Amia Srinivasan: „Das Recht auf Sex“

Sex ist nie nur Sex

06:16 Minuten
Cover des Essaybands "Das Recht auf Sex": Der Titel und der Name der Autorin stehen in schwarzen Großbuchstaben vor blau-grünem Hintergrund.
© Klett-Cotta

Amia Srinivasan

übersetzt von Claudia Arlinghaus, Anne Emmert

Das Recht auf Sex. Feminismus im 21. JahrhundertKlett-Cotta , Stuttgart 2022

320 Seiten

24,00 Euro

Von Susanne Billig · 23.02.2022
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Begehren, Pornos, Vergewaltigungsvorwürfe: In dem Essayband "Das Recht auf Sex" betrachtet die Philosophin Amia Srinivasan Sex als politisches Phänomen. Dabei findet sie in mancher feministischen Argumentation versteckten Rassismus und Klassendünkel.
2014 ermordete Elliot Rodger in den USA sechs Menschen. In Internetvideos hatte er seine Tat angekündigt: Mädchen begehrten ihn nicht, dafür sollten sie büßen. Gibt es ein Recht auf Sex?
Sechs Essays versammelt die Philosophin Amia Srinivasan in ihrem Buch „Das Recht auf Sex“. Darin verweigert sie sich allem Plakativen und schreibt dort weiter, wo andere aufhören – Seite um Seite, Aspekt um Aspekt.

Das ungleiche Spiel des Begehrens

Wenn Amia Srinivasan Elliot Rodgers Gewalttat schildert, wird durchaus auch der Schmerz fühlbar, den er mit sich umhertrug. Denn es ist zunächst einmal der Schmerz aller, die am Spiel des Begehrens aufmerksam teilnehmen und realisieren, wie ungleich die Chancen darin verteilt und wie normiert sie vergeben sind. Hautfarbe, Haarfarbe, Körperformen, Muttersprachen, Kontostände spielen darin eine erhebliche Rolle.
Selbstverständlich hatte Elliot Rodger kein Recht auf Sex. Aber wie „natürlich“ ist unser Begehren, fragt die Autorin, wenn es sich an simpelsten Statuszuschreibungen orientiert? Und wenn Begehren nicht natürlich ist – ist es dann gestaltbar? Zum Beispiel entlang moralisch akzeptablerer Maßstäbe?

Alte Ansätze neu betrachtet

Solche Fragen haben Feministinnen in den 1970er-Jahren ernsthaft erwogen, damals vom Mainstream der Gesellschaft belächelt, wenn sie sich einer politisch begründeten gleichgeschlechtlichen Liebe zuwandten, um nicht mit dem Feind ins Bett zu gehen.
Dass Amia Srinivasan diese alten Ansätze wieder hervorholt und im Licht aktueller Entwicklungen sorgfältig neu betrachtet, gehört zu den vielen lesenswerten Seiten ihres Buches, wie es überhaupt Freude macht, sie dabei zu beobachten, wie sie Theorien, Einwände, Forderungen, Sehnsüchte – selbst wenn es leicht wäre, sie als amoralisch, frauenfeindlich, rassistisch, klassistisch zu disqualifizieren – ernst genug nimmt, um sich damit auseinanderzusetzen, und umgekehrt in manch gängiger feministischer Argumentation versteckten Rassismus und Klassendünkel findet.
In ihren Essays begibt sich die Philosophin nach und nach in spannende Untiefen: Vergewaltigungsvorwürfe, deren Legitimität im Einzelfall nicht immer so einfach zu bestimmen ist, wie es das feministische Herz gern hätte. Die aktuelle Pornografie, glücklich tabubefreit – und von metastasierender Gewalt gezeichnet. Die Frage, was Liebesbeziehungen zwischen Lehrenden und Lernenden an Universitäten inakzeptabel macht. Spoiler-Alarm: Nicht der Sex ist das Problem, sondern die Missachtung eines Ausbildungsauftrags. Auch dem Begriff der „Sexarbeit“ geht sie auf den Grund, der entdramatisieren möchte, was doch hartnäckig einen erheblichen Bodensatz an Frauenmissachtung beibehält.

Nie ohne Kompass

Das ist mit humanistischem Ethos gedacht und geschrieben, offen in alle Richtungen und doch nie ohne Kompass. So kann Amia Srinivasan auch herausarbeiten, dass die Elliot Rodgers dieser Welt keineswegs sexuell unerfüllt sind. Sex ist nie nur Sex.
In jeder Stadt gibt es genug junge Frauen, die nicht hoch im Kurs stehen und sich freuen, wenn jemand sie sieht und schätzt. Im Internet wehren sich die Elliot Rodgers mit einem Satz, der ihr wahres Begehren demaskiert: „Wer will schon Abschaum ficken?“

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