Kathy Acker: „Bis aufs Blut“
© März-Verlag
Wo hört Lust auf, wo fängt Unterwerfung an?
06:25 Minuten
Kathy Acker
Übersetzt von Johanna Davids
Bis aufs Blut. Zerfleischt in der High SchoolMärz, Berlin 2022212 Seiten
34,00 Euro
Sie erzählt von Sex, Lust, Gewalt und Herrschaft. 1986 zensiert, gibt es Kathy Ackers wildes, drastisches, aber auch theoretisches Werk jetzt in neuer Übersetzung. Vor allem ihre Beschäftigung mit Identität scheint heute hochaktuell.
Schon der Inhalt dieses Buches aus den Achtzigern ist an Obszönität und Drastik kaum zu überbieten: Ein Mädchen namens Janey unterhält eine Beziehung zu ihrem Vater, geht schließlich nach New York und landet mit 13 Jahren in einer Jugendgang voller kaputter Existenzen, voll wahllosem Sex und Abtreibungen.
In einem Slum wird Janey von einem persischen Sklavenhändler gekidnappt und zur Prostituierten abgerichtet. Sie erkrankt an Krebs, kommt frei, reist durch Afrika, hat dort eine Affäre mit dem französischen Skandalautor Jean Genet und stirbt am Ende.
Menschliche Beziehungen scheinen krankhaft, neurotisch, voller Eifersucht und Erpressungen. Stets dient hemmungslos geschilderter Sex der verzweifelten Suche nach Nähe, stets scheitert die Eingliederung in die Gesellschaft. Auf der Suche nach Identität wird jede Identität zerstört. Kein Zweifel, der Text macht Ackers Ruf als „Queen of Punk“ alle Ehre.
Wilde Cut-Up-Ästhetik
Die Form bindet den Inhalt nur notdürftig zusammen: Es finden sich Tagebuchaufzeichnungen, Gedichte, dramatische Dialoge, essayistische Passagen, mal ohne Interpunktion und in eigenwilliger Orthografie. Auch derbe Zeichnungen sind im Buch abgedruckt, Nacherzählungen aus der Literaturgeschichte – alles in Cut-Up-Ästhetik. Kurioserweise hatte der Original-Verlag die Texte falsch angeordnet, das hat erst die englische Neuauflage 2017 korrigiert.
Ursprünglich erschien „Blood and guts in High School“ 1985 als „Harte Mädchen weinen nicht. Ein Punkroman“ im Heyne-Verlag. 1986 landete das Buch auf dem Index verbotener Werke. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften fand die pornografischen und inzestuösen Szenen „unsittlich“; alles verharmlose eine Reihe von Sexualpraktiken. Man monierte, es lasse sich nicht zwischen der Fantasie der Protagonistin und wahren Erlebnissen unterscheiden. Wegen mangelnder Rechtschreibung und Gossensprache habe das Buch ferner mangelndes künstlerisches Niveau.
Einst zensiert, heute hochaktuell
Offenkundig verstand die Bundesprüfstelle nichts von einer Kunst, die sich gegen Normen jeder Art wendet und mit inhaltlicher und formaler Grenzüberschreitung operiert. Die Neuübersetzung macht das Buch nun glücklicherweise wieder breit zugänglich, es war vorher auf Deutsch nur antiquarisch erhältlich. Der neue Text von Johanna Davids ist zeitgemäßer, treffender, härter, derber und entwirrt manchen englischen Satz.
Patina hat dieser Text nicht, davon zeugt auch der Respekt, den Autorinnen wie Sheila Heti oder Chris Kraus Kathy Acker nach wie vor zollen. Tatsächlich stellt „Bis aufs Blut“ Fragen nach männlicher Herrschaft über Frauenkörper, nach der männlichen Dominanz im Literaturbetrieb. Hochaktuell ist die Kritik am eurozentrischen Blick im letzten Teil des Buches.
Ein Text wie eine SM-Session
Kathy Acker wollte die Körperlichkeit des Schreibaktes erforschen – und dementsprechend ist diese Lektüre wie eine SM-Session: mal schmerzhaft, mal ein wilder Rausch, immer mittendrin im unübersichtlichen Terrain eines Ichs, das zwischen brutaler Unterwerfung und neugewonnener Freiheit durch Tabubruch lebt.
Ähnlich wie in den „feminist sex wars“, den intensiven Auseinandersetzungen zwischen sexpositiven und Radikalfeministinnen in den USA der 80er, fragt dieser Text: Wo hört die Lust auf, wo fängt die Unterwerfung an? Eine klare Antwort gibt dieser fragmentierte Bildungsroman allerdings nicht.