Die Sängerin als Göttin

Rezensiert von Birgit Koß · 06.04.2006
Die Rolle der Mondgöttin ist eine besondere Herausforderung in der Peking Oper und wird für die Sängerin Xiao Yanqiu die Bestimmung ihres Lebens. Der international anerkannte Autor Bi Feiyu gibt mit seinem neuen Roman einen Eindruck von der chinesischen Oper. Außerdem entwirft er psychologisch einfühlsam ein bewegendes Frauenporträt im modernen China.
Einer alten Legende zufolge führt die Mondkönigin Chang'e ein einsames und gramvolles Leben, nur umgeben von ihren Feen, nachdem sie ein Geschenk der Königin des Westens - die Pille der Unsterblichkeit - gestohlen hat. Diese Rolle ist eine besondere Herausforderung in der Peking Oper und wird für die Sängerin Xiao Yanqiu die Bestimmung ihres Lebens.

Mit 19 Jahren feiert sie in der Rolle der Mondgöttin einen überaus großen Triumph. Sie entwickelt dabei nicht nur einen besonderen Ehrgeiz, sondern auch Stolz und Überheblichkeit. Dies führt dazu, dass sie ihrer Mentorin heißes Wasser ins Gesicht schüttet und damit ihre eigene Karriere beenden muss. Tief depressiv zieht sie sich zurück, heiratet einen kleinen unscheinbaren Polizisten und verdient ihr Geld durch Unterricht an der Opernschule.

Doch ihr Mythos lebt weiter. Nach 20 Jahren erklärt sich ein Großunternehmer bereit, das Opernensemble zu sponsern, wenn die Sängerin Xiao Yanqiu wieder die Hauptrolle übernimmt.

Sie kann ihr Glück kaum fassen, und stürzt sich wieder mit übergroßem Ehrgeiz in die Arbeit. Sie versucht ihre alte Figur wie vor zwanzig Jahren zurückzuerlangen und macht eine strenge Diät, so dass ihre Stimme den Glanz verliert. Xiao Yanqiu scheint aus ihrem Leben gelernt zu haben und tritt hinter ihre Schülerin Chunlai zurück, die eine würdige Nachfolgerin sein kann. Doch dann zieht der Erfolg Xiao Yanqiu abermals in seinen Bann und trägt sie in die Einsamkeit.

Der international anerkannte Autor Bi Feiyu wurde 1964 in der Provinz Jiangsu geboren und lebt heute als Schriftsteller und Journalist in Nanking. Psychologisch einfühlsam, entwirft er ein bewegendes Frauenporträt im modernen China. Als Vertreter des modernen Realismus und der Großstadtliteratur gibt er der individuellen Befindlichkeit seiner Protagonistin Raum, zeigt aber auch ihre Schwierigkeiten und Begrenzungen.

Das beharrliche Durchsetzen der eigenen Ansprüche und Wünsche führt Xiao Yanqiu zur Selbstaufgabe und bindet sie damit perfekt in die alte chinesische Legende der Mondkönigin ein.

Der westliche Leser erhält einen kurzen und durchaus verständlichen Eindruck von der chinesischen Oper, ohne dass der chinesische Leser durch Erklärungen von allgemein bekannten Bildern und Symbolen gelangweilt wird. Neben einem Nachwort des Übersetzers gibt der Autor Bi Feiyu dem Leser durch Fußnoten die Möglichkeit , minimalistische Einführungen in chinesische Operngeschichte und in die Mythologie zu erhalten. Und auch die Veränderung und die Moderne kommen nicht zu kurz.

Während der Direktor der Operngruppe noch zu den alten Kadern zu rechnen ist, setzt der Generaldirektor der Zigarettenfabrik seinen Interessen unmissverständlich mit Hilfe seines Geldes und des damit verbundenen Einflusses durch. Selbst die Medien lassen sich problemlos von ihm nutzten.

Sprachlich kurz und prägnant, aber äußerst präzise gelingt es dem Autor Bi Feiyu, auf 160 Seiten einen großen Bogen zu spannen, der so dicht ist, dass der Leser das kleine Büchlein nicht unterschätzen und ruhig ein wenig mehr Zeit einplanen sollte, um sich in diese ferne, fremde Welt entführen zu lassen.

Die Mondgöttin: Bi Feiyu
Roman. Blessing Verlag 2006
Aus dem Chinesischen von Marc Hermann
160 Seiten, 14,95 Euro
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