Liebe, Krieg und Landarbeit

Von Elisabeth Nehring · 06.04.2006
Mit dem chinesischen Musiktheater verbindet man hierzulande allenfalls die Pekingoper, doch es existieren noch eine Reihe von noch viel älteren Opernformen. Das Berliner Haus der Kulturen der Welt hat an herausragende Performer verschiedener Operntraditionen Auftragsarbeiten vergeben: Für die so genannte Qin-Oper steht der herausragende Darsteller Li Xiaofeng.
Ungewohnt erscheint vieles an diesem Abend: Die Zimbeln und hölzernen Rasseln als rhythmische Begleitung zum gepressten Gesang klingen für das europäische Ohr fremd und nicht immer harmonisch. Doch sobald Li Xiaofeng, der Interpret der Qin-Oper die Bühne betritt, versteht man, worum es hier geht, auch ohne die Geschichte und die Hintergründe der Jahrhunderte alten Tradition zu kennen. Seine Gestik und Mimik sind beredt; alle denkbaren Gefühle spiegeln sich binnen weniger Minuten in seinem Gesicht: Freude, gar kindliche Begeisterung, aber auch Entsetzen, Angst, Trauer, Wut, Rührung, Nachdenklichkeit - Expressivität und Verinnerlichung, starker körperlicher Ausdruck und stille Selbstbefragung wechseln in der Darstellung Li Xiaofengs fließend ab.

Die Qin-Oper als älteste Form des Musiktheaters in China entstammt bäuerlichen Traditionen. Ihre über 3000 Stücke erzählen von Liebe, Krieg und Landarbeit. Mit den beiden zentralen Musikstilen, der "fröhlichen" sowie der "klagenden Melodie" können die Sänger ganz verschiedene Gefühlslagen und Stimmungen der Figuren ausdrücken. Auf diese Tradition der Darstellung des Allgemeinmenschlichen beruft sich Li Xiaofeng in seinem Stück, das er ganz bewusst "the mood of the Qin" – also: die "Stimmungen der mächtigen Qin -Dynastie" nennt.

Immer wieder wechselt er das Kostüm: Von schlichter Kleidung in schwarz-weiß über eine prachtvolle Kombination aus blauem Seidenhemd mit burgunderroter Schärpe und weißem Rock sowie einem breitkrempigen Hut mit langem Zopf bis hin zu beeindruckender Kriegskostümierung in Knallrot, aufwändigem Kopfputz und wildem schwarzen Bart präsentiert er die verschiedensten traditionellen Rollen. Die allerdings befreit er aus dem Kontext von Ensemble und Bühnenbild und modernisiert sie damit auf eine behutsame Art und Weise.

Dabei greift er zu Mitteln, die auch dem westlichen Betrachter bekannt vorkommen dürften: gelegentlich bricht der Gesang abrupt ab und der Sänger setzt zu einem hohen Drehsprung an, bei dem Arme und Beine virtuos um seine Körpermitte herumwirbeln. Ganz eindeutig sind die akrobatischen Einlagen den asiatischen Kampfkünsten entlehnt.

Es geht Li Xiaofeng nicht darum, mit der Tradition radikal zu brechen, sondern aus ihrem Fundus das Wesentliche herauszuschöpfen und im Prozess der Erneuerung der heutigen Kultur verständlich zu machen. Dabei sucht er weniger den konkret-gesellschaftlichen Bezug als eher eine allgemein-menschliche Basis, die in allen Kulturen verstanden werden kann.

Das Gespräch zum Thema mit der Sinologin Nora Sausmikat können Sie für begrenzte Zeit in unserem Audio-On-Demand-Player hören.

Der Programmschwerpunkt "China - Zwischen Vergangenheit und Zukunft" findet vom 24.3. bis 14.5.2006 im Haus der Kulturen der Welt in Berlin statt.
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