Tiny Houses

Quadratisch, praktisch, gut - und alles vorhanden

10:22 Minuten
Illustration: Ein tiny house in grüner Natur.
Wie ist das Leben in einem Tiny House? Auf jeden Fall: interessant. © Getty Images / iStockphoto / Lyudinka
Von Michael Frantzen · 11.08.2022
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Leben auf engstem Raum und dabei mobil sein: In Karlsruhe steht die zweitgrößte Tiny-House-Siedlung der Republik. Das Leben im Kleinen braucht eine ganz eigene Organisation.
„Hallo."
"Guten Tag."
"Ich hoffe, Sie wollen zu mir.“
Da ist es ja, das Begrüßungs-Komitee. Mit Stefan Fritz an der Spitze, dem Pionier. Der Karlsruher IT-Spezialist schaut irritiert hoch. Das klingt irgendwie nach Wild West oder DDR, aber wenn’s sein muss: bitte.
Fakt ist: Der 42-Jährige war der erste, der 2019 auf den Campingplatz im Albtal am Rande von Karlsruhe zog, mit seinem winzigen Holz-Haus. „Das ist ein Tiny House, richtig. Also Wohnen auf kleinem Raum.“
30.000 Euro hat Fritz für sein rund 30 Quadratmeter großes Häuschen gezahlt, Photovoltaik-Anlage auf dem Dach inklusive. „Kleinst-Wohnräume auf Rädern: Das zeichnet eigentlich Tiny Houses aus. Das heißt, maximal zweifünfundfünfzig breit. Maximal vier Meter hoch. Maximal dreieinhalb Tonnen schwer.“

Freak oder Pionier?

15 dieser Mini-Häuser stehen am Rande des Campingplatzes, verteilt auf zwanzig Bewohnerinnen und Bewohner, die älteste ist 70 Jahre alt, der jüngste sieben Monate jung: Fritz rattert die Eckdaten nur so herunter, ehe er aus seinem Garten ins Haus geht.
Der erste Eindruck: alles vorhanden. Kochzeile, Bett, Schrank. Alles quadratisch, praktisch, gut. Und eigentlich nicht viel anders als in einem Campingwagen, findet der Pionier.
Doch damit sollte man einigen Camperinnen und Campern besser nicht kommen. Für die war Fritz anfangs „ein Freak“. Doch das hat sich gelegt. Die meisten sind inzwischen "neugierig", berichtet er: "Das ist das erste, was mir einfällt: neugierig, interessiert. Was sind das für Menschen, die da drin leben? Tun die was? Arbeiten die? Können die was? Leben die? Atmen die? Keine Ahnung. Irgend so etwas in der Richtung.“
Die Tiny House Gruppe in Karlsruhe.
Minimalisten unter sich: die Tiny House-Bewohner in Karlsruhe.© Deutschlandradio / Michael Frantzen

Man kennt und hilft sich

Das Zusammenleben von Minimalisten und Normalos: Es klappt reibungslos. Man kennt sich, hilft sich, lässt den anderen gewähren, wie eine kurze Umfrage unter den Camperinnen und Campern zeigt.
„Was ich von Tiny Houses halte? Ja, wem es gefällt: Warum denn nicht."
"Näh, dann geh ich lieber nach Norwegen, in eine Blockhütte und dann ist gut."
"Meine Frau kann sich das schon gut vorstellen, aber: Ich persönlich brauche einfach auch ein bisschen Platz. Wir haben getrennte Schlafzimmer, weil ich so 'ne Schnarch-Nase bin.“

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Von der Schnarch-Nase zu einer Frau, die zwar selbst in keinem Tiny House wohnt, ohne die es aber die Siedlung nicht gäbe. Regina Schleyer ist Vorsitzende des Karlsruher Tiny House Vereins. Plus Leiterin des bundesweiten Tiny House Verbands. Was also ist das Besondere am Tiny House?

Was alle eint, ist eigentlich der Wunsch und der Wille, sich zu reduzieren. Dass man sich von vielen alten Dingen trennt, was aber auch eine Chance ist.

Regina Schleyer

Weniger ist mehr: In Deutschland wird das immer beliebter. In den letzten Jahren sind mehrere Tiny-House-Siedlungen entstanden, die größte im bayrischen Mehlmeisel im Landkreis Bayreuth. Es gibt über 75 Hersteller und den bereits erwähnten Bundesverband.
Alles prima, wenn da nicht das Problem mit den Stellplätzen wäre. „Die Stellplatz-Problematik hängt immer von der Nutzung ab. Wie will ich ein Gebäude nutzen? Und auch für ein Haus auf Rädern - wenn man es dauerhaft nutzt - gilt das Baurecht. Und man benötigt ein Baugrundstück.“
Baugrundstücke aber sind nicht nur in Karlsruhe rar und oft konventionellen Bauten vorbehalten, also Ein- und Mehrfamilienhäusern. „Hier auf dem Campingplatz haben wir die Möglichkeit, dass wir hier quasi die Häuser stellen können. Auch dauerhaft bewohnen, weil es geduldet wird. Es is eine Ausnahme. Aber das ist eine sehr große Herausforderung“, meint die Verbandsvorsitzende - nur um hinzufügen, dass die Bundesländer das unterschiedlich restriktiv handhaben würden, Baden-Württemberg noch relativ flexibel sei.
So gibt es im Ländle mit Paragraf 56 der Landesbau-Ordnung eine Art Experimentier-Klausel. Das hilft. Das gesteigerte Umweltbewusstsein auch. In Behörden und der Community.

Feuchtigkeit kann zum Problem werden

„Ist ein wichtiges Thema, Nachhaltigkeit. Der Verband erstellt gerade eine Norm, die soll auch noch dieses Jahr fertig werden. Und da spielt Nachhaltigkeit eine sehr wichtige Rolle. Die verwendeten Rohstoffe haben einen geringen CO2-Bedarf. Dann: Jede verbraucht wenige Ressourcen. Und die Rückführung ist natürlich bei entsprechenden Baustoffen auch gewährleistet.“ Schleyer dreht sich zur Seite.
Matthias Feiner ist dazu gekommen, Maschinenbauer von der Hochschule Karlsruhe. In der Hand hält der junge Forscher einen kleinen Kasten, der sich bei näherem Hinsehen als Feuchtigkeits-Messer entpuppt.
Das mit der Feuchtigkeit kann bei Tiny Häusern zum Problem werden, wegen der Enge, den niedrigen Decken. „Ein Mehrfamilienhaus ist ja relativ erschlossen. Da kann man wenig optimieren. Und in so einem Tiny House kann man mit kleinen Stellgrößen noch ein bisschen was bewirken. Die Isolation. Tiny Houses: Klar, die müssen bewegt werden. Da hat man nicht den Riesen-Platz für die Isolation. Man muss ja auch noch drin wohnen. Dass man einfach durch geschickte Isolations-Materialien eine gute Dämmung hinkriegt.“

Eine bessere Isolation, intelligente Feuchtigkeits-Sensoren: Bei Randolph Liem läuft der Mann von der Hochschule offene Türen ein. Der Architekt engagiert sich im Bau-Team des Tiny House Vereins und hat sein Tablet dabei. Ein, zwei Klicks und auf dem Bildschirm taucht die Skizze des geplanten Vereinsheims auf. Wenn alles klappt, soll noch dieses Jahr der Grundstein gelegt werden, finanziert durch Eigen- und Forschungsmittel.
Über das meiste sind sich Liem und Co einig. Nicht größer als zwanzig Quadratmeter soll der Bau werden, Vereins-Mitgliedern und Neugierigen offenstehen zum Probe-Wohnen. „Das ist alles multifunktional. Beim Tiny House ist alles so klein, dass man keinen Platz verschwenden sollte. Platz ist dann verschwendet, wenn er nur ein Mal benutzt wird. Und den Rest des Tages nicht mehr. Wenn man zum Beispiel eine Garderobe hat, dann sollte sie, wenn sie nicht gebraucht ist, für was anderes genutzt werden. Zum Beispiel als Bad.“

Klima, Raumangebot, Architektur

Architektur in Miniatur-Format: In Fachkreisen erntete Liem anfangs Stirnrunzeln. „Die Kollegen waren anfangs, sagen wir mal, skeptisch. Mittlerweile nimmt das aber Fahrt auf. Sind sie auch eher positiv eingestellt. Ich denke, es wird ja jedem klar, dass das Klima nicht so bleibt, wie es ist. Der Raumverbrauch auch nicht so bleiben kann. Und dass die Einstellung der Menschen sich eigentlich ändern muss. Und das ist eines von den Bausteinen, wenn man mal ganzheitlich denkt, dann könnte man sagen: Tiny Houses könnte ein Teil davon sein. Nicht für jeden. Aber für den einen oder anderen.“
Für ihn selbst auch? Liem hebt die Hände. Eher nicht. „Ich habe einfach zu viel Krempel. Nein, geht nicht.“
 „Hallo! Michele!"
"Hallo. Ja, kommt rein.“
Viel Krempel hatte auch einmal Michele Paldino. Doch das war, bevor sich der Mann mit den italienischen Wurzeln für 27.000 Euro ein Tiny House kaufte und es vom westfälischen Hamm ins Badische überführte. „Innenausbau komplett selber gemacht, bis auf die Küchenzeile. Fußboden selbst verklebt. Wände gestrichen. Eine Duschwanne zum ersten Mal im Leben eingebaut. Ja, halbes Jahr Arbeit.“

Die Idee: Es ruhiger angehen lassen!

330 Euro zahlt der Auto-Glaser im Monat an Pacht - Strom und Telefon inklusive. Schon mal ein Pluspunkt. Dass er es jetzt ruhiger angehen lassen kann, in seinem Mini-Haus, auch. „Es ist einfacher, es is simpler, es ist stressfreier. Ich muss nicht mehr so viel arbeiten, um mein altes Leben zu finanzieren. Sondern ich komm mit deutlich weniger Geld aus. Weil das Leben im Tiny House auch günstiger ist" als in Karlsruhe. Keine zehn Pferde würden ihn da wieder zurückbringen, meint Paldino. Der Verkehr, die steigenden Mieten, Nachbarn, die sich über seine Musik beschwerten. Darauf kann er verzichten. Nur das Musizieren ist jetzt schwieriger geworden für den Hobby-Musiker. „Ich hatte in meiner alten Wohnung 74 Quadratmeter. Und das Wohnzimmer war ein kleines, semiprofessionelles Tonstudio. Das hat weh getan. Das hat richtig weh getan.“
Weh tut auch, dass sein graues Holz-Häuschen im Winter manchmal nicht richtig warm werden will und im Sommer nicht richtig kalt. „Gut. Jetzt haben wir heute hier einen Tag erwischt, mit 33 Grad. Es ist nicht alles easy-peasy im Tiny House. Es gibt auch Sachen, die sind halt nicht so schön. Bei den Temperaturen heizt es sich auf und bleibt es auch eine ganze Weile.“

 Die Tücken der Gemeinschaft

Das Leben im Tiny House kann seine Tücken haben, weiß auch Regina Schleyer. Natürlich hat die Verbandsvorsitzende mitbekommen, dass die größte Tiny House Siedlung Deutschlands im bayrischen Mehlmeisel in den letzten zwei Jahren für Negativ-Schlagzeilen gesorgt hat. Es gab Streit, ein unschönes Youtube-Video, auf dem die damaligen Eigentümer nicht besonders gut wegkamen. "Gemeinschaftliches Wohnen ist nicht ganz einfach. Und wenn’s dann eben ein Eigentümer-Team gibt: Das kann dann durchaus schwierig sein. Je nachdem, wie man sich da gemeinschaftlich organisiert.“
Stress unter den Mini-Haus-Leuten im Albtal: Nein, den habe es nicht gegeben, ergänzt Michele Paldino. Nicht wirklich. In seiner Tiny House Siedlung hat nicht irgendein Eigentümer das Sagen, sondern der Verein, sprich: alle. Und das mit der Hitze, meint der Mann mit dem Faible für Elektromusik, lässt sich auch beheben. „Es ist eine Duschkabine: neunzig mal neunzig. Ein ganz normales Handwaschbecken. Waschmaschine. Eine Waage, um das Körpergewicht in Griff zu kriegen.“ Alles in bester Ordnung, in der Siedlung am Rande der Stadt, der kleinen. 
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