Bergsteigen für mehr Frauenrechte

"In den Bergen fühle ich mich frei"

06:06 Minuten
Eine Frau mit Helm und Rucksack sitzt auf einem Felsen, im Hintergrund ist ein Bergmassiv zu sehen.
Auch den Mount Everest will Shegufa Bayat eines Tags besteigen, ihr nächstes Ziel ist allerdings Bergführerin im Alpenverein zu werden. © Shegufa Bayat
Von Philipp Lemmerich · 08.08.2022
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Die Afghanin Shegufa Bayat liebt das Bergsteigen, doch das ist in ihrer Heimat seit der Machtübernahme der Taliban unmöglich. Vom deutschen Exil aus plant sie ihre Zukunft und setzt sich mit ihrem Sport auch gegen die Unterdrückung von Frauen ein.
Ein Neubaublock im Berliner Süden. Shegufa Bayat, 22 Jahre alt, öffnet die Tür zu ihrer Wohnung und erzählt.  
In Afghanistan als Mädchen aufzuwachsen, ist sehr schwierig. Es ist ein sehr traditionelles Land. Gerade Bildung ist für Mädchen ein großes Problem. In meiner Familie war ich die Erste, die zur Schule gegangen ist. Mein Vater hat sich dafür starkgemacht, dass etwas anderes aus mir wird.“
Die kleine 2-Zimmer-Wohnung ist spartanisch, aber liebevoll eingerichtet. In einem Regal stehen ein paar Zeichnungen, daneben eine Ausgabe des Bergsteigermagazins „Alpinist“. Darin steht meine Lebensgeschichte geschrieben, erzählt Shegufa – nicht ohne Stolz.

Bergsteigen – die große Leidenschaft

"Mein Vater ist in den Bergen aufgewachsen. Als ich klein war, hat er mir immer davon erzählt. Später sind wir dann zum ersten Mal in der Nähe seines Heimatdorfes klettern gegangen.“
Eine Frau, die bergsteigen geht, das ist in Afghanistan eine Provokation, ein Bruch der Sitten. Das hält Shegufa aber nicht davon ab. 2016 kommt sie in Kontakt mit einer amerikanischen NGO, die junge Bergsteigerinnen fördert, sie mit Training und Equipment unterstützt.
„Wir waren in der Nähe von Kabul auf einem Berg, als eine Gruppe Männer auf uns zukam. Erst haben sie uns beschimpft, dann haben sie uns mit Steinen beworfen. Unser Lehrer sagte zu uns: Setzt eure Helme auf und rennt.“

Berge als Symbol für den Frieden

Die Geschichte der bergsteigenden Frauen spricht sich herum. Westliche Journalistinnen und Journalisten werden auf die jungen Rebellinnen aufmerksam, darunter auch die deutsche Dokumentarfilmerin Theresa Breuer. 2019 begleitet sie die Bergsteigerinnen auf den höchsten Berg Afghanistans, den Noshak, 7485 Meter über dem Meeresspiegel.
Eine Frau mit Hut sitzt auf einem Felsen, im Hintergrund ein schneebedeckter Berggipfel
Shegufa Bayat hat schon als Kind ihre Leidenschaft für die Berge entdeckt© Shegufa Bayat
Ich liebe die Berge. In Afghanistan wachsen wir mit so vielen Problemen auf. Aber in den Bergen fühle ich mich so frei wie ein Vogel. Unsere Berge sind so schön. Für uns sind sie ein Symbol für den Frieden.“

Emanzipation im Hochgebirge

Für Shegufa ist der Sport mehr als ein Hobby, sondern auch ein Weg, gegen die Unterdrückung von Frauen in dem Land zu kämpfen. Sie gibt viele Interviews, lässt sich filmen und fotografieren.
Ein Hochplateau mit See eingerahmt von zum Teil schneebedeckten Bergflanken
Afghanistan hat eine spektakuläre Gebirgslandschaft - Shegufa Bayat war als erste afghanische Frau auch auf dem höchsten Gipfel des Landes, dem 7485 Meter hohen Noshak.© Shegufa Bayat
Als im August 2021 die Taliban auf Kabul vorrücken, ist es gerade diese Zusammenarbeit mit den westlichen Medien, die sie gefährdet. Ihr wird klar: Ich muss hier raus.
"Es war der 15. August 2021. In diesem Moment habe ich alles verloren. Meine Kraft, meine Energie, alles.“
Shegufa meldet sich bei Theresa Breuer, die von Berlin aus gerade die „Kabul Luftbrücke“ gegründet hat – eine Organisation, die gefährdete Afghaninnen und Afghanen retten will. Aber eine schnelle Evakuierung scheint unmöglich. Am Flughafen in Kabul herrscht das blanke Chaos. Die internationalen Truppen sind mit dem Ansturm völlig überfordert. Shegufa muss sich verstecken. Eine Woche später versucht sie es wieder am Flughafen.
Es war ein sehr harter Tag. Wir standen sechs Stunden lang vor dem Tor, die Leute haben sich fast erdrückt. Wir haben die Armee angeschrien, uns reinzulassen. Es war unglaublich.“

Leere Herzen, zerbrochene Träume  

Mitten im Chaos gelingt es Shegufa irgendwie, ins Flughafengebäude zu kommen. Sie schafft es in eine amerikanische Maschine, die nach Abu Dhabi fliegt. Dort muss sie drei Monate in einem Lager ausharren. Dann, endlich, die erlösende Nachricht: Die „Kabul Luftbrücke“ hat ihr ein Visum für Deutschland organisiert.
„Ich lebe jetzt hier, aber ich habe keine Ziele mehr. In Afghanistan wollte ich meine eigene Organisation gründen, eine Bergführerin werden und den Menschen eine andere Seite von Afghanistan zeigen. Aber jetzt sind unsere Herzen leer, unsere Träume sind zerbrochen.“

Glücksmomente am Mount Everest

Nach einem kurzen Moment des Schweigens holt Shegufa ihr Handy heraus. Da sei etwas, was sie gerne zeigen wolle.
"Dieses Jahr sind zwei schöne Dinge passiert. Im April habe ich als erste afghanische Frau das Mount Everest Base Camp bestiegen. Und letzte Woche hatten wir unsere Hochzeitsfeier. Es war die erste Party nach langer Zeit. Jeder hat gelacht und getanzt, es war sehr schön.“
Als Nächstes möchte Shegufa Bergführerin im Alpenverein werden. Und irgendwann den Gipfel des Mount Everest erklimmen.

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