Luftbrücke Kabul

Dramatische Rettungsaktion aus dem Wohnzimmer

05:27 Minuten
August 2021: Flüchtlinge besteigen am Kabuler Flughafen eine Transportmaschine der US Air Force.
August 2021: Zwar evakuiert auch die US-Airforde viele Afghanen, doch viele ehemalige Ortskräfte bleiben zurück. Dann gründet Theresa Breuer die Luftbrücke Kabul. © imago images/ZUMA Wire
Von Philipp Lemmerich · 10.08.2022
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Als im August 2021 die Taliban in Afghanistan die Macht übernehmen, gründet die Journalistin Theresa Breuer mit Freunden die "Kabul Luftbrücke". Die soll bedrohte Afghanen, vor allem ehemalige Helfer der Nato-Truppen, per Flugzeug außer Landes bringen.
Afghanistan, August 2021: Nach 20 Jahren Krieg, Besatzung, Aufbauhilfe nehmen die Taliban eine Provinz nach der anderen ein.
„Es war eine emotionale Achterbahnfahrt. Ich weiß, dass ich teilweise weinend, hysterisch auf dem Boden meines Badezimmers lag“, erzählt die Journalistin und Dokumentarfilmerin Teresa Breuer. Die 36-Jährige hat mehrere Jahre in Afghanistan gelebt und gearbeitet.
Beim Vormarsch der Taliban letztes Jahr ist sie gerade in Berlin, verfolgt die Geschehnisse mit Entsetzen. Sie hat viele persönliche Kontakte in Afghanistan, Männer und Frauen, die jetzt um ihr Leben fürchten müssen.
Jeder, der mit westlichen Truppen oder Organisationen zusammengearbeitet hat, ist in größter Gefahr. Zehntausende Menschen also, vielleicht Hunderttausende. Die genaue Zahl kann niemand beziffern. Theresa kann da nicht untätig zuschauen.

Mischung aus Adrenalin, Wut und Entsetzen

„Diese Mischung aus Adrenalin, Wut, Entsetzen, aber auch: Das darf nicht sein. Wir müssen da jetzt was tun. Dann habe ich Freunde angerufen und wir haben gemeinsam überlegt, was können wir tun? Und haben dann in einer Nacht- und Nebelaktion beschlossen, Spenden zu sammeln, ein Flugzeug zu chartern und selbst tätig zu werden, nach Kabul zu fliegen und unsere eigene Evakuierungsmission auf die Beine zu stellen.“
Nach 20 Jahren Entwicklungshilfe, Nation-Building, internationaler Zusammenarbeit bricht alles zusammen. Ein beispielloses Scheitern. Während die internationale Politik wie gelähmt zuschaut, versucht Theresa Breuer das scheinbar Unmögliche. Sie trommelt Freunde zusammen und startet von ihrem Wohnzimmer aus eine tollkühne Rettungsaktion. Die „Kabul Luftbrücke“ ist geboren.

 Wochen ohne Schlaf

„Es waren Wochen komplett ohne Schlaf. Bis zu dem Punkt, dass ich teilweise Halluzinationen hatte, aber mit dem einzigen Gedanken: Wir müssen es schaffen, die Leute da rauszubringen.“
In Kabul strömen Tausende Menschen zum Flughafen, erhoffen sich Rettung. Die Bilder von Menschen, die sich in ihrer Verzweiflung an Flugzeuge hängen und in den Tod stürzen, gehen um die Welt.
“Theresa, we arrived inside of the airport in a very hard situation. You know, we were close to die and I took Mansour with me inside of airport.”
Auch Theresas Freunde, Kollegen sind am Flughafen. Zum Beispiel Shegufa, Protagonistin aus einem Dokumentarfilm von Theresa. In dieser Sprachnachricht fleht sie Theresa an, eine Lösung für sie und ihren Mann zu finden.
„He's with me. If I send him out, they will kill him. Please, it's about one life or one person.“

Wohnzimmer als Schaltzentrale

Der Druck auf Theresa Breuer könnte größer kaum sein. Ihr Berliner Wohnzimmer wird zur Schaltzentrale. Mit Flugzeug-Brokern verhandeln, Fluchtrouten recherchieren, Freunden in Afghanistan immer wieder Mut zusprechen.
Die ersten Rettungsversuche gehen schief, aber dann klappt es tatsächlich: Die „Kabul Luftbrücke“ bringt knapp 200 Afghanen außer Landes.
Ende August beenden die NATO-Staaten die offizielle Rettungsaktion. Für Theresa und ihr Team ist klar: Sie müssen weitermachen, denn noch immer sitzen Zehntausende Menschen fest. Und sie machen weiter, bis heute. Mehr als 2.500 Menschen haben sie bislang in Sicherheit gebracht. Und nichts ist erledigt.
„Was ausgeblieben ist ja, dass die Taliban die Bevölkerung massakrieren, dass – wie in den 90er-Jahren – Hinrichtungen in Stadien stattfinden oder Frauen auf der Straße gesteinigt werden. Das passiert nicht, aber die Taliban gehen sehr perfide vor in der Art und Weise, wie sie die Rechte der Menschen einschränken, und vor allem die Rechte von Frauen. Und es ist inzwischen so, dass Frauen quasi überhaupt nichts mehr entscheiden können, eigentlich auch nicht mehr alleine reisen dürfen ohne einen männlichen Vormund. Und diese Schlinge zieht sich mit jedem Monat zu.“

Verbleibende Ortskräfte rausholen

Der Ausnahmezustand, in dem sich Theresa Breuer und ihre Mitstreiter*innen seit einem Jahr befinden, geht weiter. Kaum schlafen, nächtelang durcharbeiten, Menschenleben retten. Auch weil die westlichen Staaten, und auch die Bundesregierung ihr Versprechen, die verbleibenden Ortskräfte aus Afghanistan herauszuholen, bis heute nicht eingelöst haben.
„Ich habe vor allem gelernt, wie viel man erreichen kann in einem Team, das für eine Sache kämpft und das wirklich zusammenhält, das ist eine tolle Erfahrung. Gleichzeitig waren es auch ernüchternde Monate. Ich hatte letzten August gehofft, dass es uns in diesem August nicht mehr geben müsste. Es muss uns immer noch geben, weil sonst einfach Menschen zurückgelassen werden, und zwar Menschen, denen Deutschland tatsächlich die Zusage gegeben hat, sie aus Afghanistan rauszuholen, nach Deutschland zu bringen.“
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