Esoterische Verschwörungserzählungen

Gefährliche Heilsversprechen

30:12 Minuten
Graffitti aus dem Spektrum der Verschwörungsgläubigen an einer Mannheimer Brücke.
"Je stärker der Verschwörungsglaube, desto eher lehnt man Medizin ab, desto weniger nutzt man sie und desto eher wendet man sich Alternativen zu“, sagt die Sozialpsychologin Pia Lamberty. © picture alliance / Daniel Kubirski / Daniel Kubirski
Von Katharina Nocun  · 29.09.2022
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Esoterik und Verschwörungsglaube gehen oft miteinander einher. Ängste werden geschürt, wissenschaftliche Erkenntnisse ignoriert. Dahinter steckt auch ein Geschäftsmodell. Die Grenze zu menschenfeindlichen Ideologien verschwimmt dabei zusehends.
Wer schon einmal mit einer schlimmen medizinischen Diagnose konfrontiert war, kennt sicherlich dieses schreckliche Gefühl der Hilflosigkeit. Von einem auf den anderen Moment steht die Welt Kopf. In einem tobt dieses schreckliche Gefühlschaos. Und über allem schwebt die große Frage: Was soll ich tun? Oder: Was kann ich tun?

Die meisten Menschen vertrauen in solchen Situationen auf den Rat medizinischer Expertinnen und Experten. Doch das gilt längst nicht für alle. Der Markt für esoterische Heilsversprechen boomt. Online wird Krebspatienten versprochen, Tumore durch Gedankenkraft zum Verschwinden zu bringen. Raumsprays mit magischer Essenz sollen Depressionen heilen. Doch was bringt eigentlich Menschen dazu, auf Behandlungen zu setzen, die wissenschaftlichen Studien zufolge keinerlei Wirksamkeit haben?

Besuch auf der “Spiritualität und Heilen”-Messe

Um das herauszufinden, besuche ich die “Spiritualität und Heilen”-Messe in Berlin-Wilmersdorf. An einem Stand werden dort energetisch aufgeladene Kuscheltiere für Kinder mit ADHS angeboten. Ein paar Meter weiter heißt es, Rheuma und andere Krankheiten ließen sich durch Handauflegen heilen. Im großen Saal kann man an der Auslage eines Händlers aus einer bunten Palette von Heilsteinen wählen. Die rosafarbenen sollen gegen Krebs helfen. Wenn die Krankheit schon weit fortgeschritten ist, berichtet mir der Verkäufer, müsse man einfach etwas länger warten.  
Ein Rosenquarz Kristall in Nahaufnahme.
Wer daran glaubt, kann aus einer bunten Palette von Heilsteinen wählen.© imago images / vvoennyy
Ich bin sprachlos, wie man allen Ernstes so etwas behaupten kann.
Mit Esoterik lässt sich gerade beim Thema Gesundheit eine Menge Geld verdienen. Nicht selten werden dabei gezielt Menschen angesprochen, bei denen viel auf dem Spiel steht. In der Regel werden Kunden dabei mit falschen Versprechen geködert.
Das weiß auch Natalie Grams-Nobmann. Sie ist Ärztin und verfasst Bücher, in denen sie über esoterische Pseudomedizin aufklärt. „Das, was esoterische Behandlungen aus meiner Sicht so anziehend macht, ist einfach die Tatsache, dass es als ein besonderes Add-on rüberkommt. Als was Magisches, was Mystisches oft, was natürlich ein krasser Kontrast zur ‚Schulmedizin‘ darstellt. Da nimmt sich jemand Zeit, da schwingen die Assoziationen ‚sanft‘, ‚natürlich‘, fast sogar ein bisschen ‚magisch‘ mit. Das schadet auch ganz bestimmt nicht. Da habe ich nicht so große Angst wie vor einer Chemotherapie, wo ich ja weiß, dass die mit Nebenwirkungen einhergeht. Und das macht das Ganze natürlich wahnsinnig attraktiv, wenn auch nicht wirksam.“

Wissenschaftliche Studien sucht man vergeblich

Nach wissenschaftlichen Studien, die eine Wirksamkeit attestieren, sucht man hier vergeblich. Stattdessen hat manch ein Heiler angebliche Erfolgsberichte ausgedruckt und an seinen Stand gehängt. Doch auf solche Testimonials, so die Ärztin Natalie Grams-Nobmann, sollte man nicht allzu viel geben. Denn was dahinter steckt lässt sich nur schwer sagen.

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„Ja, es gibt natürlich einige Tricks um die Wirkungslosigkeit zu verschleiern. Ich meine, das Häufigste ist ja einfach, dass geschätzte 80 Prozent aller Beschwerden sowieso von alleine vergehen. Dass unser Körper ja ein Immunsystem und vielfache Reparaturmöglichkeiten und -mechanismen hat, sodass man die allermeisten Erkrankungen überwindet, übrigens auch schwere Erkrankungen. Ja, wenn die Zeit nur genug vorhanden ist“, sagt sie.
„Und dann ist es natürlich auch so, dass man oftmals vergisst oder verdrängt oder nicht erwähnt, dass zusätzlich auch eine wirkliche medizinische Behandlung stattgefunden hat. Dann kann man die Wirkung sozusagen dem esoterischen Glauben oder Verfahren zuschreiben obwohl es eigentlich die ‚böse Schulmedizin‘ war. Und dazu kommt natürlich auch, dass wir Menschen komplexe Wesen sind, die über eine komplexe Psyche verfügen, wo dann auch der Placeboeffekt, Erwartungshaltung, die Zuwendung eine Wirkung haben kann. Also wirklich eine reale Wirkung. Aber das ist halt eher was Psychologisch-Zwischenmenschliches, als der Effekt der esoterischen Behandlung.“

Drastische Falschinformationen

Gibt es nicht vielleicht noch andere Faktoren, die für die Popularität esoterischer Pseudomedizin eine Rolle spielen?
Diese Frage beschäftigt mich, während ich mir meinen Weg vorbei an Wahrsagern, merkwürdigen Apparaturen und angeblich energetisch aufgeladenen Bildern durch die Halle bahne. Am Nachmittag besuche ich einen der vielen Vorträge. Der Referent ist Arzt, glaubt aber auch an Alchemie und Tarot. Thema des Vortrags: Impfungen. Ich erwarte nichts Gutes, bin aber trotzdem gespannt.
Als ich den Saal betrete, warten bereits ein paar Dutzend Menschen auf den gepolsterten Stühlen. Ich nehme möglichst unauffällig in einer der hinteren Reihen Platz. Dann fängt der Referent an zu sprechen. Er hat sogar ein paar Power-Point-Folien mitgebracht. In der darauffolgenden Stunde erfahre ich unter anderem, dass Impfungen angeblich die „spirituelle Aura“ zerstören.
Doch es bleibt nicht bei drastischen Falschinformationen zum Thema Medizin. Der Esoterik-Arzt redet sich immer mehr in Rage.
Wenig später heißt es: Menschen, die die gleichgeschlechtliche Ehe befürworten, stünden auf einer „spirituellen Ebene“ mit Schnecken und Würmern. Der ganze Saal lacht. Abschließend wird noch beiläufig vor einer angeblich geplanten „Bevölkerungsreduktion“ gewarnt.

Mischung aus Esoterik und Verschwörungsglaube

Als ich den Saal verlasse, habe ich das Gefühl, zu lange in einen Abgrund geblickt zu haben. Und bin froh, in diesem Moment nicht allein mit meinen Gedanken zu sein.
„Es gab keinen Widerspruch im Raum. Keiner hat da irgendwas gegen gesagt. Und da merkt man dann doch schnell: Das ist nicht lustig.“ Pia Lamberty ist Sozialpsychologin und hat mich an diesem Tag begleitet. Wir recherchieren für unser gemeinsames Buch zur radikalen Gedankenwelt der Esoterik. Für die Expertin ist eine solch krude Mischung aus Esoterik und dem Glauben an eine große Verschwörung allerdings keine Überraschung. Vielmehr war es genau das, was sie auf einer Esoterikmesse erwarten würde.
„Wer sich mit der Verschwörungsszene in der Pandemie so ein bisschen auseinandergesetzt hat, der hat ja wahrscheinlich sehr schnell gemerkt, dass Esoterik da auch immer wieder eine Rolle gespielt hat. Und das war schon vor der Pandemie so. Und deshalb haben damals, einige Jahre vor Covid19, Roland Imhoff und ich uns hingesetzt und haben gesagt: Wir müssen uns damit mal auseinandersetzen wie der Zusammenhang ist zwischen dem Glauben an Verschwörungen und esoterischen Praktiken“, erzählt Pia Lamberty.
„Und wir haben dann eine Liste erstellt mit 37 verschiedenen Ansätzen, das waren dann Sachen wie Impfungen, Reiki, Massagen, Qigong. Also wirklich alles mit dabei, sowohl aus dem medizinischen Bereich aber auch aus so einem alternativen Bereich. Und haben dann die Menschen zu einen gefragt: Wie sinnvoll finden sie diese Ansätze und inwiefern nutzen sie die auch für sich. Und ich muss sagen, ich habe selten so ein klares Muster gesehen, wie in diesen Daten. Dass wirklich man durchgängig zeigen konnte: Je stärker der Verschwörungsglaube, desto eher lehnt man Medizin ab, desto weniger nutzt man sie und desto eher wendet man sich Alternativen zu.“

Stark überzeichnete Feindbilder

Es ist natürlich die große Frage, ob Menschen zuerst an eine große Verschwörung in der Medizin glauben und sich infolgedessen dann der Esoterik zuwenden. Oder aber ob Menschen durch die Esoterikszene in Kontakt zu Verschwörungserzählungen kommen. Wahrscheinlich spielt beides eine Rolle. Klar ist aber, dass damit vor allem stark überzeichnete Feindbilder konstruiert werden. Das ist eines der wichtigsten Markenzeichen von Verschwörungserzählungen. Medizin und Wissenschaft, so scheint es, werden in der Esoterik auffällig oft böse Absichten unterstellt.
Eine Demonstrantin auf einer "Hygienedemo" in Berlin trägt ein Schild auf dem T-Shirt mit der Aufschrift "#Befreiung der Maskenpflicht" und ein "Querdenken"-Button an ihrem Rucksack.
Medizin und Wissenschaft, so scheint es, werden in der Esoterik auffällig oft böse Absichten unterstellt. © Getty Images / Adam Berry
“Ein Grund dafür ist eben diese Ablehnung von ‚denen da oben‘, also allen, die man als mächtig wahrnimmt. Dass man denen mit Vorurteilen gegenübersteht und das ist ja auch was, was man in diesen Diskursen ganz häufig sieht. Dass das dann heißt, also die Pharmafirmen haben auch viel Geld, das stimmt, aber dass eben die Esoterikbranche als gut, als eben nicht kommerziell interessiert dargestellt wird. Und das ist eben dieses psychologische Konstrukt, was wir da auch zeigen konnten“, sagt Pia Lamberty.
Geschichten einer angeblichen großen Verschwörung wirken in der Esoterikszene oft als eine Art Immunisierung gegen Kritik. Auf der einen Seite die vermeintlich ganzheitlich und nur am Wohl der Menschen ausgerichtete Esoterik, auf der anderen Seite eine angeblich nur an Profit interessierte Medizin. Verschwörungserzählungen sind eine äußerst effektive Strategie, um davon abzulenken, dass sich die Wirksamkeit angeblicher Wundermittel nicht belegen lässt. Wer den Beweis schuldig bleibt, verteufelt nicht selten kurzerhand wissenschaftliche Methoden und seriöse Forschungsinstitute.

Menschen vergiften sich mit Chlordioxid

Dem Autor Paul-Eduard Rück bereitet diese Haltung große Sorgen. Er beobachtet seit Jahren einschlägige Gruppen und Kanäle auf Telegram & Co. Unter dem Pseudonym Professor Schwurbelstein klärt er online und in Buchform über die Gefahren esoterischer Weltbilder auf.
„Eine Faustregel in der Szene ist im Grunde: Alles, was offiziell, also in der Wissenschaft, in den Medien als gesund proklamiert wird, ist es in Wahrheit nicht. Und umgekehrt. Und ja, so kommt es dann eben, dass Menschen sich mit Chlordioxid vergiften und so vielen anderen Quark.“
In der Esoterikszene kursiert seit vielen Jahren der Irrglaube, das Trinken von Chlordioxid-Lösung – kurz CDL – würde sich positiv auf die Gesundheit auswirken. Bei der Substanz handelt es sich allerdings vereinfacht gesagt um Chlorbleiche. Auf Telegram berichten Nutzer immer wieder von Symptomen wie Durchfall und deuten das als Zeichen dafür, dass das Mittel die gewünschte Wirkung entfaltet und den Körper „reinigt“. Tatsächlich rührt die Reaktion aber daher, dass die Schleimhäute der Betroffenen auf Verätzungen regieren. Weltweit gab es schon mehrere Todesfälle infolge solcher “Kuren”. Manchmal wird die giftige Substanz auch empfohlen, um damit vermeintliche Schadstoffe nach Impfungen aus dem Körper „auszuleiten“.
Die Idee, man müsse nach Impfungen sogenannte Ausleitungen durchführen, ist ein Dauerbrenner in der Esoterik-Szene, erklärt die Ärztin Natalie Grams-Nobmann.
„Impfungen ausleiten – großes Heilpraktiker-Tätigkeitsfeld! Gibt’s aber auch bei Ärztinnen. Also man geht halt davon aus, dass die Impfung Gift ist oder zumindest sehr giftige Anteile enthält, und dass die, wenn man sozusagen sich hat impfen lassen, dass man wenigstens das und die schädliche Wirkung der Impfung abmildern kann oder sogar ausleiten kann, indem man das irgendwie macht. Und ja, man verspricht sich davon, dass dann halt quasi nur die Wirksamkeit der Impfung übrigbleibt.“  

Markt für esoterische Ausleitungen boomt

Nicht immer kommen dabei wohlgemerkt toxische Stoffe wie CDL zum Einsatz. Viele Anhänger des Ausleitungsmythos greifen auch zur Homöopathie. Andere meinen, die vermeintliche Gefahr mittels Gedankenkraft bannen zu können. Eines haben aber alle Verfahren gemein: Es gibt keinen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass eine solche Behandlung medizinisch irgendwie sinnvoll wäre. Trotzdem: Der Markt für esoterische Ausleitungen boomt.
„Wie solche Ausleitungen konkret stattfinden ist wirklich sehr unterschiedlich“, sagt Paul-Eduard Rück. „Ein Beispiel, dass mir da immer begegnet ist: Eine Fachärztin für Homöopathie, die sowas wie Blütenessenz-Therapie anbietet, verkauft in ihrem Online-Shop eine Essenz mit dem unmissverständlichen Namen ‚Impfausleitung‘. Das ist dann so ein kleines Fläschchen für 20 Euro und das wird dann wie folgt beschrieben: Man soll einfach mehrere Sprühstöße mehrmals täglich rund um den gesamten Körper auftragen. Am besten intensiv um den Kopf herum. Und im Idealfall schon einige Tage vor der Impfung, dann wäre man besonders gut gerüstet.“
Das Geschäftsmodell profitiert von Ängsten der Betroffenen. Ängsten, die oft genug durch Verschwörungserzählungen zum Thema Impfungen geschürt wurden. Und das nicht erst seit Corona. Der Tarot-legende Impfgegner-Arzt von der Esoterikmesse in Berlin-Wilmersdorf hat zum Beispiel schon vor der Pandemie verbreitet, Impfungen würden die angebliche spirituelle Aura zerstören. Aber selbst Anhänger solcher kruden Geschichten werden auf dem Markt für Ausleitungen fündig.
„Dann gibt es aber auch viele, die eine sogenannte energetische Impfausleitung anbieten. Mit dieser Art der Ausleitung werden dann angeblich die Informationen der Impfbestandteile gelöscht und energetisch ausgeleitet, damit sie sich im Körper nicht manifestieren und schaden können“, so Paul-Eduard Rück weiter.
„Ich habe da zum Beispiel eine Heilpraktikerin gefunden, die das so beschreibt, dass sie sich gedanklich mit dem Kunden verbindet und dann die negative Ladung der Impfung löscht bzw. ausleitet. Das Ganze funktioniert, wie sie beschreibt, über Quantenfrequenzen, auch ein Begriff, der in der esoterischen Pseudomedizin wirklich sehr, sehr inflationär benutzt wird. Die Behandlung kostet hier in dem Fall tatsächlich 680 Euro. Schnäppchen.“

Misstrauen gegenüber der Medizin wird bestärkt

Man kann es wirklich nicht oft genug betonen: Medizinisch ist das ganze Konzept von Impfausleitung haltlos, ob nun mit Globuli oder energetischer Fernheilung.
Nun könnte man sich auf den Standpunkt stellen: Gut, so lange Menschen keine Chlorbleiche trinken und lediglich wirkungslose Behandlungen für viel Geld kaufen, ist niemand zu Schaden gekommen – außer vielleicht der Geldbeutel der Betroffenen. Ganz davon abgesehen muss man ja sagen: Wenigstens lassen sich diese Menschen noch impfen.
Ganz so einfach sollte man es sich nicht machen. Denn zum einen verbreiten Anbieter natürlich – allein schon aus wirtschaftlichem Eigeninteresse – den Mythos, Impfungen wären ohne esoterische Zusatzbehandlung schädlich, kräftig weiter. Zum anderen werden Menschen, die an Verschwörungserzählungen zum Thema Impfungen glauben, durch solche Angebote in ihren Ängsten und ihrem Misstrauen gegenüber der Medizin bestärkt.
„Ich möchte hier wirklich festhalten, dass man das Ganze nicht so verharmlosen sollte. Denn, hat man einen Fuß in diese pseudowissenschaftliche Parallelwelt gesetzt, droht man vielleicht nach einer Zeit ganz von ihr verschlungen zu werden. Ich finde, es ist ein äußerst schmaler Grat zwischen ‚es kann ja nie schaden‘ und ‚es ist bei einem Leiden meine erste Wahl‘. Denn wer die Erfahrung gemacht hat, dass sich ein Kind beispielsweise nach einer Impfausleitung ‚besser fühlt‘, spart sich die nächste Impfung womöglich komplett. Oder konsultiert in einem womöglich ernsten Krankheitsfall dann lieber die Geistheilerin von neulich oder den Schamanen. Obwohl das Kind vielleicht unter besonders schweren Umständen in einem Krankenhaus besser aufgehoben wäre“, sagt Paul-Eduard Rück.
Innerhalb der westlichen Esoterik führen solche Überzeugungen aber immer wieder dazu, dass Menschen eingeredet wird, sie trügen selbst die Schuld an ihrem Leid. Die Sozialpsychologin Pia Lamberty sieht hier eine toxische Dynamik.
„Was man eben auch sieht, ist, dass im esoterischen Weltbild dieser Glaube an eine gerechte Welt ganz stark verankert ist. Und was das meint, ist, dass man davon ausgeht, dass es in der Welt eine Ordnung gibt, nach der es gerecht zugeht. Und das heißt, die Menschen, denen Gutes passiert, die verdienen das. Und umgekehrt aber leider auch: Wenn einem etwas Schlechtes passiert, dann hat man das auch verdient, weil man zum Beispiel in diesem oder einem früheren Leben schlechte Dinge gemacht hat.“

Mit dem richtigen Mindset winkt Wohlstand

Die eigene Schuldbilanz lässt sich angeblich am sogenannten Karma ablesen. Wie mein Karma aussieht, weiß ich nicht. Aber dank der Esoterikmesse habe ich nun ein Foto meiner Aura.
Es ist weniger beeindruckend, als ich erwartet habe und sieht irgendwie nach einer billigen Photoshop-Kopie aus.
Eine Frau hält auf der Esoterikmesse in Köln ihre Hände für eine Aura-Foto auf Sensoren.
Auf Esoterikmessen werden Aura-Fotos angeboten - die dann auch ausgewertet werden.© picture alliance / dpa / Oliver Berg
Den Rest des Tages verbringe ich damit, über die Messe zu flanieren. Nicht wenige Anbieter behaupten, man könne mit etwas Übung und dem richtigen Zubehör feinstoffliche Kräfte in sich zum Leben erwecken.
Mit Gedankenkraft die Realität beeinflussen – wer will das nicht? Statt von Magie spricht man heutzutage aber lieber von “Gedanken Manifestieren”. Mit dem richtigen Mindset, so die Botschaft vieler Esoteriker, winken Wohlstand – und körperliche Gesundheit. Auf die Frage, warum dann nicht längst jeder in Geld schwimmt, gibt es natürlich eine Antwort: “Klar, die da oben” wollen angeblich verhindern, dass alle davon erfahren. Doch weder die Kunden noch die Anbieter wirken, als würden sie als Beleg der These taugen. Ausgenommen jene bekannten Esoteriker, die durch den Verkauf ebendieser Ratgeber reich geworden sind. Warum aber fallen trotzdem so viele Menschen auf esoterische Heilsversprechen rein?
Die Sozialpsychologin Pia Lamberty hat dazu eine These. “Man wird plötzlich zur Göttin seines eigenen Selbst. Man ist in der Lage scheinbar auch gegen Krankheiten vorzugehen, wenn man nur die richtige Zauberformel weiß. Das macht ja was. Das strukturiert ja eine Welt, und deswegen wird ja auch immer wieder diskutiert, ob gerade auch in Krisen Menschen anfällig sind für so esoterische Welterklärungsmodelle“, sagt sie.
„Aber das ist natürlich nicht das einzige. Da finden sich wirklich große Überlappungen auch mit dem Verschwörungsglauben. Man kann sich eben über den Glauben an Esoterik ja auch über andere stellen. Also man hat dann das Gefühl, man hat so ein Geheimwissen. Das ist ja auch die Definition von Esoterik und die anderen haben da eben keinen Zugang zu. Also ich kann die Palmblatt-Bibliothek lesen, die anderen können das nicht. Die sind nicht erleuchtet genug, haben nicht genug an sich gearbeitet. Das heißt, das macht auch was mit dem Selbstwert und wahrscheinlich grad auch nochmal in der Überlappung mit diesem Krisenmoment ist das eine Möglichkeit der Selbstaufwertung.“

Esoterische Inhalte in jedem Verschwörungsmilieu

Die Überscheidungen zwischen Esoterik und Verschwörungsszene treten dabei keineswegs nur bei Veranstaltungen wie der Esoterikmesse zu Tage.
„Esoterische Inhalte gehören eigentlich zum guten Ton in nahezu wirklich jedem Verschwörungsmilieu. Ich würde aber sogar inzwischen behaupten, dass sich das Ganze längst gedreht hat. Also, dass man die Eingangsfrage tatsächlich anders stellen könnte oder müsste. Also nicht auf welche esoterischen Inhalte stößt man in verschwörungsideologischen Gruppierungen, sondern umgekehrt: Auf welche Verschwörungen stößt man in Esoterik-Kreisen. Und die Antwort lautet: Auf alle leider. Und man findet dort Diskussionen über Chemtrails, über tödliche 5G Strahlen, reptiloide Weltherrscher und und und und“, sagt Paul-Eduard Rück.
„Das ist, wenn man sich länger damit beschäftigt, auch gar nicht verwunderlich. Eine esoterische Weltanschauung ist tatsächlich auch nur die Eintrittskarte in eine ganze Welt, die die Grenzen zum totalen Realitätsverlust überschreitet. Ich meine, was gibt’s da alles? Reinkarnierte Atlantis-Bewohner, magische Kristallschädel, Astralreisen, Kommunikation mit Engeln, mit Aliens, Drachen und anderen Fabelwesen. Sogar die Flache Erde ist dort oft Thema, die hohle Erde – die sogar noch mehr. Nahezu alles, was die Fantasie hergibt ist in Esoterikkreisen inzwischen vertreten. So kann man sich natürlich leicht in eine Art Wahn hineinsteigern, der dazu führt, dass alles, was nicht in dieses esoterische Weltbild passt, als Lüge oder eben als schlecht, böse und gefährlich betrachtet wird.“
Gerne wird bei Debatten über die Szene auch vergessen, dass Verschwörungserzählungen quasi zum Standardrepertoire von sogenannten Psychogruppen gehören.
„Und dann heißt es ja oft nur noch ‚Wacht auf‘ und ‚Informiert Euch selbst‘. Wobei das mit Informieren natürlich immer so eine Sache ist, denn damit sind natürlich immer nur ‚Quellen‘ gemeint, die die eigene Weltanschauung bestätigen. Und alles, was das Ganze dann als Unsinn enttarnt, ist selbstverständlich gelogen. Esoterik und Verschwörungsmythen gehen also für mich wirklich längst Hand in Hand. Das kann man finde ich einfach nicht mehr leugnen.“

US-Experten bezeichnet QAnon als eine Art Kult

Die Grenze zwischen Verschwörungsglaube und sektenähnlichen Gruppierungen verschwimmt dabei an vielen Stellen. Einige US-Experten bezeichnen etwa QAnon, die weltweit aktive verschwörungsideologische Strömung, die Donald Trump für einen Messias hält, als eine Art Kult. Zu Deutsch: Sekte. Gar nicht so wenige radikale Esoteriker haben während der Pandemie QAnon-Inhalte verbreitet. Für einen solchen unseligen Pakt zwischen politisch orientierten Verschwörungsideologien und Esoterik gibt es im Englischen sogar einen Begriff: „Conspirituality“. Abgeleitet aus „Conspiracy“, zu Deutsch Verschwörung und „Spirituality“, also Spiritualität.
Demonstration von verschwörungsgläubigen Extremisten 2022 in Nürnberg
Demonstration von verschwörungsgläubigen Extremisten 2022 in Nürnberg: Es gibt einen Pakt zwischen politisch orientierten Verschwörungsideologien und Esoterik.© picture alliance / ZUMAPRESS.com / Sachelle Babbar
“Bei dem Begriff geht es eben genau darum, dass letztendlich der Glaube an Verschwörungen und esoterische Weltbilder zu einem verschmelzen. Und das findet man ja doch recht häufig, dass eben so eine Idee da ist, ein neues Zeitalter würde bevorstehen, die Weltordnung würde sich ändern und ‚die da oben‘ hätten einen geheimen Plan. Das heißt, das wird so miteinander integriert. Oft geht’s eben auch genau darum, dass ja auch menschenverachtende Verschwörungserzählungen ein bisschen harmloser daherkommen sollen, und dass man so auch versucht tatsächlich ja vielleicht auch strategisch neue Zielgruppen zu erreichen. Man hat das beispielsweise bei QAnon gesehen, die sogenannten Pastell-Mums, die eben, Ja, harte demokratieverachtende, menschenverachtende Inhalte verbreiten. Und das alles unter dem Mantel der Esoterik.“
Mit Pastell-Mums, zu Deutsch Pastell-Mütter, sind Esoterik-Anhängerinnen gemeint, die auf szeneüblich pastellfarbenen Instagram-Bildern QAnon-Inhalte verbreiten. Man könnte einwenden, QAnon sei in Deutschland nicht so populär wie in den USA. Eine repräsentative Umfrage des ThinkTanks CeMAS aus dem Jahr 2022 zeigt jedoch, dass hunderttausende Menschen in Deutschland Inhalten der QAnon-Anhänger zustimmen.
Mehr als drei Prozent halten es sogar für plausibel, dass, Zitat, „Die Regierung, die Medien und die Finanzwelt von einer Gruppe satanistischer Pädophiler kontrolliert werden, die einen Kindersexhandel betreiben“. Und natürlich hat auch Deutschland eigene Verschmelzungen zwischen Esoterik und Verschwörungsglauben hervorgebracht, in denen menschenverachtende Inhalte verbreitet werden.

Selbsternannter Krebsheiler Hamer

Ein erschreckendes Beispiel hierfür sieht der Autor Paul-Eduard Rück in der so genannten „Germanischen Heilkunde“: „Diese fast schon sektenartige Gruppierung, die behauptet, es gäbe keine Krankheitserreger. Also alle Krankheiten, egal ob Schnupfen, Diabetes, AIDS, oder Krebs gehen laut diesen Leuten auf irgendwelche seelischen Konflikte zurück. Und man müsse nur diese Konflikte lösen, um wieder gesund zu werden. Schafft man das nicht, dann – tja, selbst schuld. Ansteckung gibt es dann natürlich auch nicht. Denn es gibt ja keine Viren, diese sind wenn überhaupt dann künstlich erschaffen worden um die Menschheit zu dezimieren. Der Klassiker.“
Die sogenannte „Germanische Heilkunde“ oder „Germanische Neue Medizin“ geht auf den deutschen Arzt Ryke Geerd Hamer zurück. In den 80er-Jahren schaffte er es mit seiner Behauptung, Krebs heilen zu können, immer wieder in große deutsche Medien. Hamer verordnete seinen Patienten allerlei skurrile Behandlungen, wie etwa das Hören eines von ihm komponierten Liedes mit dem Titel „Mein Studentenmädchen“, da die Melodie angeblich heilsame Schwingungen aufweisen soll. Krebspatienten riet er laut ehemaligen Angestellten davon ab, Schmerzmedikamente zu nehmen.
Der Kölner Alternativheiler Ryke Geerd Hamer (r) gibt mit Olivias Vater Helmut Pilhar eine Pressekonferenz, in der er anhand seines Buches "Vermächtnis einer neuen Medizin" seine medizinischen Überzeugungen erläutert, nach denen das krebskranke Mädchen nicht vor September operiert werden soll.
Der Arzt Ryke Geerd Hamer (r) schaffte es in den 80er-Jahren mit seiner Behauptung, Krebs heilen zu können, immer wieder in große deutsche Medien. Später verlor er seine Zulassung und musste ins Gefängnis.© picture-alliance / dpa / EFE
Hamer verlor seine Zulassung und verbrachte längere Zeit im Gefängnis. Trotzdem feiern ihn seine Anhänger auch nach seinem Tod 2017 weiterhin als Wunderarzt.
„Das Schlimme ist auch, um nicht direkt aufzufallen, weil das schon in den Medien hier und da vorgekommen ist, sprechen einige Anhänger nur von ‚Neuer Medizin‘ oder den sogenannten biologischen Naturgesetzen. Um sich damit auch so ein, ja so einen pseudo-naturheilkundlichen Anstrich zu verpassen“, sagt Paul-Eduard Rück.
Kritiker werden heute noch gerne als Teil einer vermeintlichen Verschwörung abgetan. In Interviews hetzte Hamer gegen eine vermeintliche „Chemo-Mafia“. Als er bei einem Habilitationsversuch krachend scheiterte, machte er dafür angebliche „jüdische Logen“ verantwortlich. Für den Politikwissenschaftler Jan Rathje, einem Experten für rechtsextreme verschwörungsideologische Gruppierungen, sind diese antisemitischen Narrative in der Esoterik-Szene kein Einzelfall.

Antisemitische Narrative

„Esoterik und Rechtsextremismus verbindet die Vorstellung davon, dass es einen Dualismus gibt, eine notwendige Trennung zwischen dem Natürlichen und dem Künstlichen. Und hier setzt dann auch der moderne bzw. der eher antimoderne Antisemitismus an. Indem nämlich alles das, was an Modernisierungsprozessen als negativ wahrgenommen wird, als jüdisch identifiziert wird. Esoterik und Rechtsextremismus greifen beide auf stigmatisiertes Wissen zurück, als Alternative zu dem, was sie als falsch ansehen, woran der Mainstream glaubt. Und in diesem stigmatisierten Wissen nimmt Antisemitismus leider immer noch einen festen Platz ein“, sagt Jan Rathje.
Immer wieder finden sich ähnliche Berührungspunkte zwischen den antisemitischen esoterischen Lehren Hamers und der rechtsextremen Szene.
„Es besteht eine Verbindung zwischen sogenannten Reichsbürgern und anderen Souveränist*innen und der Esoterik oder auch esoterischen Heilmethoden“, so Jan Rathje weiter. „Das zeigt sich beispielsweise da dran, dass der recht findige Souveränist Peter Fitzek mit seinem ‚Königreich Deutschland‘ eine Art Gesundheitskasse aufbauen wollte und da drin wurden auch Personen aufgeführt, die sozusagen per Kassenleistung dann letztlich auch operieren konnten, die esoterische Heilmethoden, wie etwa die ‚Germanische Neue Medizin‘ angeboten haben.“

Menschenfeidliche Ideologien nicht weit

Auf der Esoterikmesse ist mir kein Anbieter begegnet, der Behandlungen nach Hamer anbietet. Aber vielleicht habe ich auch nur nicht genau genug hingeschaut. Das, was ich gesehen habe, hat mir mehr als deutlich vor Augen geführt, wie klein der Schritt von Esoterik über Verschwörungserzählungen, hin zu menschenfeindlichen Ideologien sein kann.
Auf emotionaler Ebene kann ich nachvollziehen, was einige Menschen an Esoterik fasziniert. Da ist etwa das Versprechen, ganz ohne Nebenwirkungen selbst bei schwersten Krankheiten schnell geheilt werden zu können. Gegen jegliche Beschwerde gibt es ein passendes Ritual oder einen handlichen Heilstein. Außerdem wird das Gefühl vermittelt, man selbst sei einer der wenigen „Erleuchteten“. Womöglich blenden einige Anwender sogar ganz bewusst aus, dass es keine wissenschaftlichen Belege für die blumigen Versprechen gibt, weil sie an all das glauben wollen. Weil ihnen diese Narrative ein gutes Gefühl geben. Wer an eine Verschwörung in der Medizin glaubt, meint womöglich sogar, in einem historischen Kampf Seite an Seite mit anderen „Erleuchteten“ für das Gute in der Welt zu streiten. Tragisch ist eben nur, dass all diese Überzeugungen konkrete gesundheitliche Schäden anrichten.
Mehr als einmal habe ich bei meinem Besuch in dieser Parallelwelt ein flaues Gefühl im Magen. Vor allem, wenn ich offensichtlich körperlich beeinträchtige Menschen an Ständen von selbsternannten Heilern beobachte. Gegen Abend ist meine Schmerzgrenze erreicht. Nach einem ermüdenden Tag zwischen Heilsteinen und radikalen Impfgegnern trete ich schließlich den Heimweg an.
Am nächsten Tag liegt in meinem Mailpostfach eine mehrere Seiten lange Aura-Analyse. Stimmt, die hatte ich ganz vergessen – die gab es gratis zum Aura-Foto dazu. Der Inhalt ist dann allerdings weniger erfreulich. Laut Bericht stehe ich sowohl körperlich als auch psychisch kurz vor einem energetischen Totalzusammenbruch. Mir wird die einmalige Chance geboten, den drohenden Kollaps durch spezielle Präparate im Gesamtwert von gut 1000 Euro zu verhindern. Die gibt es natürlich – wie kann es anders sein – nur beim Absender dieser Mail zu kaufen. Ganzheitlich, so scheint mir, ist in der Esoterik-Szene nur das Geschäftsmodell.
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