Einsamkeit
Die Einsamkeit in Deutschland hat zugenommen und auch Menschen mit vielen sozialen Kontakten können sich einsam fühlen © imago images / fStop Images / Malte Mueller
Strategien gegen ein quälendes Gefühl

Jeder vierte Mensch in Deutschland fühlt sich einsam. Betroffen sind sowohl Ältere als auch verstärkt junge Erwachsene. Was hilft gegen die Vereinsamung?
Einsamkeit ist ein Thema, das immer mehr Menschen betrifft, und die Zahl der Betroffenen ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Besonders auffällig war die Zunahme während der Corona-Pandemie, die durch soziale Isolation und Einschränkungen das Bedürfnis nach Nähe und Verbindung verstärkte. Einsamkeit kann viele Gründe habe. Die gute Nachricht: Oft kann Betroffenen geholfen werden.
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Wer ist von Einsamkeit betroffen?
Vereinsamung ist schon lange kein Randphänomen mehr. Im Gegenteil: Laut einer Studie der Techniker Krankenkasse kennt mehr als jeder Zweite dieses Gefühl – und betroffen sind nicht nur ältere Menschen, sondern zunehmend auch jüngere.
Das zeigt auch eine Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung vom Dezember 2024. Demnach fühlen sich 51 Prozent der jungen Erwachsenen (18 bis 35 Jahre) zumindest moderat einsam, 12 Prozent fühlen sich stark einsam. Bei den älteren Erwachsenen (36 bis 69 Jahre) liegt der Anteil der Menschen, die sich stark einsam fühlen, ebenfalls bei 12 Prozent. Allerdings leiden in dieser Altersgruppe insgesamt weniger Menschen an Einsamkeit (37 Prozent).
Nach der Auswertung der Bertelsmann-Stiftung hält der seit der Covid-19-Pandemie bestehende Trend hoher Einsamkeit junger Menschen in Deutschland an und hat zudem auch in der gesamten EU Bestand.
Ein weiterer Befund: Junge Frauen sind häufiger von Einsamkeit betroffen als junge Männer. Das zeigt eine Umfrage der Stiftung aus dem Juni 2024.
Hohes Lebensalter und Umbrüchen als Risiken für Einsamkeit
Dass das hohe Lebensalter ein Risiko für Einsamkeit mit sich bringt, sei schon lange bekannt, sagt der Psychiater Mazda Adli. Mobilitäts- und gesundheitliche Einschränkungen oder dass die Partnerin bzw. der Partner versterben und man alleine zurückbleibt, nennt er als Gründe.
Menschen im jüngeren Erwachsenenalter seien hingegen deshalb gefährdet, weil diese Lebensphase häufig von Umbrüchen geprägt sei, erläutert Adli. Solche Umbrüche können etwa ein Wohnortwechsel, der Beginn eines Studiums oder einer Ausbildung sein.
Neben Alter und Geschlecht können bestimmte Charaktereigenschaften und weitere demografische Merkmale das Risiko für Einsamkeit erhöhen, weiß die Psychologie-Professorin Maike Luhmann von der Ruhr-Universität Bochum. Menschen, die introvertiert oder emotional instabil sind, seien häufiger von Einsamkeit betroffen. Auch Menschen mit Migrationshintergrund, Arbeitslose oder Menschen mit geringem Einkommen litten tendenziell öfter unter Einsamkeit.
Wie entsteht Einsamkeit?
Der Psychiater Mazda Adli beschreibt Einsamkeit als eine Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Einsamkeit entstehe dann, wenn die gewünschte Intensität sozialer Einbindung in die Gemeinschaft nicht mit der realen übereinstimme. Gemeint sei das Gefühl, dass es an Menschen fehle, die einem helfen, einen mögen oder mit denen man schlicht Zeit verbringen könne.
Adli betont, dass Einsamkeit eine grundlegende menschliche Erfahrung sei, die jeder kenne. Die Fähigkeit, Einsamkeit zu empfinden, sei aus evolutionsbiologischer Sicht sogar sinnvoll eingerichtet: Sie wirke wie ein Alarmsignal oder eine Art sozialer Schmerz, der anzeige, dass das Maß an Kooperation und Teilhabe unter ein kritisches Niveau gefallen sei. Für den Menschen, dessen Wohlergehen auch davon anhänge, dass er in einer Gemeinschaft eingebunden sei, könne das zu Überlebensnachteilen führen.
Fast alle Befragten (94 Prozent) glauben laut dem Deutschland-Barometer 2023, dass Einsamkeit Depressionen auslöst. So einfach ist es aber nicht. Vielmehr sei Einsamkeit eher ein Symptom von Depression und weniger deren Ursache, sagt Ulrich Hegerl von der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, die die repräsentative Umfrage für das Deutschland-Barometer Depression durchgeführt hat. Depressive Menschen ziehen sich dann häufig von ihren sozialen Kontakten zurück – und damit beginnt eine Negativspirale.
Diese Negativspirale kann aber auch ohne Depression in Gang kommen, erklärt die Psychologin Luhmann. Wer sich einsam fühle, versuche häufig erst mal, wieder Kontakte zu knüpfen. Wenn das aber nicht gelinge, dann führe das oft zu Gefühlen der Bedrohung. Betroffene Menschen interpretierten dann die Interaktionen mit anderen Menschen eher negativ, sie befürchteten, dass andere ihnen nichts Gutes wollen und mieden soziale Interaktion zunehmend. „Und das kann natürlich dazu führen, dass wir so richtig reingeraten in diese Einsamkeitsschleife“, sagt Luhmann.
Lebensumbrüche, Todesfälle, Trennungen
Begünstigt wird Vereinsamung von „Einsamkeitsrisiken“, so die Psychologin Susanne Bücker. Aus der Forschung sind einige Lebensumstände bekannt, die zu Vereinsamung führen können.
Das können Umbrüche, Todesfälle und Trennungen, aber auch ein Umzug in eine neue Stadt oder die Geburt des ersten Kindes sein. Die eigene Rolle in den sozialen Gefügen ändere sich dadurch, betont Bücker. Auch Ausgrenzungserfahrungen durch Diskriminierung oder Mobbing könnten Auslöser für Einsamkeitsgefühle sein.
Was ist der Unterschied zwischen Einsamkeit und Alleinsein?
Aber was ist mit Menschen, die gerne alleine sind? Diese Menschen gibt es - doch sie haben kein Einsamkeitsgefühl. Die Wahrnehmung über den Mangel an sozialen Kontakten sei sehr „subjektiv“, sagt die Psychologin Susanne Bücker.
Allein zu sein bedeute nicht, einsam zu sein. Es gebe sehr viele Menschen, die das Alleinsein genössen. Im Gegenzug könne man sich aber auch sehr einsam fühlen, obwohl man eine Paarbeziehung und Freunde habe, erklärt Bücker.
Auch Georg Juckel, ärztlicher Direktor des LWL-Universitätsklinikums der Ruhr-Universität, weist darauf hin, dass der Grad an Einsamkeit variiert: „Es kommt auf die Qualität an, inwiefern der Einzelne sich einsam und in dem Sinne auch ganz allein und verloren fühlt.“
Alleinsein lässt sich üben
Genau an diesem Punkt setzt auch Psychotherapeut Bastian Willenborg an. In seiner Praxis erlebt er oft, dass es Menschen schwerfällt, allein zu sein. Für viele fühle sich Alleinsein wie Einsamkeit an. "Viele haben in ihrer Kindheit gelernt, dass Alleinsein etwas Unsicheres ist", sagt er. "Wenn Bezugspersonen nicht da waren, konnte das Angst auslösen. Diese frühen Erfahrungen wirken bis ins Erwachsenenalter nach."
Dazu kommt: Wer nie lernt, mit sich allein klarzukommen, läuft Gefahr, sich über andere zu definieren. "Wenn ich nur in Beziehungen spüre, wer ich bin, mache ich mich abhängig", erklärt Willenborg. "Das kann Beziehungen eher instabil machen, weil man ständig Bestätigung sucht."
Doch Alleinsein lässt sich üben, so Willenborg. Kleine Schritte können dabei helfen:
- sich nicht überfordern und versuchen, erst mal eine Stunde allein zu sein
- nicht allein zu Hause hocken, sondern einen Spaziergang machen
- einen Spaziergang machen – ohne dabei Musik oder einen Podcast zu hören
- allein in den Urlaub fahren, zwischendurch jemanden besuchen und dann wieder ein, zwei Tage allein sein
Einsamkeit begünstigt körperliche Erkrankungen
Ein ernstes Problem der Vereinsamung ist es allerdings, dass sie sich nicht nur negativ auf die Psyche auswirkt, sondern auch Krankheiten wie Diabetes und Bluthochdruck begünstigt, so Juckel: „Es gibt Studien, die sagen, Einsamkeit ist so schlimm wie 20 Zigaretten am Tag zu rauchen.“
So haben laut dem Mediziner Menschen mit einer starken Einsamkeit eine niedrigere Lebenserwartung. Eine aktuelle Studie im Fachmagazin BMC Medicine bestätigt dies. Die Forschenden kamen zu dem Ergebnis, dass Vereinsamung und fehlende Besuche von Freunden oder Verwandten mit einem erhöhten Sterberisiko verbunden sind.
Was tun gegen Einsamkeit?
Ein Hindernis bei der Bekämpfung von Einsamkeit: Es sei noch immer „ein sehr stigmatisiertes und auch tabuisiertes Thema“, sagt die Psychologin Susanne Bücker. Studien zeigten, dass es Menschen schwerfalle, über Einsamkeitsgefühle zu sprechen.
Dabei sei Einsamkeit ja erst einmal nichts Schlimmes und ein ganz normales Gefühl. Das bedeute auch nicht automatisch, „dass man für immer einsam bleiben wird“, so Bücker. Das sieht auch die Psychologin Luhmann so. Es sei wichtig, die Negativspirale zu kennen, die zu Einsamkeit führe, und dann könne man „irgendwo in diesem Kreis ansetzen“, um die Situation zu verbessern.
Gegen Einsamkeit könnten beispielsweise der Ausbau von Schulsozialarbeit und Familienzentren helfen, sagt Bücker. So wisse man aus der Einsamkeitsforschung, dass Menschen, die sich schon früh einsam fühlen, ein erhöhtes Risiko haben, eine "chronische Einsamkeitsbiografie“ zu entwickeln. Auch die Unterstützung von Alleinerziehenden könne präventiv helfen. Oft falle es dieser Gruppe schwerer als anderen, zufriedenstellende soziale Beziehungen zu gestalten.
Deutschlandweit haben kommunale und soziale Einrichtungen auf die hohen Zahlen vereinsamter Menschen reagiert. So gibt es für junge und ältere Menschen zahlreiche Internetangebote oder Telefonhotlines wie die „Jugendnotmail“ und das „Silbernetz“ in Berlin, „Telefonieren gegen die Einsamkeit“ der Malteser in Deutschland oder die "Telefonseelsorge".
Um aus der Einsamkeit wieder herauszukommen, können auch Sport, Entspannungsverfahren wie autogenes Training, ein neues Hobby, eine Mitgliedschaft in einem Verein oder einer Initiative sowie der Austausch mit anderen Betroffenen helfen, raten Experten und Expertinnen. Die Aktivierung alter Kontakte könne ebenso hilfreich sein.
Aber auch Familienangehörige und Freunde können die Betroffenen unterstützen. So rät die deutsche Depressionshilfe, auf Menschen, die sich länger nicht gemeldet haben, ohne Scheu zugehen und Vorschläge für Unternehmungen zu machen.
jad, abu, jk, pto























