Kommentar zu Babyboomern

Die Ironie-Generation

Illustration: Ein junger Mann schaut in den Spiegel, ein alter Mann schaut zurück.
Den Babyboomern ist ihre Ironie heilig. Erschwert sie die Kommunikation mit jüngeren Generationen? © imago / Zoonar / Elada Vasilyeva
Ein Kommentar von Gesine Palmer · 02.10.2023
Die Babyboomer ertrugen ihr Schicksal oft nur mit einer großen Portion Ironie, meint Religionsphilosophin Gesine Palmer. Und die ist ihnen bis heute heilig. Führt die Ironie zum Generationenkonflikt?
Gespräche zwischen den Generationen sind nicht immer gleich leicht. Unlängst beklagte sich eine junge Frau aus meiner Großfamilie über ihre Mutter. Diese, Babyboomerin wie ich, nehme einfach nichts ernst. Mit allem treibe sie ihren Spott, auch mit ihrem eigenen Leben, nichts sei ihr heilig. Ich fühlte mich ein bisschen mitgemeint und in Verlegenheit. Wie sollte ich erklären, dass meiner Generation die Ironie selbst irgendwie heilig ist? Wäre das nicht nur ein Widerspruch in sich?
Ich habe es trotzdem versucht und erzählt, was wir vor Augen hatten, als wir Babyboomer jung waren. Da war einerseits dieser schreckliche Ernst der totalitären Regime, die vor nichts so viel Angst hatten wie vor Ironie. Wie befreiend dagegen der wippende Singsang des Liedermachers Franz Joseph Degenhardt! Er zog unter den braunen Teppichen des bundesdeutschen Bürgertums hervor, was er finden konnte. Über seine Ironisierung von „Vatis Argumenten“ lachten wir erleichtert.

Die Leichtigkeit der Ironie

Auf der anderen Seite sahen wir den ebenfalls schrecklichen Ernst, mit dem manche unserer älteren Mitstudierenden in die RAF abdrifteten, wo sie plötzlich zu morden begannen. Um sich ernsthaft zum Mord zu entschließen, muss man jede Relativierung der eigenen Position wegschieben. Nur Freiheit, Friede und Liebe vertragen die Leichtigkeit der Ironie.
Auch die alten weißen Frauen der Generation vor meiner erleichterten sich ihren Dienst am alleinverdienenden Ehemann mit Ironie. In der Bundesrepublik brauchten verheiratete Frauen bekanntlich bis 1977 die Erlaubnis des Mannes, wenn sie einer Erwerbsarbeit nachgehen wollten. Ein geflügeltes Wort in unserer Familie war: Was sagst du, wenn dein Mann dir sagt, das Wasser fließe den Berg hinauf? Die empfohlene Antwort lautete: „Jale, jale, es ist schon oben.“
Die Idee dahinter: Du lässt dich durch die offenkundig unsinnige Behauptung nicht zur – sinnlosen – offenen Rebellion provozieren. Aber durch einen Hauch Übertreibung in der eilfertigen Zustimmung brichst du seiner Machtdemonstration die Spitze ab. Das soll oft genug geholfen haben, und die Damen in der Verwandtschaft wiegten sich gern in der stolzen Annahme, sie würden auf diese subtile Weise in Wahrheit ihre Männer führen.

Ironie als Mittel der Unterlegenen

Genau dies reichte den Frauen meiner Generation freilich nicht mehr. Wir suchten die offene Auseinandersetzung um echte Gleichberechtigung und führten sie – oft um einen recht hohen Preis: Wir blieben in viel Arbeit gefangen, ohne wirklich Karriere zu machen, blieben ohne Familie oder kämpften uns über Jahre als Alleinerziehende durch. Mit Ernst – und mit Ironie.
Wie nicht lachen über uns und die Verhältnisse, wenigstens manchmal? Ja, die Ironie war zu allen Zeiten das Mittel der Unterlegenen: Eine letzte Möglichkeit, Distanz aufzubauen zu dem Druck des unmittelbaren Beherrschtwerdens – sei es durch einen durchgetakteten Alltag, durch autoritäre Vatis oder einen dominanten Ehemann.

"Nimm dich mal nicht so wichtig"

Freilich, wer von Ironie getroffen wird, obwohl selbst in einer unterlegenen Position, für den zeigt sie sich als finsterer Sarkasmus. Als Babyboomer waren wir zum Beispiel immer irgendwie zu viele. Da konnte die von unseren ironischen Müttern ausgehende Botschaft „Du nimm dich mal nicht so wichtig“ durchaus verletzend sein – und wir rächten uns, indem wir sie unsererseits nicht besonders ernstnahmen: Für die Rente arbeiten? Du lieber Himmel, bis wir 60 sind, ist die Welt längst untergegangen.
Gegen dieses drohende Szenario entwickelten wir allerdings ebenso kämpferischen Ernst wie für die Emanzipation. Dabei wollten wir uns nur leicht genug halten für Witz und Selbstironie. Das ist mir noch heute heilig. Tatsächlich scheint mir, die Balance von Ernst und Ironie suchen die Jüngeren durchaus auch. Gut, wenn sie sich in offenen Auseinandersetzungen entwickeln darf.

Gesine Palmer, geboren 1960, ist Religionsphilosophin. Sie studierte evangelische Theologie, Judaistik und allgemeine Religionsgeschichte in Lüneburg, Hamburg, Jerusalem und Berlin. 2007 gründete sie in Berlin das „Büro für besondere Texte“ und arbeitet seither als Autorin, Trauerrednerin und Beraterin. Ihre Themen sind Religion, Psychologie und Ethik.

Porträtaufnahme der Religionsphilosophin Gesine Palmer
© Gaëlle de Radiguès
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