
Krimibestenliste OktoberGroße Literatur an der Spitze
- Aus dem Stand auf Platz 3: Sara Sligars Debüt "Alles, was zu ihr gehört". (Illustration: Bianca Schaalburg)
Gewalt, Trunkenheit und das Leben im ländlichen Nirgendwo: Australiens vielleicht bester Krimiautor Garry Disher hat mit "Hope Hill Drive" aus einer kleinen Geschichte große Literatur gemacht. Auf Platz 2 folgt Steph Chas Rassismus-Krimi "Brandsätze".
Deutschlandfunk Kultur und die Frankfurter Allgemeine Zeitung präsentieren die besten Krimis des Monats.
Garry Disher: "Hope Hill Drive" (Unionsverlag / Deutschlandradio)
Tiverton, South Australia. Alles wie immer: Es wird geklaut, gesoffen, geprügelt. Hirsch, allein auf sehr weiter Flur, ist ein "freundlicher Dorfpolizist". Da wird eine Frau erschossen, zwei Kinder fliehen, Hauptstadt-Cops schaffen Chaos. Große Literatur, entstanden aus Kleinem.
Aus dem Englischen von Peter Torberg
Unionsverlag, Zürich 2020
336 Seiten, 22 Euro
Steph Cha: "Brandsätze"
Los Angeles. 1991 wurde die Afroamerikanerin Ava, 15, von der koreanischen Ladenbesitzerin Yvonne erschossen, 2019 wird diese selbst Opfer eines Attentats. Nach einem realen Fall und Mustern en masse erzählt Cha vom Kampf zweier Familien bei dem Versuch, dem Fluch des Rassismus zu entgehen.
Aus dem Englischen von Karen Witthuhn
ars vivendi, Cadolzburg 2020
336 Seiten, 22 Euro
Sara Sligar: "Alles, was zu ihr gehört" (Deutschlandradio / Verlag Hanserblau)
Callinas, Marin County. "Ob die Narben auf meinen Fotos echt sind?" Fotografin Miranda Brand hat sich den Kopf weggeschossen – oder doch nicht? Archivarin Kate, weggemobbt, traumatisiert, soll ihren Nachlass für Sohn und Kunstwelt erschließen. Psychothriller, Künstlerinnenroman, feines Debüt.
Aus dem Englischen von Ulrike Brauns
hanserblau, Berlin 2020
432 Seiten, 16 Euro
Max Annas: "Morduntersuchungskommission. Der Fall Melchior Nikoleit" (Rowohlt / Deutschlandradio)
Gera, Jena 1985. Melchior war Bassist einer Punk-Band. Jetzt liegt der 19-Jährige tot im Schuppen. Die Ermittler stöbern im unsozialistischen Familiendreck: Kriegsverbrechen, Diebstahl, Prügel. Freundin Julia erzählt von Aufbruch, Musik, Liebe und Verrat. Hommage an den Punk und die Sehnsucht, frei zu sein.
Rowohlt, Hamburg 2020
336 Seiten, 20 Euro
Joachim B. Schmidt: "Kalmann" (Deutschlandradio / Diogenes-Verlag)
Raufarhöfn, Island. Kalmann vergisst viel und rechnet schlecht, aber sein Gammelhai ist der zweitbeste in Island. Als er am Arctic Henge eine Blutlache entdeckt, sagt er gleich Bescheid. Hat ein Eisbär Róbert gefressen? Einfühlsame Variante des Topos "behinderter Detektiv" in grandioser Landschaft.
Diogenes, Zürich 2020
352 Seiten, 22 Euro
Parker Bilal: "London Burning" (Rowohlt / Deutschlandradio)
London. Scharia-Fake? Die Frau des Immobilienmoguls Thwaite und ein Japaner liegen gesteinigt in der Baugrube einer Luxuswohnanlage. Detective Sergeant Drake und Partnerin ermitteln unter Gentrifizierungs- und Irakkrieg-Traumatisierten, rechten Schlägern und rechtgläubigen Migranten. London vor der Auflösung.
Aus dem Englischen von Ulrike Thiesmeyer
Rowohlt, Hamburg 2020
496 Seiten, 12 Euro
James Ellroy: "Jener Sturm" (Deutschlandradio / Ullstein-Verlag)
Von Los Angeles nach Baja California, 1942. Weltkrieg aus Ellroys LAPD-Blickwinkel. Nazis und Kommis planen Totalitarismus, Dudley Smith plant grenzüberschreitende Verbrechen, Japaner werden interniert. Kriegswahnsinn. Man braucht schon sehr starke Nerven für diesen zweiten Band des L.A.Quartetts.
Aus dem Englischen von Stephen Tree
Ullstein, Berlin 2020
976 Seiten, 35 Euro
Marcie Rendon: "Stadt, Land, Raub" (Deutschlandradio / Ariadne)
Fargo/Moorhead, etwa 1971. Nachts fährt Landarbeiterin Cash Rüben und spielt Billard, tagsüber geht sie aufs College, verwundet durch eine Kindheit in Zwangspflegschaft. Prostitution, Akademiker und große Städte lernt die Native American erst richtig kennen, als sie einen Essay-Preis erhält. Großartig.
Aus dem Englischen von Jonas Jakob
Ariadne, Hamburg 2020
238 Seiten, 13 Euro
Un-Su Kim: "Heißes Blut" (Deutschlandradio / Europaverlag)
Busan 1993. Guam – das ist Tradition, Strand, Verbrechen im Kleinformat. Für Old Son managt Huisu seit 20 Jahren dort das Hotel und die Deals, einsam und besonnen achtet er die Regeln. Bis ihm Selbssttändigkeit winkt. Großes Sozial- und Gangsterepos: Neu verdrängt Alt, Globalisierung steigert Gewalt.
Aus dem Französischen von Sabine Schwenk
Europaverlag, Berlin/München/Wien/Zürich 2020
582 Seiten, 24 Euro
Scott Thornley: "Der gute Cop" (Suhrkamp / Deutschlandradio)
Dundurn am Ontariosee. Leichen im Hafenbecken, wo ein Museum Dundurns Zukunft werden soll. Superintendent MacNeice ist gefragt, ein resoluter Diplomat der Aufklärung, dem nichts entgeht. US-Veteranen, ein Biker-Krieg, dazu ein Serienmörder – Mac hat zu tun in seinem ersten deutschen Fall.
Aus dem Englischen von Karl-Heinz Ebnet und Andrea O'Brien
Suhrkamp, Berlin 2020
523 Seiten, 16 Euro
Alles über Mord und Totschlag: Unser Krimiportal informiert über die aktuellen Trends in der Kriminalliteratur und stellt die wichtigsten Neuerscheinungen vor.
Wie funktioniert die Abstimmung?
Die Krimibestenliste wird im Auftrag der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und von Deutschlandfunk Kultur durch eine Jury aus Kritikerinnen und Kritikern erstellt.
Es sind 19 Spezialistinnen und Spezialisten für Kriminalliteratur aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, die aus der laufenden Produktion monatlich jeweils vier Titel vorschlagen, die sie mit sieben, fünf, drei oder einem Punkt bewerten.
Der so gefundene Punktwert pro Titel wird mit der Zahl der für ihn abgegebenen Stimmen multipliziert. Daraus wird die monatliche Liste berechnet.
Jedes Jurymitglied darf insgesamt drei Mal für denselben Titel votieren. Voten für Titel, an deren Entstehung oder Vorbereitung man beteiligt war, sind verboten. Die Titel dürfen nicht älter als zwölf Monate und keine Wiederauflagen, Sammelbände oder Anthologien sein. Unterschiede zwischen Hardcover, Paperback und Taschenbuch werden nicht gemacht.
Im Durchschnitt kommen fünf Titel neu auf die monatliche Liste. Die Ziffer in Klammern gibt den Rang des Vormonats an.
Tobias Gohlis, Sprecher der Jury
Volker Albers, "Hamburger Abendblatt"
Andreas Ammer, "Druckfrisch", ARD
Gunter Blank, "Rolling Stone"
Thekla Dannenberg, "Perlentaucher"
Hanspeter Eggenberger, "Tages-Anzeiger"
Fritz Göttler, "Süddeutsche Zeitung"
Jutta Günther, "Radio Bremen Zwei"
Sonja Hartl, "Zeilenkino", "Crimemag", "Deutschlandfunk Kultur"
Hannes Hintermeier, "Frankfurter Allgemeine Zeitung"
Peter Körte, "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung"
Alf Mayer, "CulturMag", "Strandgut"
Kolja Mensing, "Deutschlandfunk Kultur"
Marcus Müntefering, "Der Spiegel"
Ulrich Noller, "Deutschlandfunk Kultur", "Deutschlandfunk", "SWR", "WDR"
Frank Rumpel, "SWR"
Ingeborg Sperl, "Der Standard"
Sylvia Staude, "Frankfurter Rundschau"
Jochen Vogt, "NRZ", "WAZ"