Vereinsamung

    Wege aus der Einsamkeit

    Senior woman imagining in park model released, Symbolfoto, FLLF00896
    Der Tod des Partners oder der Partnerin, eine Trennung oder auch Mobbing: Einsamkeit kann viele Gründe haben. © imago / Westend61 / FL
    Jede vierte Person in Deutschland fühlt sich sehr einsam. Sowohl junge Erwachsene als auch ältere Menschen leiden unter dem Mangel an sozialen Kontakten. Was hilft gegen die Vereinsamung?
    Die Zahl der Menschen, die von Einsamkeit betroffen sind, nimmt weltweit zu. Zugleich wächst aber auch die Zahl der Initiativen dagegen.
    So wurde im US-Bundesstaat New York die in Deutschland geborene Psychologin und Sexualtherapeutin Ruth Westheimer zur ersten Anti-Einsamkeitsbotschafterin ernannt, um der wachsenden „Einsamkeitsepidemie“ im Bundesstaat entgegenzuwirken, wie Gouverneurin Kathy Hochul mitteilte. Silvio Böhm besucht im Auftrag einer Wohnungsbaugenossenschaft in Erfurt Bewohner, die über Einsamkeit klagen.
    Großbritannien gründete schon 2018 als erstes Land der Welt ein Ministerium gegen Einsamkeit. Japan folgte im Jahr 2021.
    In Deutschland hat die Bundesregierung eine „Strategie gegen Einsamkeit“ auf den Weg gebracht. Es sei wichtig, „das Thema Einsamkeit aus der Tabuzone herauszuholen, insbesondere für die Betroffenen, und die gesamte Gesellschaft dafür zu sensibilisieren“, betont Familienministerin Lisa Paus.
    In Deutschland gibt es viele Betroffene, die kaum oder gar keine sozialen Kontakte haben und darunter leiden. Die gute Nachricht: Oft kann vereinsamten Personen geholfen werden.

    Wer ist von Einsamkeit betroffen?

    Vereinsamung ist schon lange kein Randphänomen mehr. Im Gegenteil. Jung und Alt, alle Geschlechter und jede gesellschaftliche Gruppe ist betroffen. Die Zahlen sind hoch.

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    Laut Deutschland-Barometer Depression 2023 fühlen sich 25 Prozent der Bundesbürger sehr einsam – unabhängig von der Zahl der tatsächlichen Sozialkontakte. Bei Menschen mit einer Depression ist die Zahl sogar mehr als doppelt so hoch. 53 Prozent von ihnen geben an, ein Gefühl großer Einsamkeit zu haben.
    Interessant an der Studie: Obwohl eine Mehrheit (40 Prozent) der älteren Menschen (60 bis 69 Jahre) weniger Sozialkontakte an einem Wochentag hat als jüngere Personen (22 Prozent, 18 bis 59 Jahre), fühlen sich Ältere seltener sehr einsam (21 Prozent versus 26 Prozent) als junge Menschen, die mehr regelmäßige soziale Kontakte haben.
    Gründe dafür sieht die Psychologin und Einsamkeitsforscherin Susanne Bücker von der Universität Witten/Herdecke unter anderem in der Identitätssuche und weniger zwischenmenschlichen Kontakten von jungen Menschen.

    Wie entsteht Einsamkeit?

    Fast alle Befragten (94 Prozent) glauben laut Deutschland-Barometer, Einsamkeit sei ein Auslöser der Depression. So einfach ist es aber nicht. Vielmehr sei Einsamkeit ein Symptom von Depression und weniger deren Ursache, sagt Ulrich Hegerl von der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, die die repräsentative Umfrage für das Deutschland-Barometer Depression durchgeführt hat.
    Krankheitsbedingt ziehen sich Menschen von ihren sozialen Kontakten zurück. Für Betroffene entsteht ein Teufelskreis, der nur schwer zu durchbrechen ist.
    Allerdings kann Einsamkeit auch psychisch und körperlich krank machen, sagt die Soziologin Lea Ellwardt: „Leute, die vielleicht anfänglich gesund sind, die sich langfristig einsam fühlen, können als Folge davon gesundheitliche Beeinträchtigungen haben."
    Begünstigt wird eine Entwicklung in die Vereinsamung zudem von „Einsamkeitsrisiken“, so Psychologin Susanne Bücker. Aus der Forschung sind vielfältige Ursachen für eine Vereinsamung bekannt.
    Diese können Lebensumbrüche, Todesfälle und Trennungen, aber auch ein Umzug in eine neue Stadt oder die Geburt des ersten Kindes sein. Die eigene Rolle in den sozialen Gefügen ändere sich dadurch. Auch Ausgrenzungserfahrungen durch Diskriminierung oder Mobbing könnten Auslöser für Einsamkeitsgefühle sein.

    Was ist der Unterschied zwischen Einsamkeit und Alleinsein?

    Aber was ist mit Menschen, die gern allein sind? Diese Menschen gibt es. Sie haben auch kein Einsamkeitsgefühl. Die Wahrnehmung über den Mangel an sozialen Kontakten sei sehr „subjektiv“, sagt Psychologin Susanne Bücker.
    Allein zu sein, bedeute nicht, einsam zu sein. Es gebe sehr viele Menschen, die das Alleinsein „genießen“. Im Gegenzug könne man sich sehr einsam fühlen, obwohl man eine Paarbeziehung und Freunde habe, erklärt Bücker.
    Auch Georg Juckel, Ärztlicher Direktor des LWL-Universitätsklinikums der Ruhr-Universität, weist darauf hin, dass der Grad an Einsamkeit "variiere": „Es kommt auf die Qualität an, inwiefern der Einzelne sich einsam und in dem Sinne auch ganz allein und verloren fühlt.“
    Ein ernstes Problem der Vereinsamung ist, dass sie sich nicht nur negativ auf die Psyche auswirkt, sondern auch Krankheiten wie Diabetes und Bluthochdruck begünstigt, so Juckel. „Es gibt Studien, die sagen, Einsamkeit ist so schlimm, wie 20 Zigaretten am Tag zu rauchen.“
    So haben laut dem Mediziner Menschen mit einer starken Einsamkeit eine niedrigere Lebenserwartung. Eine aktuelle Studie im Fachmagazin BMC Medicine bestätigt dies. So kamen die Forschenden zu dem Ergebnis, dass Vereinsamung, fehlende Besuche von Freunden oder Verwandten mit einem erhöhten Sterberisiko verbunden ist.

    Was hilft gegen Einsamkeit?

    Ein Hindernis bei der Bekämpfung von Einsamkeit: Es sei noch immer „ein sehr stigmatisiertes und auch tabuisiertes Thema“, sagt die Psychologin Susanne Bücker. Studien zeigten, dass es Menschen schwerfalle, über Einsamkeitsgefühle zu sprechen.
    Dabei sei Einsamkeit erst einmal nichts schlimmes und ein ganz normales Gefühl. Jeder Mensch erfahre diese negativen Emotionen irgendwann im Leben. Das bedeute aber nicht automatisch, „dass man für immer einsam bleiben wird“, so Bücker.
    Gegen Einsamkeit könnten der Ausbau von Schulsozialarbeit und Familienzentren helfen. So wisse man aus der Einsamkeitsforschung, so Bücker, dass Menschen, die sich schon früh einsam fühlen, ein erhöhtes Risiko haben, „eine chronische Einsamkeitsbiografie“ zu entwickeln.
    Auch die Unterstützung von Alleinerziehenden könne präventiv helfen. Oft falle es dieser Gruppe schwerer, eigene zufriedenstellenden soziale Beziehungen zu gestalten.
    Deutschlandweit haben kommunale und soziale Einrichtungen wiederum auf die hohen Zahlen vereinsamter Menschen längst reagiert. So gibt es für junge und ältere Menschen zahlreiche Internetangebote oder Telefonhotlines wie die „Jugendnotmail“ und das „Silbernetz“ in Berlin, „Telefonieren gegen die Einsamkeit“ der Malteser in Deutschland oder die "Telefonseelsorge".
    Um aus der Einsamkeit wieder herauszukommen, könne auch Sport, Entspannungsverfahren wie autogenes Training, ein neues Hobby, eine Mitgliedschaft in einem Verein oder einer Initiative sowie der Austausch mit anderen Betroffenen helfen, raten Experten und Expertinnen. Die Aktivierung alter Kontakte könne ebenso hilfreich sein.
    Aber auch Familienangehörige und Freunde können unterstützen. So rät die deutsche Depressionshilfe, auf Menschen, die sich länger nicht gemeldet haben, ohne Scheu zugehen und Vorschläge für Unternehmungen zu machen.

    Bundesregierung mit Strategie gegen Einsamkeit

    Ein Kompetenznetz gegen Einsamkeit, ein „Einsamkeitsbarometer“ und Aktionstage sowie barrierefreie Angebote: Die Bundesregierung will mit ihrer Ende 2023 beschlossenen „Strategie gegen Einsamkeit“ der Vereinsamung entgegenwirken. Sie setzt dabei vor allem auf die Mithilfe von Freiwilligen und Vereinen, weil dafür keine großen finanziellen Mittel breitgestellt werden.
    Aber: „Eine Bundesregierung kann keine Einsamkeit abschaffen“, betont Familienministerin Lisa Paus. Es sei aber wichtig, das Thema aus der Tabuzone zu holen. Das Vorhaben sei begrüßenswert, sagt Psychologin Susanne Bücker, doch das Problem könne nicht nur politisch gelöst werden.

    jad / abu