Literarische Moderne

Das Mittelmeer als Zentrum unseres Schicksals

Markus Messling im Gespräch mit Joachim Scholl · 13.07.2015
Im Mittelmeerraum wird die Zukunft Europas entschieden, meint Markus Messling – und das nicht nur wegen der Griechenland-Krise. Man müsse Europa vom Mittelmeer aus denken, fordert der Literaturwissenschaftler.
Der Literaturwissenschaftler Markus Messling saß vor Jahren mit einem Kollegen in der Pariser Bar "Die Spottdrossel" und sinnierte über die große Finanzkrise, die den Kontinent erschüttert hatte. Es habe darauf damals überhaupt keine gesellschaftliche oder kulturelle Reaktion gegeben, sagte Messling im Deutschlandradio Kultur:
"Es gab geradezu ein Vakuum in der öffentlichen Diskussion über die Frage, was bedeutet diese Krise eigentlich jenseits des Ökonomischen? Wie wollen wir zusammenleben? Welche Gesellschaft stellen wir uns eigentlich vor?"
Ergebnis war ein Projekt, das Europa vom Mittelmeerraum aus denken will.
"Uns schien es fundamental wichtig, genau den Teil Europas zu betonen, der kulturell für Europa immer zentral gewesen ist, nämlich der Süden, und der in der ökonomischen Krise (...) ausgeschlossen werden sollte, immer weiter zurückgedrängt wurde."
Goethe schrieb: "Jeder sei auf seine Art ein Grieche – aber er sei's"
Alle zentralen Fragen der Zukunft Europas werden im Mittelmeerraum entschieden, ist Messling überzeugt. Die Flüchtlingskatastrophe, das "humanitäre Desaster", ist der derzeit sichtbarste Hinweis darauf.
Entstanden ist nun unter anderem eine Anthologie, die Messling zusammen mit seinem "Spottdrossel"-Kollegen Franck Hofmann herausgegeben hat: "Leeres Zentrum. Das Mittelmeer und die literarische Moderne". Gegenwartsautoren denken hier literarisch über das Mittelmeer nach.
"Jeder sei auf seine Art ein Grieche – aber er sei's", hatte Goethe geschrieben – eine Forderung, welche die Hochachtung vor und die Orientierung an der griechischen Kultur ausdrückte und die Messling am Ende des Sammelbands zitiert.
"Ein Grieche, so wie Goethe das meint, können wir ganz sicher nicht mehr sein, sondern wir sollten Realisten sein und in diesen Mittelmeerraum gucken und genau sehen, dass dort zentrale Probleme des gegenwärtigen Kapitalismus verhandelt werden, die für uns fundamental sind", sagte der Literaturwissenschaftler.
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