Nachhaltigkeit im Buchhandel

Wie umweltverträglich ist ein Buch?

12:18 Minuten
Eine Person sitzt in einer Winterlandschaft in einem Zelt und liest ein Buch bei Taschenlampenschein. Der Schatten ist von außen zu sehen.
Ein gutes Buch in der Natur - aber wie gut gehen Umweltschutz und Leselust wirklich Hand in Hand? © Getty Images / EyeEm / Mikhail Mikheev
Moderation: Christian Rabhansl · 28.01.2023
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Kleines Buch, großer Impact: Um ein Buch herzustellen, werden jede Menge Ressourcen verbraucht. Der Buchhandel versucht, nachhaltiger zu werden. Wie kann das gelingen?
Wer liest, sündigt nicht. Oder etwa doch? Zumindest im Hinblick auf die Umwelt ist ein kompakt in Händen liegendes Buch nicht so unscheinbar, wie man vielleicht meinen würde. Denn hinter jedem Buch stecken verbrauchte Ressourcen, hoher Energieaufwand und lange Transportwege - also ein ansehnlicher CO2-Fußabdruck.
Das nachhaltige Buch wünschen sich daher nicht nur diejenigen Leserinnen und Leser, denen der Klimaschutz am Herzen liegt, sondern zum guten Teil auch die Branche selbst. In Zeiten von Papierknappheit und steigenden Kosten ist nachhaltiger Rat so teuer wie heiß ersehnt. Hinzu kommt, dass die Menschen in Zeiten von Inflation noch mehr aufs Geld schauen als sonst - und Romane heute im Schnitt etwa fünf Prozent mehr kosten also noch vor einem Jahr.
Die Coronapandemie hat die Buchbranche einigermaßen gut überstanden. Aber welche Herausforderungen stellen sich mit dem Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit? Welche Lösungen gibt es?
Wir geben Ihnen die Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Schadet Papier der Umwelt?

Jede Buchseite war einmal Holz - und jeder zweite industriell genutzte Baum wird für die Papierherstellung gefällt. Rund 80 Prozent der CO2-Emissionen in der Buchproduktion werden allein durchs Papier verursacht. Carl-Otto Gensch vom Öko-Institut e.V. hat berechnet, dass bei der Produktion von zehn Büchern mit 200 Seiten etwa elf Kilogramm CO2 entstehen. Die Papierindustrie zählt zu den größten Energieverbrauchern in Deutschland. Hinzu kommt ein erheblicher Wasserverbrauch.
Zwar gibt es ökologische Alternativen, wie etwa Apfel- oder Steinpapier. Doch für den Massenmarkt kommen diese derzeit noch nicht infrage. Auch Druckerfarben und der nötige Leim senken die Ökobilanz.
"Unsere Papiere stammen überwiegend aus Skandinavien und Mitteleuropa", sagt Barbara Scheuer-Arlt, Umweltbeauftragte beim Publikumsverlag Penguin Random House. Der Verlag setzt darauf, grundsätzlich Material einzusparen: "Dünnere Bücher, dünnere Papiere. Papiere einzusetzen, die einen sehr guten CO2-Fußabdruck haben, auch wenn Frischfaser drin ist. Frischfaser muss nicht immer von gefällten Bäumen kommen, sondern wir setzen Papiere ein, die überwiegend aus Durchforstungsholz stammen."

Ist Recyclingpapier nachhaltig?

Recycling kann einen guten Beitrag dazu leisten, Bücher nachhaltiger zu produzieren. Davon ist jedenfalls Anke Oxenfarth vom Oekom Verlag überzeugt. Das Haus gilt als Vorreiter in Sachen nachhaltiger Buchproduktion und setzt schon lange darauf, möglichst wenig Frischfasern für die Produktion zu verwenden.

Man hat Einsparungen beim Transport, man zerstört keine borealen Urwälder fernab von uns. Man kann sowohl bei der Herstellung als auch beim Wasserverbrauch ordentlich einsparen.

Anke Oxenfarth vom Oekom Verlag über die Vorteile von Recyclingpapier

Den Berechnungen von Carl-Otto Gensch vom Öko-Institut e.V. zufolge senkt es den CO2-Verbrauch zwar tatsächlich, wenn man Bücher auf recyceltem Papier druckt. Allerdings nur um ein kleines bisschen: Zehn Bücher à 200 Seiten kommen auf neun Kilogramm CO2. Beim Druck mit Frischfasern sind es elf Kilogramm.
Aber kann recyceltes Papier die Massenproduktion in der Buchbranche überhaupt abdecken? "Das Recyclingpapier ist sehr teuer geworden", räumt Oxenfarth ein. Mehr und mehr Verlage fragen recyceltes Papier nach. "Seit Herbst 2021 gab es Preissteigerungen von bis zu 30 Prozent." Beim Oekom Verlag sinke daher die Recyclingquote - von einst über 90 Prozent auf mittlerweile 74 Prozent.
Bei den großen Publikumsverlagen, die einen Großteil der Produktion stemmen, verwende man bislang wenig Recyclingpapier, erklärt Barbara Scheuer-Arlt von Penguin Random House. "In den Mengen, die wir brauchen, ist es nicht zuverlässig verfügbar und verwendbar. Wir haben überwiegend mit Romanen zu tun. Da ist Recyclingpapier aufgrund seiner Beschaffenheit eigentlich nicht das Material der Wahl."

Wie klimaschädlich ist der Buchhandel?

Wer in Deutschland einen deutschen Roman liest, hält nicht selten ein Erzeugnis in Händen, das in Ungarn oder gar China gedruckt wurde. Das dafür nötige Holz stammt eventuell aus Nordeuropa. Transportwege, die die CO2-Bilanz nach oben treiben.
Auch nicht zu vergessen: Bis ein Buch tatsächlich gelesen wird, vergeht oft viel Zeit. Bücher werden daher in großen Lagerhallen bereitgehalten – und oft auch mehrfach von einem Lager in ein anderes transportiert. Die ausgeklügelte Logistik dahinter dient dem Komfort: Ein Buch heute im Buchladen bestellen und morgen ohne Aufpreis abholen. Diese Bequemlichkeit ist unschlagbar, aber sie geht zu Lasten der Umwelt.

Ich finde es absurd - und das sage ich als Literaturmensch durch und durch -, dass das Buch als Ware so fix geliefert werden kann.

Miriam Zeh, Literaturredakteurin Deutschlandfunk Kultur

Wie wollen die Verlage nachhaltiger werden?

Auch die Verlage erkennen die Zeichen der Zeit und machen sich Gedanken, wie sie sich nachhaltiger aufstellen können, erklärt Anke Oxenfarth vom Oekom Verlag. Im Juli 2022 hat der Börsenverein des Deutschen Buchhandels die IG Nachhaltigkeit gegründet. Dort überlegen Leute aus Verlagen, Vertrieben und dem Handel, wie der Vertrieb umweltschonender organisiert werden kann.

Wichtig ist das Umdenken in der Branche: Zum ersten, muss wirklich jedes Buch innerhalb von 24 Stunden beim Buchhändler sein? Und zum zweiten, brauche ich so viele Bücher? Muss ich so viele bevorraten? Muss ich mir wirklich diese Auflagen in die Lager legen? Denn jedes Buch, das produziert und nicht verkauft wird, ist für die Umwelt ein Nachteil und letztendlich auch eine Verschwendung von Ressourcen.

Barbara Scheuer-Arlt, Penguin Random House

In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach der Auflagenhöhe. Bei sicheren Bestsellern wie etwa den Memoiren von Prinz Harry lassen sich hohe Auflagen leicht kalkulieren, erklärt Scheuer-Arlt.
Bei vorab weniger gut kalkulierbaren Büchern setze man jedoch mehr und mehr auf kleine Startauflagen, "um zu sehen, was der Markt möchte". Bücher, die sich rasch abverkaufen, könnten dann in wenigen Tagen nachgedruckt werden.
Daneben bemühen sich diverse Verlage seit einigen Jahren, Alternativen zur Folie um ihre Bücher zu finden oder ganz darauf zu verzichten. Hier ist auch das Verständnis des Lesepublikums gefragt: Die Folie schützt die Bücher beim Transport und in der Auslage. Wer den Folien-Müllberg senken will, muss die eine oder andere angestoßene Buchkante in Kauf nehmen.

Sind E-Books umweltschonender als Bücher?

Aber liegt die Lösung für all diese Probleme nicht schon buchstäblich auf der Hand? Könnte nicht der E-Book-Reader die Buchbranche nachhaltiger machen? Tatsächlich ist laut Carl-Otto Gensch vom Öko-Institut e.V. der CO2-Ausstoß bei der Produktion und Nutzung von E-Books noch etwas geringer als bei einem Buch aus recyceltem Papier.
Doch die Sache hat einen Haken: Um einen E-Book-Reader herzustellen, braucht es viele Rohstoffe. Verbaut sind Edelmetalle, darunter Kupfer, Gold und Palladium. Auch Chemikalien kommen zum Einsatz. Der Akku aus Lithium bereitet Probleme bei der Entsorgung. Die Hülle aus Kunststoff landet womöglich als Mikroplastik im Meer.
Auch die Transportwege sind lang: Die Geräte werden meist in China hergestellt. Und um E-Books vorrätig zu halten, müssen die Händler Server unterhalten und die Leser Strom nutzen - beides verbraucht Energie.
Das Gerät lohnt sich daher aus ökologischer Sicht eigentlich erst nach einigen Jahren und konstant hohem Gebrauch. Die Angaben zum dafür nötigen Pensum variieren. Die Biologin Nadja Gneißler von der IG Nachhaltigkeit des Deutschen Börsenvereins spricht von 30 bis 50 Büchern pro Jahr, Eva Großinsky von der Tolino-Allianz sieht die Ökobilanz schon bei mehr als zehn Büchern im Jahr ausgeglichen.
Immerhin: Die größten Anbieter von E-Book-Readern werben damit, dass ihre nächsten Geräte-Generationen einen deutlich höheren Recycling-Anteil haben.
Hinzu kommt: Zumindest das deutsche Publikum hängt am gedruckten Buch. Der Marktanteil von E-Books wächst zwar kontinuierlich - ist aber insgesamt relativ niedrig. Die Zahl derjenigen, die durch ihren E-Book-Gebrauch tatsächlich CO2 einsparen, fällt bislang nicht sonderlich ins Gewicht - zumal die Zahl der Vielleser in Deutschland ohnehin eher gering ist.

Wie kann ich nachhaltig lesen?

Am besten ist immer: Energieverbrauch vermeiden und senken. Nicht jedes Buch muss neu angeschafft werden. Wer gebrauchte Bücher kauft, verteilt den Ressourcenaufwand auf mehrere Leser. Sie wohnen in einem Mehrfamilienhaus? Vielleicht freuen sich Ihre Nachbarn, wenn Sie ausgelesene Bücher ins Treppenhaus legen.
Auch Bücher aus der Bibliothek senken die Ökobilanz. Wer am laufenden Meter liest, aber nicht allzu viel Wert auf ein gedrucktes Buch in Händen legt, ist mit einem E-Book-Reader gut beraten - vorausgesetzt, das Gerät ist auch wirklich lange im Gebrauch.
Oder am Schönsten: Leihen Sie sich im Freundeskreis gegenseitig Bücher aus! Gemeinsam macht nachhaltiges Lesen am meisten Spaß und man bekommt dabei noch Buchtipps aus erster Hand.

Text: thg, mit Material von Miriam Zeh und Corinne Orlowski.
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