"Gefährlicher Glaube"

Betrachtungen über die Esoterik-Szene

21:07 Minuten
Kleine Kügelchen, auch Globuli genannt, vor einem Arzneifläschchen. Sie liegen auf einem Kräuterblatt. Globuli zählen zur homöopathischen Medizin. Ihre Wirkung ist umstritten.
Globuli gehören zum Instrumentenkoffer der Esoterik: Manchen hilft's, anderen nicht. Mehr Sorge bereitet Beobachtern der Szene die Tendenz zu Verschwörungsideologien. © picture alliance / Zoonar / Wolfgang Filser
Pia Lamberty und Katharina Nocun im Gespräch mit Christian Rabhansl · 08.10.2022
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Hilfe in allen Lebenslagen, mit Salben und Wundermitteln: Die Esoterik verspricht viel. Die Sozialpsychologin Pia Lamberty und die Politikwissenschaftlerin Katharina Nocun beschreiben in „Gefährlicher Glaube" die teils radikale Gedankenwelt dahinter.
Die meisten Menschen werden irgendwann einmal im privaten Umfeld mit Esoterik konfrontiert, sagt Sozialpsychologin Pia Lamberty. Da seien der Freund, die Freundin, die immer abstrusere, gefährlichere Dinge glaubten. Als Sozialpsychologin interessiert, welche Einstellungen dahinterstehen und wie diese Welten mit anderen verbunden sind. 
Für Politikwissenschaftlerin Katharina Nocun war der Ausgangspunkt der Recherche die kritische Beschäftigung mit der AfD. Sie hat nach Beiträgen auf ihrem Blog "ganz viel Fanpost“ bekommen: Sie sei insgeheim jüdisch und gehöre ins KZ. Zudem sei ihr Name auf einer „Todesliste“ aufgetaucht. „Man hat gemerkt, dass mich Leute plötzlich in ihre kruden Weltbilder einbauen, in ihre Verschwörungserzählungen."
Sie hat bei Querdenkerdemos beobachtet: Esoteriker stehen teils Seite an Seite mit Rechtsextremisten, machten mit ihnen gemeinsame Sache. Für Menschen, die sich schon länger mit der Szene beschäftigen, sei aber klar: „Esoterik und Verschwörungserzählungen gehen oft Hand in Hand.“

Esoterik arbeitet mit der Währung Hoffnung

Im Zuge der Recherche haben die Autorinnen unter anderem eine Esoterikmesse besucht. Dort würden etwa Edelsteine angeboten, die gegen alles Mögliche helfen sollen, teilweise sogar gegen Krebs, erzählt Pia Lamberty.
Was die Autorinnen mit am meisten schockierte: ein Arzt, der gegen das Impfen gewettert habe, angereichert mit rassistischer Rhetorik und schwulenfeindlichen Aussagen. Im Saal habe niemand Gegenrede gehalten, es habe eher Applaus gegeben, Leute hätten ihn umringt. Man habe „gesehen, wie schnell esoterische Welten in diesen rechtsextremen Glaubenssätzen zusammenfinden können".
Das Cover des Buches "Gefährlicher Glaube - Die radikale Gedankenwelt der Esoterik" von Pia Lamberty und Katharina Nocun. Auf dem Cover ist um den Titel herum ein leuchtender Umkreis in bunten Farben zu sehen, der an einen Heilstein erinnert.
Gefährliche Grauzone: Der Glaube an Horoskope, alternative Heilmethoden, Pillen und Salben kann unter Umständen gefährlich werden. © Deutschlandfunk / Quadriga
„Gerade im Gesundheitsbereich arbeitet Esoterik vor allem mit der Währung Hoffnung", sagt Autorin Katharina Nocun. Oftmals würden Menschen adressiert, die sich in sehr vulnerablen Situationen befänden. Sie bekämen vielleicht vom Arzt eine Perspektive aufgezeigt , „aber der Weg dahin macht Angst".

Glaube an Heilung durch Gedankenkraft

Chemotherapie wirke und habe Nebenwirkungen. Da sei es vielleicht ein Hoffnungsschimmer am Horizont, wenn man glaube, man könne das durch Gedankenkraft, Meditation oder Heilsteine lösen. Gerade in dem Bereich werde es richtig hässlich.
Denn wenn jemand meint: Zuckerkügelchen helfen beim Einschlafen, sei das eine Sache. Wenn dieselbe Person die Zuckerkügelchen bei Krebs nehme und keine normale Therapie mache, dann könne es schnell lebensbedrohlich werden.

Gefahr vermeintlicher Heilmittel

Und nicht immer seien die Ansichten, die sich dahinter verbergen, harmlos. In einem Yogakurs sei gesagt worden, es sei das Karma der Juden, von den Deutschen vernichtet worden zu sein. Auch das sei Teil der Esoterikszene, sagt Politikwissenschaftlerin Nocun. Das werde oftmals ausgeblendet.

An dieser harmlosen Fassade ist nichts mehr dran, wenn man nur leicht anfängt, daran zu kratzen.

Politikwissenschaftlerin Katharina Nocun

Es sei "keine einfache Recherche" gewesen, mit so viel menschlichem Leid konfrontiert zu werden, sagt Pia Lamberty. Ein weiteres Beispiel seien vermeintliche Heilmittel wie CDL, MMS oder schwarze Salbe. Die Mittel enthielten oftmals ätzende Stoffe wie Chlor. Das fräse mitunter ein Loch an die Stelle, an der vormals ein Pickel war.

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Verätzungen würden jedoch sogar als Beleg genommen, dass das Ganze wirke. Die Mittel würden auch bei Kindern angewandt. Es sei eine Sache, beispielsweise einen Talisman bei leichtem Stress beim Fliegen mitzunehmen, findet Autorin Lamberty. Aber eine Grenzziehung zu den wirklich schädlichen Mitteln finde nicht statt. „Das macht es extrem schnell gefährlich."

Anstrich von Wissenschaftlichkeit

Vor allem beim Thema Gesundheit sei die Wissenschaftsverachtung offensichtlich, sagt Katharina Nocun. „Da sind Verschwörungserzählungen über Medizin und Wissenschaft schlichtweg eine Immunisierungs-Strategie." Nach dem Motto: Wissenschaftliche Studien sind doch eh von der Pharmaindustrie gefälscht.
Auf einem Schild steht: "Demokratie braucht Wahlfreiheit auch beim Impfen", auf einem zweiten "Gen = Gefahr Viele Jahre". Am 5. Januar 2022 riefen verschiedene Querdenken-Gruppen zu illegalen Versammlungen, getarnt als Spaziergänge, in München auf.
Die Nähe von Querdenkenen und Esoterik überrascht nicht, sagen die Autorinnen. © imago images / aal.photo / Alexander Pohl
Gleichzeitig versuchten Teile der Szene, den Anschein von Wissenschaftlichkeit zu wahren. Besonders beliebt sei das Nutzen von hochtrabenden wissenschaftlichen oder pseudowissenschaftlichen Begriffen wie beim Bioresonanzgerät.
Tatsächlich hätten aber Studien gezeigt: Die Geräte fänden keinen Unterschied zwischen einem gesunden Menschen, einer Leiche und einem Stück Leberkäse.

Lieber Sehhilfen statt Globuli finanzieren

Viele Esoteriker beriefen sich neuerdings auf Quantenmechanik. Die wenigsten wüssten Genaueres darüber, daher sei es einfach zu sagen, etwas basiere auf Quantenmechanik. Gleichzeitig würden sogar Grundlagen der Physik nicht verstanden. Diese Marketingstrategie funktioniere aber.  
Als ein Problem sehen es die Autorinnen, dass esoterische Präparate wie Globuli von Krankenkassen bezuschusst und in Apotheken verkauft würden. Es suggeriere: Etwas muss da dran sein. Wenn ich da auch noch Zuckerkügelchen kaufen kann, gebe das einen gewissen Anschein von Seriosität, gibt Katharina Nocun zu bedenken.
Stattdessen sollten Krankenkassen lieber voll und ganz die Sehhilfe bezahlen. „Da gibt es eindeutige Evidenz, dass sie den Betroffenen auch wirklich hilft.“  

Fakten und Meinungen

Die Homöopathie stehe für etwas, für gewisse Glaubenssätze, ergänzt Pia Lamberty. Für einen Blick auf die Welt, der von Wissenschaftsfeindlichkeit, von Ablehnung von Evidenz geprägt sei. Wissenschaftsfeindlichkeit führe dazu, dass Menschen beispielsweise auch den Klimawandel leugneten oder Maßnahmen ablehnten.

Wir haben hier mit einem größeren Problem zu tun, das sich in der Esoterik manifestiert, da aber nicht aufhört.

Sozialpsychologin Pia Lamberty

Da müsse man vielleicht als Gesellschaft eine Linie ziehen, „dass Fakten Fakten sind und Meinungen Meinungen". Das dürfe sich bei aller Komplexität nicht immer vermischen.

Befriedigung eines gewissen Narzissmus

Wer aber ist besonders anfällig für falsche esoterische Versprechen? Überraschenderweise gebe es in der Forschung kein großes, systematisches Forschungsprogramm, sagt Psychologin Lamberty. Man wisse aber: In der Regel glauben Frauen stärker an solche Glaubenssätze, oft würden sie gezielt angesprochen. Etwa um die "innere Göttin" zu finden oder in Einklang mit der Weiblichkeit kommen.
Oftmals fühlten sich Betroffene bei Kontrollverlust wie Diagnosen besonders angesprochen, in Situationen, in denen man nicht wisse, was passiere. Ein Zugang sei aber auch: Man könne sich höherstellen, wenn man über Geheimwissen verfüge, was nicht jeder oder jedem zugänglich sei. Das befriedige einen gewissen Narzissmus.
Esoterik sei nicht immer rechtsradikal oder gefährlich, bilanzieren die Autorinnen, warnen aber auch:
„Das, was vielleicht harmlos, skurril aussieht, muss es nicht sein. Man darf nicht erst hingucken, wenn es radikal wird. Sondern man muss vorher verstehen, man muss vorher genau sehen, was sind gefährliche Versatzstücke, die Auswirkungen auf unsere demokratische Gesellschaft haben, die ja gerade von allen möglichen Seiten attackiert wird."
Je mehr Menschen sich in solche Welten stürzten, desto schwieriger werde es für eine Demokratie.

Pia Lamberty, Katharina Nocun: "Gefährlicher Glaube. Die radikale Gedankenwelt der Esoterik"
Quadriga Verlag, Köln, 2022
304 Seiten, 22 Euro

(ros)
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