Mitfühlen mit anderen

Rezensiert von Andreas Rinke · 28.02.2010
Jeremy Rifkin versucht in seinem Buch aus Puzzlesteinen ein Bild der Zivilisation zusammenzusetzen, in der die Empathie, also das Mitfühlen mit anderen, einen immer größeren Einfluss gewinnt.
Jeremy Rifkin würde gerne die Welt retten – scheitert aber mit dem Versuch, eine neue globale Menschheitsgeschichte zu schreiben. Die These, dass die Menschen immer mitfühlender werden, klingt optimistisch, ist aber nicht stimmig.

Kleine Karos kennt Jeremy Rifkin nicht. Erst hat der amerikanische Publizist und Zukunftsforscher das Ende der Arbeit verkündet, dann Europa schon zu Bush-Zeiten im Systemvergleich mit den USA gepriesen. Und in seinem neuen Buch "Die empathische Zivilisation" wagt Rifkin den noch größeren Wurf - die Rettung der Welt und den Versuch, die gesamte Geschichte der Zivilisation zu erklären.

Dass ein solcher Ansatz selbst die Schreib-Maschinerie Rifkins überfordern würde, war absehbar. Immerhin gibt Rifkin dies auch offen zu. Gleich ein ganzes Team von Mitarbeitern hat zu diesem Buch beigetragen, einige haben dafür jahrelang recherchiert. Veröffentlicht wird es unter dem Namen des Erfolgsautoren, der sich langsam zu einer Art Damien Hirst des internationalen Literaturbetriebes entwickelt.

Nun ist es sicher wichtig, möglichst interdisziplinär zu arbeiten, wenn man neue, umfassende Zusammenhänge darstellen und aus der Enge der Fachexperten ausbrechen will. Aber in Rifkins Buch führen die vielfältigen Zuarbeiten von der Molekularbiologie bis zu den Theaterwissenschaften dazu, dass im Sammelsurium an Fakten oft die große rote Linie nicht mehr zu erkennen ist.

Falsch, meint der ambitionierte Rifkin. Seine Ausflüge in die Psychologie, die Ergebnisse der Verhaltensforschung bei Tieren, die Entwicklung der Technik oder das Herausbilden von Nationalstaaten dienten doch alle nur einem einzigen Zweck: Rifkin versucht aus Puzzlesteinen ein Bild der Zivilisation zusammenzusetzen, in der die Empathie, also das Mitfühlen mit anderen, einen immer größeren Einfluss gewinnt. Diese Empathie bringe ein wachsendes Bewusstsein der Menschen für die Existenz und die Leiden anderer Kreaturen, seien es Einzelne oder Gruppen.

"Die empathische Entwicklung geht Hand in Hand mit der Entwicklung des Ich-Bewusstsein und d mit den immer komplexeren gesellschaftlichen Strukturen, die unsere Reisestationen kennzeichnen."

Die für Rifkin vorläufig letzte Stufe der Entwicklung ist das "biosphärische Bewusstsein" – der Modebegriff vieler Klimaforscher soll dabei die wachsende Kenntnis beschreiben, dass global in der Natur wirklich alles mit allem zusammenhängt. Und dass deshalb alle auch auf alles achten sollen.

Keine Frage, viele Kapitel sind spannend zu lesen. Rifkin jagt durch Jahrhunderte und die Wissenschaften, um Belege für seine These zu finden, dass die dritte industrielle Revolution mit ihrer globalen Vernetzung der Menschheit die Entwicklung nur beschleunigt vorantreibt. Er beschreibt in vielen Punkten, wie sich der Blick der Menschen auf die Welt tatsächlich radikal verändert hat – unter anderem weil Transport- und Kommunikationstechniken die Räume zusammenschnurren lassen. Es gibt heute eine nie erreichte Gleichzeitigkeit in dieser Welt.

Aber Rifkin will nicht nur eine Entwicklung erklären, sondern gleichzeitig einen Ansatz liefern, wie die Welt gerettet werden kann. Seit Langem zieht er als Prediger durch die Lande, ist längst von einem Analysten zu einem Therapeuten und Motivationstrainer geworden. Ja, wir können die Welt noch retten, ruft er uns durch das Buch zu. Die Empathie liefere uns das Rüstzeug.

Doch gerettet werden kann nur, was überhaupt unterzugehen droht. Deshalb muss auch Rifkin manchmal apokalyptisch werden – was ihn erkennbar in einen Zielkonflikt führt. So beschreibt er über hunderte Seite die Entwicklung von immer mehr Mitgefühl in der Welt, um dann auf Seite 334 zum Schluss zu kommen, dass er eigentlich nur ein reines Wohlstandsphänomen in den Hochlohnländern beschrieben hat.

83 Prozent dieser Staaten hätten sich zwar tatsächlich zu "postmaterialistischen Kulturen" gewandelt, von denen er schwärmt. Aber 74 Prozent der ärmsten Länder müssten wieder um ihr Überleben kämpfen.

"Die Mehrheit bewegt sich also in andere Richtung","

stellt Rifkin fest, ohne auch nur ansatzweise zu erklären, wie solche Phantomzahlen überhaupt ermittelt werden. Und dann stellt er die zentrale Frage seines Buches,

"" ... ob der kleine Teil der Menschheit, der auf Kosten des Planeten und eines großen Teils seiner Mitmenschen eine Welle der Empathie lebt, seine postmateriellen Wertvorstellungen in einen funktionsfähigen wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Aktionsplan einbringen kann, mit dessen Hilfe er sich noch rechtzeitig am Abgrund der Entropie und der Klimakatastrophe vorbei in eine nachhaltige, gerechtere Zukunft steuern kann."

Rifkins Antwort lautet "Ja", doch er setzt vor allem auf das Prinzip Hoffnung. Die fortschreitende Vernetzung und das wachsende Mitgefühl könnten gerade noch rechtzeitig zu einem völligen Umsteuern der weltweiten Politik führen. Woher er seinen unerschütterlichen Optimismus nimmt, erfährt der Leser allerdings nicht wirklich – zumal er von Anfang an sagt, dass der Preis für die immer weitere Entwicklung des Menschen bisher ein steigender Ressourcenverbrauch war.

Ohnehin kann die Geschichte der Technologisierung und der Vernetzung der Welt auch ganz anders gelesen werden. Beispielsweise darf man die Periode wie die Romantik nicht nur als Gegenbewegung zum kopfgetriebenen Zeitalter der Aufklärung verstehen wie Rifkin. Sie war vielmehr eine Phase, in der die Menschen wegen der einsetzenden Industrialisierung und der damit verbundenen Umbrüche spürten, dass ihre alte Welt am Untergehen war und das Bedürfnis nach Verklärung entwickelten.

Auch das von Rifkin gepriesene neue Verhältnis zu Tieren seit dem 18. Jahrhundert entwickelte sich just zu dem Zeitpunkt, an dem die tierische Nahrungsmittelproduktion für die boomende Stadtbevölkerung industrialisiert wurde. Die heutige Kuschelgesellschaft mit Haustieren und die Debatte über "Rechte" von Tieren wirkt eher wie ein Versuch des modernen Menschen, sein Steak weiter ohne Selbstekel verzehren zu können – obwohl er weiß, dass die Produktion von Lebensmitteln heute in einer Art und Weise funktioniert, die vor Jahrzehnten noch als anstößig und unmoralisch empfunden worden wäre.

Dasselbe gilt für die Menschheitsentwicklung. Die gigantischen Massenmorde des 20. Jahrhunderts ereigneten sich in einer Phase, in der aus Rifkins Sicht schon maßgebliche positive empathische Prozesse vollzogen waren.

Auch Hitler galt als Tieffreund – zu dumm, dass er kein Menschenfreund war. Für fast jeden Beleg, den Rifkin anführt – wie die Abschaffung der Sklaverei im 18. Jahrhundert – lässt sich eine viel überzeugendere Gegenthese aufstellen. Denn immer wieder haben Menschen und Gesellschaften nicht etwa aus wachsendem Mitgefühl, sondern vielmehr aus knallharten ökonomischen Gründen ihr Verhalten und ihren Wertekodex verändert.

Das soll nicht die Fleißarbeit schmälern, die Rifkin & Co. mit ihrem Buch und dem Gang durch die Menschheitsgeschichte vollbracht haben. Doch es zeigt letztlich die zentrale Schwäche des Buches, nämlich eine falsche Grundannahme und These. Für Rifkin ist die Empathie im Menschen und in der Menschheit bereits angelegt, sie muss nur freigesetzt werden.

""Aus diesem Grundaspekt unseres Daseins entwickelt sich wahres empathisches Bewusstsein nur im fortwährenden Ringen um Differenzierung und Integration in die Zivilisation","

schreibt Rifkin und entlarvt seine ungebrochene, westliche Fortschrittsgläubigkeit, weil erst die voranschreitende "Zivilisation" mehr Mitgefühl produziert. Angesichts der ständigen Klima-Katastrophen-Meldungen der vergangenen Monate kann man dieses Plädoyer für das Gute im Menschen durchaus genießen. Doch das macht Rifkins 468-seitigen Appell, ein guter Mensch zu sein, um seinen eigenen Zivilisationsgrad zu beweisen, noch nicht zu einem überzeugenden Buch.


Jeremy Rifkin: Die empathische Zivilisation. Wege zu einem globalen Bewusstsein
Campus Verlag 2010, 468 Seiten, 26,90 Euro
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