Entlarven und ausbrechen

Von Carsten Probst · 06.04.2006
Geschichte und Tradition scheinen in den Augen vieler jüngerer Künstlerinnen und Künstler aus China zumindest ambivalent, wenn nicht gar eine erdrückende Last zu sein.
In ihren Werken spiegeln sich die großen Ereignisse der jüngsten Vergangenheit, die viele dieser Künstler selbst noch als Kinder oder junge Erwachsene erlebt haben: Zum einen die Kulturrevolution zwischen 1966 und 1976, zum anderen die blutigen Studentenproteste auf dem Tiananmen-Platz 1989.

Auch die noch heute gültigen Symbole heroischer Landesgeschichte wie das "gottgleiche" Porträt Maos, die Chinesische Mauer oder die Verbotene Stadt und nicht zuletzt die traditionellen Kunstformen Chinas wie Holzschnitt oder Tuschemalerei wirken für viele Künstler wie Repräsentanten eines immer noch starren kulturellen Systems, das sie entlarven und aus dem sie ausbrechen wollen.

Deutlich wird dies an zwei herausragenden Werken in der großen Ausstellung chinesischer Foto- und Videokünstler im Berliner Haus der Kulturen der Welt. Auf neun zum Quadrat angeordneten Fotografien zeigt der 1965 geborene Huan Zhang sein eigenes, unbewegtes Gesicht, das nach und nach von getuschten Schriftzeichen überzogen wird, bis es am Ende völlig schwarz ist und seine individuellen Züge nicht mehr erkennbar sind.

Hintergrund dieser symbolischen Selbstauslöschung der eigenen Identität ist Zhangs Kritik an den starren Verhaltenskodizes und Traditionen, die noch immer in der chinesischen Gesellschaft wirksam sind und alle politischen Systeme überdauert haben. Zugleich macht Zhang dadurch klar, dass er sich nicht in erster Linie als politischer Künstler, als Dissident sieht, sondern als Kulturkritiker, was jedoch unter den aktuellen Bedingungen in China schnell auf dasselbe hinausläuft.

Dann gibt es die großformatigen inszenierten Fotografien von Wang Qingsong, Jahrgang 1966, und hier vor allem das große ironische Triptychon zu "Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft" Chinas. Mit Schauspielern stellt Wang hier die pompösen Heldendenkmäler des sozialistischen Realismus auf Chinas großen Plätzen nach. Auf der rechten Seite ist die "Vergangenheit" durch die staubbedeckten Soldaten und Helden der revolutionären Epoche zu sehen, während sich der Künstler selbst als ehrfürchtiger Betrachter vor dem Denkmal inszeniert, der Blumen davor ablegen will.

Er trägt dabei jedoch einen blutigen Kopfverband, der auf eine gescheiterte Revolution in jüngster Vergangenheit verweist, die niedergeschlagenen Proteste auf dem Tiananmen-Platz. "Gegenwart" und "Zukunft" inszeniert Wang dagegen ironisch als Silbernes und Goldenes Zeitalter, so wie es die chinesische Mythologie vorschreibt.

Das Gespräch zum Thema mit dem Sinologen Michael Lackner können Sie für begrenzte Zeit in unserem Audio-On-Demand-Player hören.
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