandhi oder Mutter Teresa sollen narzisstische Züge gehabt haben. Was bedeutet Narzissmus also wirklich? Ab wann spricht man von einer Persönlichkeitsstörung und machen uns soziale Medien tatsächlich narzisstischer?

Was ist Narzissmus und wo liegt die Grenze zur Persönlichkeitsstörung?

„Narzissmus ist im Grunde genommen eine Extremvariante vom Streben nach Selbstwert“, erklärt der Psychiater Claas-Hinrich Lammers. „Das tun wir alle. Wir allen wollen unseren Selbstwert erhöhen.“ Im normalen Spektrum zeige sich Narzissmus zum Beispiel darin, dass Menschen gerne im Mittelpunkt stehen, sich anderen überlegen fühlen und erfolgreich sein wollen. „Narzissmus ist bis zu einem gewissen Grad eine Persönlichkeitseigenschaft von gesunden Menschen“, sagt Lammers.
Der Psychiater vergleicht das mit dem Blutdruck: Jeder Mensch habe einen. „Der eine hat ein bisschen mehr, der andere weniger.“ Ein gewisses Maß an Narzissmus sei nötig, etwa um sich behaupten oder Verantwortung übernehmen zu können. „Problematisch sei es nur, wenn der Narzissmus zu stark oder zu schwach ausgeprägt sei, so Lammers. Zu viel schadet dem Umfeld, zu wenig führt oft zu Unsicherheit und Selbstzweifeln.

Ab wann Narzissmus krankhaft wird

Narzisstisches Verhalten kann laut Lammers problematisch sein, ohne dass es sich bereits um eine psychische Störung handelt. Die Betreffenden seien dann oft stark konkurrenzorientiert, sehr kompetitiv, hätten Schwierigkeiten zu ertragen, wenn andere besser sind als sie selbst und würden schnell andere Menschen abwerten. „Damit können narzisstische Personen leider Gottes noch ganz erfolgreich sein, aber die Umgebung leidet“, so Lammers.
Kritisch werde es, wenn Betroffene ihr Verhalten nicht mehr reflektieren oder regulieren können. Dann verprellen sie zunehmend ihre Umwelt, bekommen negative Reaktionen, Probleme am Arbeitsplatz, verlieren vielleicht ihren Job oder Beziehungen zerbrechen, weiß Lammers. „Wenn der Leidensdruck vorhanden ist (...), dann spricht man von einer Persönlichkeitsstörung, vorher nicht“, sagt der Psychiater.

Warum Trump keine narzisstische Persönlichkeitsstörung hat

Menschen dürfe man daher auch nicht einfach eine Störung unterstellen, nur weil sie narzisstisch wirken. So erfüllt laut Lammers US-Präsident Donald Trump zwar alle Merkmalen des Narzissmus. Er zeige aber keinen Leidensdruck und habe daher auch keine Persönlichkeitsstörung.

Wie wird man zum Narzissten?

Narzisstische Persönlichkeitsstörungen sind deutlich seltener, als häufig angenommen wird. Je nach Studie treten sie in Deutschland bei etwa 0,4 bis 5 Prozent der Bevölkerung auf.
Lange galten Erziehungsmuster als zentrale Ursache für narzisstische Persönlichkeitszüge. Es gibt dazu zwei klassische Theorien: Entweder werden Kinder durch übermäßige Bewunderung und fehlende Frustrationserfahrungen in ihrer Selbstwahrnehmung verzerrt oder sie entwickeln ein übersteigertes Selbstwertgefühl als Schutzmechanismus, wenn Liebe nur an Leistung geknüpft ist.
Inzwischen sehen Forschende diesen Einfluss deutlich kritischer. Studien deuten darauf hin, dass genetische Faktoren eine weit größere Rolle spielen als früher angenommen. Eine ausgeprägte Persönlichkeitsstörung kann laut Wissenschaftlern bis zu 70 Prozent genetisch bedingt sein.

Was ist der Unterschied zwischen grandiosem und vulnerablem Narzissmus?

Die Psychologie unterscheidet heute zwei zentrale Formen des Narzissmus: den grandiosen und den vulnerablen (verletzlichen) Typ. Während grandiose Narzissten meist arrogant, extrovertiert und gebieterisch auftreten, zeigen sich vulnerable Narzissten eher unsicher, introvertiert und zurückhaltend.
Der grandiose Narzisst entspricht dabei dem klassischen Bild von Narzissmus. Studien zeigen, dass dieser Typus häufiger bei Männern vorkommt. Möglicherweise hat das mit Sozialisierung zu tun.
Weniger bekannt ist hingegen der vulnerable Narzissmus. Betroffene wirken zwar zurückhaltend, angepasst oder sogar depressiv. Doch hinter der Fassade verbergen sich hohe Ansprüche und der Wunsch nach Bewunderung. Die Psychologin Bärbel Wardetzki beschreibt diese Dynamik seit den 1990er-Jahren als besonders typisch für viele Frauen: Nach außen oftmals erfolgreich, innerlich auf der Suche nach Anerkennung. In Beziehungen passen sie sich oft an. Sie machen sich kleiner.

Hat Narzissmus in den vergangenen Jahren zugenommen?

Ob Donald Trump, Elon Musk oder die Selbstdarstellung in den sozialen Medien – man könnte meinen, Narzissten gäbe es heute häufiger denn je. Doch laut dem Psychiater Claas-Hinrich Lammers gibt es keine Hinweise darauf, dass narzisstische Eigenschaften in den vergangenen 30 Jahren zugenommen haben. Der Eindruck entstehe eher, weil narzisstische Persönlichkeiten heute stärker sichtbar sind, gerade durch ihre Medienpräsenz. Es seien aber nur einige wenige und nicht der Großteil der Menschen

Die Rolle der sozialen Medien

Menschen, die zu Narzissmus neigen, würden soziale Medien viel häufiger nutzen und werden dadurch auch wesentlich sichtbarer, sagt Claas-Hinrich Lammers.
Forschende aus Polen bestätigen diesen Zusammenhang: In einer Langzeitstudie mit über 300 Teilnehmenden zeigte sich, dass Menschen mit narzisstischen Persönlichkeitsanteilen eher zu einer suchtartigen Nutzung sozialer Netzwerke neigen.
„Es kann gut sein, dass ich als Mensch eigentlich wenig narzisstisch bin. Aber in solchen öffentlichen Situationen (wie in sozialen Medien, Anm. der Red.) auf einmal ganz anders erscheine, weil es die Umgebung quasi fordert oder das halt sehr belohnt ist“, sagt Lammers. Dieser situative Narzissmus sei nicht gleichzusetzen mit einer narzisstischen Persönlichkeitseigenschaft.

Warum scheinen Narzissten oft so erfolgreich zu sein?

Menschen mit narzisstischen Zügen können auf den ersten Blick erfolgreich wirken. Sie sprechen häufig über sich selbst, betonen ihre Erfolge oder zeigen, wie viel Geld sie haben. Viele Menschen empfinden das als faszinierend und anziehend. „Die sind irgendwie interessant, die sind bedeutsam, die haben irgendwie Macht. Das sind Persönlichkeiten, die man erst mal anziehend erlebt“, sagt Lammers.
Doch dieser Effekt ist oft nicht von Dauer. Gerade in engen Beziehungen zeige sich das deutlich. Lammers: „Ja, am Anfang ist der brillant. Aber wenn sich rausstellt, wie wenig Mitgefühl er hat, wie wenig er auch bereit ist, zu teilen oder wie wenig sie – es gibt auch weibliche Narzissten – und wie wenig (...) sie in der Lage ist, Liebe zu geben. Dann bröckelt auf einmal diese Faszination innerhalb kurzer Zeit."

Narzissmus im Beruf

Dass viele Menschen in Führungspositionen narzisstische Züge zeigen, ist kein Zufall. In bestimmten beruflichen Kontexten kann Narzissmus durchaus von Vorteil sein. Wer an der Spitze eines Unternehmens steht, ist ständig mit Druck und komplexen Entscheidungen konfrontiert, oft unter großer Unsicherheit. In solchen Situationen können übersteigertes Selbstvertrauen, Zielstrebigkeit und emotionale Robustheit hilfreich sein.
Problematisch wird es allerdings, wenn Führungskräfte unter einer ausgeprägten narzisstischen Persönlichkeitsstörung leiden, dann kann das Arbeitsumfeld stark darunter leiden.

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