"Wir bauen ein Haus, das im Endeffekt niemandem gehört außer den Leuten, die im Haus wohnen. Aber auch nur solang sie im Haus wohnen. Und eigentlich gehört es denen auch nicht. Das ist ja das Geniale an diesem Prinzip vom Mietshäusersyndikat, dem wir uns angeschlossen haben."
Neues Wohnkonzept in Leipzig
Die Baustelle von "Klinge10" © Deutschlandradio / Ronny Arnold
Gemeinschaft statt Kapitalinteressen
12:13 Minuten
Leipzig wächst rasant, das macht sich auch in den Mieten bemerkbar. Doch statt Grundstücke zum Höchstpreis zu veräußern, investiert die Stadt in neue Konzepte, um ein attraktiver und diverser Ort zum Leben zu bleiben - wie zum Beispiel "Klinge10".
Nur wenige Grad über null sind es an diesem letzten Sonntag im November. Doch das hält die zukünftigen Bewohnerinnen und Bewohner der "Klinge10" nicht davon ab, hier auf der grau-grünen, ziemlich zugewucherten Wiese zusammenzukommen, die Feuerschale anzuwerfen und gleich den Spatenstich zu wagen.
David Slaby hat gerade gut gekühlten Sekt auf ein paar Becher verteilt, nun legt er noch Holzscheite nach. Es ist nasskalt, doch die Stimmung ist bestens. Alle freuen sich, dass in wenigen Tagen nun tatsächlich der Bagger anrollen wird. Alle, das sind momentan zwölf Erwachsene und 15 Kinder, die hier in knapp anderthalb Jahren einziehen wollen.
Endlich geht es los, nach unzähligen Besprechungen und Diskussionen rund ums Haus, hier im Leipziger Westen in der Klingenstraße 10. Die Sitzungen im Plenum, fast wöchentlich über drei Jahre hinweg, haben viel Energie und Kraft gekostet, sagt Slaby. Doch der 35-jährige Leipziger hat immer noch Lust auf das Projekt. Obwohl er nicht einmal Eigentümer sein wird:
Das Bauland kommt von der Stadt, verpachtet für 99 Jahre. 3400 Euro Pachtzins jährlich muss die Gruppe zahlen. Ein guter Deal, wenn man bedenkt, dass der Immobilienmarkt in Leipzig boomt und gerade jede kleine Lücke zugebaut wird. Leipzig ist in den letzten 15 Jahren um 100.000 Einwohner gewachsen. Diese nun 600.000 Menschen brauchen Wohnraum, bestenfalls bezahlbar. Deshalb habe sich Leipzig entschieden, so Slaby, einige städtische Grundstücke nicht nach dem Höchstgebot, sondern anhand nachhaltiger Konzepte zu vergeben.
Gemeinschaftliches generationenübergreifendes Wohnen
Ein Großteil des Geldes für das Hausprojekt kommt von Banken. Doch es musste auch ein Eigenanteil von etwa 500.000 Euro aufgebracht werden. Manch einer konnte einige tausend Euro einbringen, andere nur ein paar hundert. Verwandte und Freunde wurden gefragt, viele kleine Kredite eingeworben. Auf einer eigens eingerichteten Homepage gibt es Infos für Interessierte. Dort kann auch die Entwicklung der "Klinge10" im Blog mitverfolgt und sich etwa der Bauentwurf, mit einer imposanten Holzfassade, angeschaut werden.
490 Quadratmeter groß ist die Brachfläche, auf der sich die Gruppe nun für das Erinnerungsfoto aufstellt. Auf einem weißen Tuch steht in großen, roten Buchstaben: Spatenstich, 28.11.21. Dann dürfen die Kinder endlich den Spaten in die harte Erde rammen.
Gut zwei Millionen Euro wird der Bau kosten, erzählt Marcus Herget. Der 46-Jährige war einer der ersten, der sich 2017 mit der Ausschreibung der Stadt Leipzig beschäftigt hat und dachte: Das wäre was, mit vielen netten, engagierten Menschen unter einem Dach zusammenzuleben. In einer Gemeinschaft, wo sich am Anfang nur wenige kennen und die langsam zusammenwächst. Aufgepasst haben sie auch, dass im Haus keine klassischen Eigentumsverhältnisse entstehen.
"Eine Form von Gemeinschaftswohnen, das ist das Ergebnis dieses langen Diskussionsprozesses gewesen, wobei die Kernidee ist, dass wir in jeder Etage einen ziemlich großen Gemeinschaftsraum haben werden, der Küche und Lebens- und Wohnraum sein wird."
Leipzig will mehr Projekte wie "Klinge10"
Divers und solidarisch soll die "Klinge10" sein, so steht es auf ihrer Homepage: „Wir wollen gemeinschaftlich und solidarisch zusammen wohnen und leben. Nicht neben- oder gegeneinander, sondern miteinander. Solidarität soll unsere Antwort auf Vereinzelung, Konkurrenz, Unterdrückung und Diskriminierung sein."
Doch Kompromisse müssen gemacht werden. Schließlich herrscht auch im Leipziger Westen keine Anarchie. Wird am Ersten des Monats die Kreditrate fällig, muss hier etwas eingespart werden und dort etwas Geld reinkommen. Die ökologisch sinnvolle, aber zu teure Erdwärmeheizung etwa muss nun durch Fernwärme ersetzt werden. Und im Erdgeschoss zieht Gewerbe ein. Allerdings kein Supermarkt, sondern passenderweise ein alternatives Praxiskollektiv mit Physiotherapie, Hebamme und TCM, traditioneller chinesischer Medizin.
Auch Romy Gröschner wird in der "Klinge10" einziehen. Die 37-Jährige ist alleinerziehende Mutter zweier Kinder. Aktuell wohnt sie wenige Kilometer von hier im Plattenbau, zahlt 600 Euro im Monat für ihre Dreiraumwohnung. Ähnlich viel wird es in Zukunft auch im Hausprojekt sein. Doch ansonsten wird sich so ziemlich alles ändern, hofft Gröschner.
Sogar zwei Sozialwohnungen wird es in der "Klinge10" geben, erzählt sie. Direkt neben ihr werde zum Beispiel eine Mutter mit drei Kindern einziehen, für maximal 6,50 Euro kalt.
Ortswechsel. Besuch beim Leipziger Amt für Wohnungsbau und Stadterneuerung. Auch Heike Will, die stellvertretende Amtsleiterin, freut sich, dass es in der „Klinge10“ nun losgeht. Bereits 2015 habe Leipzig genau dafür ein wohnungspolitisches Konzept beschlossen, in dem unter anderem steht, dass die Stadt bezahlbaren Wohnraum schaffen möchten. Die Mittel dazu sind eben, das Grundstück nicht zum Höchstpreis zu veräußern, aber auch, dass es in städtischem Besitz bleibt und nur verpachtet wird:
"So schafft man mit diesen Wohngruppen eine bestimmte Identität im Stadtteil, man schafft neue Nachbarschaften, vielfältige Angebote in den Erdgeschosszonen, die diesen Stadtteil dann stärken. Es gibt einen angespannten Wohnungsmarkt und dem versucht man entgegenzuwirken mit solchen Angeboten."