Mahler allerorten - außer in Wien

Von Ullrich Bohn |
Am 07.07.1860 ist Gustav Mahler geboren, am 18.05.1911 ist er gestorben. Diese beiden Daten ergeben jetzt Raum für ein Mahler-Jubiläum. Gerade in den Städten, in denen Mahler selbst gewirkt hat und künstlerisch tätig war, rücken deshalb sogenannte Mahler-Schwerpunkte ins Zentrum der Konzertprogramme für die kommende Saison.
Er macht es uns im Grunde genommen leicht, dieses gleich zweifache Mahler-Jubiläum zu feiern, konzentriert sich doch Gustav Mahlers Gesamtwerk fast ausschließlich auf zwei Gattungen. Auf die Sinfonie und aufs Lied. Und jede Aufführung einer Mahler-Symphonie, an welchem Ort auch immer, ist oft ein musikalisches Ereignis, in der Regel ausverkauft und heftigst umjubelt. Fürs Orchester und den Dirigenten zudem eine Herausforderung, mit der man glänzen kann, die nicht selten zum künstlerischen Höhepunkt einer Konzertsaison stilisiert wird.

Insofern bräuchte man jetzt auch nicht mehr zu tun, als einen Mahler-Symphonien-Zyklus aufs Programm zu setzen, so wie es beispielsweise die Berliner Philharmoniker tun, ihn dazu noch mit den Liedern etwa "des Knaben Wunderhorn" zu garnieren und könnte sich des Erfolges und des ungeteilten Beifalls sicher sein.

Solch ein Vorhaben hat man sich auch in Hamburg, wo Mahler von 1891 bis 1897 tätig war, auf die Fahnen geschrieben, denn gleich drei Orchester, vom NDR, der Oper und die Hamburger Symphoniker, wetteifern hier mit fast sportiven Ambitionen um die Mahler-Krone.

In ähnlicher Weise, nur einige Nummern kleiner - das "Klagende Lied" und die 9. Symphonie kommen zur Aufführung - gedenkt Kassel mit Gustav-Mahler-Festtagen im Mai 2011 seinem einstigen Kapellmeister, der 1883 hier für kurze Zeit verweilte.

Bliebe noch Leipzig, wo die 1. Symphonie entstanden ist, Mahler aber auch die Konflikte mit Arthur Nikisch auszustehen hatte und Gewandhauskapellmeister Riccardo Chailly noch immer über Mahlers dennoch sehr hohes künstlerisches Engagement erstaunt ist:

"Er hat mehr als 200 Abende dirigiert. Für Leipzig ist es jetzt sehr wichtig, dass sich die Stadt angesichts des 100-Jahre-Jubiläums mit Mahler identifiziert. Deshalb werden wir ein Mahler-Festival veranstalten mit Spitzenorchestern aus aller Welt, die über eine große Mahler-Erfahrung verfügen."

"Kapellmeistermusik" nannten manche Zeitgenossen Mahlers Werke despektierlich, weil sie angeblich triviale Mittel zitierten: Volkslied, Militärmarsch, Ländler. Dabei gelingt es Gustav Mahler wie keinem anderen Komponisten seiner Zeit, in seiner Musik die Abgründe menschlichen Seins bloßzustellen. Schon früh in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts erfuhren seine Werke eine hohe Wertschätzung. Arnold Schönberg nannte ihn gar "einen Heiligen".

Wiederentdeckt wurde Mahlers Musik dann in den 1960er-Jahren, Leonard Bernstein wurde einer der ersten Wegbereiter, und bis heute hat die Begeisterung für seine Symphonien, die Interpretationsfreudigkeit nicht nachgelassen. Was also kann gerade bei einem so hochkarätig besetzten Mahler-Festival wie dem in Leipzig erreicht werden?

Riccardo Chailly: "Mahler-Symphonien bleiben immer eine Herausforderung – auch jetzt, nach vielen Zyklen, entdecke ich immer wieder neue Details. Wichtig erscheint mir, bei der Größe, der Komplexität und der oft überbordenden Klangfülle der Mahlerschen Musik doch stets eine große Durchsichtigkeit zu erreichen.""Leider bleibe ich ein eingefleischter Wiener", dieser Ausspruch Mahlers beschreibt mit wenigen Worten das gespaltene Verhältnis zu seiner Lieblingsstadt. Wo er in Jugendjahren studierte, dann von 1897 an die Wiener Hofoper zu einer Dekade künstlerischen Glanzes führte, dafür aber ebenso heftigen Anfeindungen ausgesetzt war, und wo er schließlich am 18. Mai 1911 starb. Doch trotzt intensiver Suche findet man keinen einzigen Mahler-Schwerpunkt oder irgendeine Besonderheit im Wiener Musikleben der kommenden Saison.

""Das offizielle Wien kennt Mahler nicht ..."

Reinhold Kubik, Vizepräsident der Internationalen Mahler Gesellschaft, macht aus seiner Enttäuschung keinen Hehl:

"Es gibt nicht einmal einen Mahler-Zyklus. Dabei ist Mahler im Bewusstsein der Leute, die Touristen fragen immer: Gibt es keine Gedenkstätten, kein Mahler-Haus? Dann können wir nur antworten: Es gibt nur sein Grab, welches Sie sich anschauen können."

So bleibt die noch bis zum 3. Oktober dauernde und vom Österreichischen Theatermuseum initiierte Ausstellung im Palais Lobkowitz "Gustav Mahler und Wien" die einzige Chance, Mahlers Wiener Jahre mit vielen aufschlussreichen Details veranschaulicht zu sehen. Zudem hat Reinhold Kubik den Versuch unternommen, etliche Adressen Mahlers in der Stadt, wichtige Lebensstationen wieder lebendig werden zu lassen:

"Wann hat er wo gewohnt. Und dann beginnt Wien, als Stadt zu einem zu sprechen. Es ist ganz interessant, dass er bestimmte Gegenden Wiens immer wieder bevorzugt aufgesucht hat, und sich in anderen von Juden bevorzugten Vierteln nie hat blicken lassen. Da hat es auch für uns einige neue Erkenntnisse gegeben."

"Meine Zeit wird kommen", hat Mahler einmal gesagt, Sie ist längst da, möchte man ihm heute antworten. Und doch hätte man sich gewünscht, dass mehr Ideen, mehr sinnstiftende Akzente in solch ein Jubiläum eingeflossen wären. Bei anderen Komponisten gelingt das ja auch.
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