Das stille Sterben der Bibliotheken

Mehr Geld für Bücher!

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Blick in den Lesesaal der Deutschen Nationalbibliothek.
In Deutschland ist es jedem Bundesland selbst überlassen, inwiefern es die Rolle der Bibliotheken als wichtig erachtet. © picture alliance / dpa / Sebastian Willnow
Ein Kommentar von Marius Müller · 13.03.2023
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Bibliotheken seien mehr als nur Orte der Bücher, sondern wichtige Begegnungsorte, kommentiert Bibliothekar Marius Müller. Er fordert bessere Ausstattung und finanzielle Unterstützung - am besten per Gesetz. Andere EU-Staaten könnten da Vorbild sein.
Im vor zwei Jahren erschienen Roman „Die letzte Bibliothek der Welt“ der Britin Freya Sampson kommt es zu einem bemerkenswerten Aufstand der Zivilgesellschaft.
Nachdem die lokale Politik beschließt, die Stadtbibliothek mit bekannten Argumenten wie der Unrentabilität der Einrichtung zu schließen, organisiert die britische Kleinstadt findigen Protest, der die Bildungseinrichtung vor ihrem Ende bewahren soll.

Kein Geld für Bibliotheken

Nicht nur in England hat dieser fiktive Roman zahlreiche reelle Vorbilder. Auch in Deutschland stehen immer wieder öffentliche Bibliotheken vor dem Aus. In Zeiten klammer Kassen und kommunaler Konsolidierung sind es schnell die Büchereien, die weit oben auf den Streichlisten der Kämmerer und Stadträte rangieren.
Egal ob in Jena, Meckenheim oder Helba - die Argumente und Vorgehensweise ähneln sich. Mit Verweis auf mangelnde finanzielle Gestaltungsspielräume entziehen die Unterhaltsträger den Bibliotheken die Mittel, was trotz vielfachem Protest aus der Bürgerschaft oftmals zur Schließung der Einrichtungen führt.
Schaut man sich die entsprechenden Statistiken des Deutschen Bibliotheksverbandes an, so führt diese Jahr für Jahr Bibliotheken auf, deren Fortbestand bedroht ist oder die vor Schließungen stehen - in einigen Fällen nur temporär, in anderen aber auch leider ganz.

Das stille Sterben

Es ist ein stilles Sterben, das für wenig Aufmerksamkeit sorgt, gerade wenn es sich um kleinere Einrichtungen im ländlichen Raum handelt. Dabei ist der Nutzen von Bibliotheken mit Kennziffern gar nicht wirklich darstellbar. So sind Bibliotheken als Begegnungsorte, Stätten des lebenslangen Lernens,  Aufenthaltsorte ohne Konsumzwang und Leseförderer doch weit mehr, als sich alleine mit Zahlen bemessen und abbilden ließe.
Als ein wichtiger Faktor für Nachhaltigkeit sind es auch speziell in dünner besiedelten Gegenden diese Häuser, die in ihren Räumen gesellschaftliche Begegnungen ermöglichen und mit ihrer Veranstaltungsarbeit Kultur und Bildung vor Ort fördern.

Weit mehr als "nur" Bücher leihen und lesen

Die Mitarbeitenden in den Einrichtungen vermitteln Medienkompetenz, unterstützen bei Bewerbungen, organisieren Hackathons, Filmabende, kooperieren mit Schulen, suchen auch Menschen in Altenheimen auf, machen sich per Fahrbücherei zu ihren Kunden und Kundinnen auf. Hinter allem steht der Auftrag der informatorischen Teilhabe – allerdings immer unter Finanzierungsvorbehalt.
 „Bibliotheken gehören in Deutschland auf die politische Tagesordnung“. Das stellte der damalige Bundespräsident Horst Köhler bei seiner Rede zur Wiedereröffnung der Anna Amalia Bibliothek im Jahr 2007 in Weimar fest. Drei Bundespräsidenten und 16 Jahre später muss man konstatieren, dass dieses Thema wieder völlig aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden ist.
Während mehr als die Hälfte der EU-Staaten um uns herum schon lange über ein solches Gesetz verfügt, ist es in Deutschland immer noch jedem Bundesland selbst überlassen, inwiefern es die Rolle von Bibliotheken als wichtig und unterstützenswert erachtet und die finanzielle Ausstattung der Bibliotheken legislativ als Pflichtaufgabe festlegt. Aktuell sind es gerade einmal fünf Bundesländer, die ein solches Gesetz verabschiedet haben.

Rolle der Bibliotheken stärken

Dabei wäre es so wichtig - gerade jetzt in Zeiten steigender Buchkosten und sinkender Kaufkraft - deutschlandweit die Rolle von Bibliotheken in der Gesellschaft zu stärken und ihnen durch einen soliden Finanzierungsrahmen Sicherheit für ihr wichtiges Tun zu geben.
Mit einem Bibliotheksgesetz könnte man dieses Wirken entscheidend aufwerten und auch politisch ein Signal der Sichtbarkeit und Wertschätzung bibliothekarischer Arbeit senden. Es wäre an der Zeit!

Marius Müller ist studierter Diplombibliothekar und lebt in Augsburg. Er leitet die Studienbibliothek in Dillingen an der Donau und schreibt auf seinem Blog Buch-Haltung über Literatur der Gegenwart und literarische Themen.

Bibliothekar Marius Müller sitzt im grauen Anzug  auf einem Stuhl vor schwarzen Hintergrund und blickt in die Kamera.
© Adrian Beck
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