Medien

Was sonst nirgendwo zu hören ist

Aufnahme vom 15. Mai 2008
Drei Jungen spielen in einem Slum in Limas Hauptstadt Peru - Daniel Alarcón unterrichtete in einem anderen Slum in Lima Fotografie. © picture alliance / dpa / epa Max Cabello
Von Peter B. Schumann · 27.08.2014
Auch wenn der Schriftsteller Daniel Alarcón in den USA aufgewachsen ist und auf Englisch schreibt, fühlt er sich Lateinamerika sehr verbunden. Vor drei Jahren hat er einen eigenen Radiosender gegründet, der authentische Geschichten von dort verbreitet.
"Willkommen zum ersten Beitrag im dritten Sendejahr von Radio Ambulante. Ich bin Daniel Alarcón. Wir werden Geschichten aus vielen Ländern Lateinamerikas bringen. Heute hören Sie aus Chile "Der rebellische Schüler", die Geschichte von Benjamín González, der es wagte, in seiner Abiturrede die traditionsreichste Oberschule des Landes zu kritisieren."
Mit schlichten Worten kündigt Daniel Alarcón die Beiträge von Radio Ambulantean. Sparsam werden musikalische Akzente gesetzt. Bereits in seiner äußeren Erscheinungsform unterscheidet sich dieses Programm wohltuend von dem oft marktschreierischen Auftritt der meisten Rundfunk- und Fernsehsender Lateinamerikas. Sie scheuen nicht davor zurück, die täglichen Nachrichten und selbst Horrormeldungen in einer musikalischen Soße zu verkaufen. Radio Ambulante pflegt dagegen einen eigenen Stil, denn Daniel Alarcón hat eine andere Intention.
"Wir wollen lateinamerikanische Geschichten audiofon erzählen, reale Geschichten zu Gehör bringen, aus dem gesamten spanischen Sprachbereich, eine Stunde lang, jeden Monat. Ich bin weit weg von Peru aufgewachsen und habe immer wieder versucht, den Kontakt zu dem Land, in dem ich geboren bin, nicht zu verlieren. Das war auch die Absicht meines Vaters. Er hat Interviews mit uns, den Familienmitgliedern in den USA, auf Band festgehalten und sie dann nach Peru zu dem anderen Teil der Familie geschickt. Das war unser 'wanderndes Radio': Es hat die Distanz zwischen den Familien überbrückt. Dadurch wurde mein Interesse an dieser Form von Radio geweckt."
Sendungen werden weltweit verbreitet
2011 hat Daniel Alarcón Radio Ambulantezusammen mit der Kolumbianerin Carolina Guerrero, seiner Frau, gegründet. Von San Francisco aus organisieren und gestalten sie ihre Programme zusammen mit einem Dutzend Mitarbeiter. Gesendet werden sie von unabhängigen Radios in Lateinamerika, von Stationen des Public Radio in den USA und auch vom internationalen Programm der BBC. Zahlreiche Journalisten arbeiten inzwischen auf dem gesamten Kontinent für Radio Ambulante.
Die Beiträge orientieren sich nach der in Lateinamerika sehr beliebten literarischen Form der "crónica". Sie umfasst sorgfältig gestaltete Geschichten wie die des rebellischen Schülers aus Chile.
Benjamín schildert die Gründe für seine Abrechnung mit der dunklen, der faschistischen Geschichte der erlauchten Lehranstalt und beschreibt die überwiegende Ablehnung des Publikums, das ihn als Kommunisten beschimpfte. Kurze musikalische Intervalle gliedern den Beitrag. Eine Erzählerin ergänzt Benjamins Bericht und zitiert aus seiner Rede, weil der Originalaufnahme völlig verzerrt war.
Ein Mal im Monat On Air
Bei uns entspricht diese Form der Gestaltung einem Feature: einem Aufwand, den sich die meist live ausgestrahlten Radio-Programme Lateinamerikas nur im Ausnahmefall leisten. Aber Radio Ambulantesendet auch nicht 24 Stunden täglich, sondern nur ein Mal im Monat eine Stunde lang verschiedene Beiträge auf vielen Frequenzen. Für Daniel Alarcón, der sich selbst nur als "ausführender Produzent" sieht, hat diese Arbeitsweise durchaus etwas mit Literatur zu tun.
"Das ist eine andere Form meiner literarischen Arbeit, kein Ersatz. Ich schreibe auch weiter Romane und Erzählungen. Mich interessieren einfach Geschichten, dieser menschliche Funke, der plötzlich überspringt und sich zu einer Geschichte verdichtet. Daraus kann eine Erzählung oder ein Roman entstehen oder ein Hörstück, diese neue Art des Erzählens."
Bis zu hunderttausend Hörer
Radio Ambulante richtet sich nicht an eine Massenhörerschaft, sondern eher an ein Nischen-Publikum, das bereit ist, sich das Schicksal einer vergewaltigten Hausangestellten in Peru anzuhören. Oder von einem kolumbianischen Schamanen zu erfahren, dem es gelang, Millionen Peso zu verdienen, weil er versprach, die ewigen Regenwolken über Bogotá zu vertreiben. Oder sich ausführlich die Geschichte von der Zensur des Rock in Cuba erzählen zu lassen.
(Radiomitschnitt) "Heavy-Metal-Musik zu hören, war in den 80er und 90er-Jahren in Lateinamerika nichts Besonderes. In Havanna schon. Es war die am meisten konsumierte und am meisten verbotene Musik. Aber du weißt ja, was passiert, wenn man Jugendlichen etwas verbietet, dann wollen sie es erst recht."
Radio Ambulante kennt keine politischen Auflagen. Es ist das freie Programm eines Schriftstellers, der auf diese Weise jeden Monat ein größeres Publikum erreicht als mit seinen Büchern: bis zu hunderttausend Hörer in den beiden Amerikas.
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