Lavinia Braniște: "Sonia meldet sich"

Scheitern im Land der Verrückten

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Buchcover zu Lavinia Braniste: "Sonia meldet sich"
In Rumänien für fünf nationale Preise nominiert: "Sonia meldet sich" von Lavinia Braniste. © Deutschlandradio / Mikrotext
Von Olga Hochweis · 12.05.2021
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Eine junge Frau soll ein Drehbuch über die Ceaușescu-Zeit schreiben. Ihre Protagonisten lässt sie eine Art Erinnerungskrieg erleben, in dem die Vergangenheit entweder verklärt oder verschwiegen wird. Ein lesenswertes Fenster in ein unbekanntes Land.
Sonia ist knapp 30 und schlägt sich als Freiberuflerin beim Radio in Bukarest durchs Leben. Sie hat eine Kurzgeschichte in einem Sammelband veröffentlicht und macht einen Blog für junge Leute, in dem sie sich mit Fragen rund um das Thema Zukunft befasst. Doch dann ist es ausgerechnet die Beschäftigung mit der Vergangenheit, die ihr Leben durcheinander bringt. Ein erfolgloser Regisseur fragt sie an für ein Drehbuch über die Ceaușescu-Zeit. Als Grundlage soll eine Anekdote aus dem Jahr 1974 dienen, derzufolge die Frau des Diktators, Elena Ceaușescu, ein ganzes Mathematik- Institut schließen ließ, nachdem ihre Tochter Zoia eine Affäre mit einem dortigen Mitarbeiter begonnen hatte. Rund einhundert Personen sollen daraufhin ihren Arbeitsplatz verloren haben.

Recherche über den Geheimdienst Securitate

Sonia fühlt sich von ihrer neuen Aufgabe überfordert. Ihre Recherche beginnt mit Filmdokumentationen und Büchern über den Geheimdienst Securitate. Doch zunehmend rückt auch die Gegenwart ins Zentrum des Romans, namentlich Sonias direktes Umfeld: ihr Freund Paul, der nach mehreren Jahren in London resigniert zurückgekommen ist und mit dem sie eher halbherzig zusammenzieht, ihr schwuler Langzeit-Freund Dani, aber auch der Vater, der sich nie für sie interessiert hat, die frustrierte und andauernd besorgte Mutter oder auch der "ewig gestrige" Großvater.

Desolate rumänische Gegenwart

Leichtfüßig und dialogreich skizziert Lavinia das Leben einer jungen Frau im Bukarest von heute über den Zeitraum eines Jahres. Ihre Protagonistin erlebt in anschaulich gestalteten Szenen einen "Erinnerungskrieg", in dem die Vergangenheit entweder verklärt oder verschwiegen oder aber das eigene Leid besonders betont wird.
Die desolate rumänische Gegenwart liefert dazu eine Art Unterströmung – mit Bukarest als omnipräsenter Protagonistin. Man lebt in maroden Wohnungen, geht in billige, improvisierte Cafés und Kantinen, sieht sich ohnmächtig Misswirtschaft und Korruption gegenüber. Auch überholte Geschlechterverhältnisse und die Desillusionierung über gescheiterte Lebensentwürfe im "Land der Verrückten" sind ein Quell für Frust und Enttäuschung.
Das spiegelt auch Sonias persönliche Situation. Sie leidet – nicht nur mit Blick auf das Drehbuch-Projekt – unter Versagensgefühlen und an der Vergeblichkeit allen Tuns. Die Gespräche mit ihrer Therapeutin durchziehen den Roman. Am Ende zieht sie Konsequenzen. "Sonia meldet sich": der Buchtitel deutet nicht zuletzt an, dass sie sich neu und anders zurück ins Leben meldet.

Unaufgeregt, aber zugewandt

Für gleich fünf nationale Preise wurde "Sonia meldet sich" in Rumänien nominiert. Zwei der wichtigsten Preise im Land hat Lavinia Braniște schließlich bekommen. Die Autorin (Jahrgang 1983) ist nur unwesentlich älter als ihre Protagonistin und hat neben zwei Romanen auch Kurzgeschichten und Kinderbücher veröffentlicht. Unaufgeregt, aber zugewandt hat sie uns in einer lesenswerten Balance aus Lakonie und Emotionalität ein Fenster in ein Land geöffnet, von dem wir leider immer noch viel zu wenig wissen.

Lavinia Braniște: "Sonia meldet sich"
Aus dem Rumänischen von Manuela Klenke
Verlag Mikrotext Berlin
230 Seiten, 15,99 Euro

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