Kakophonie als Grundprinzip

Der Komponist Richard Wagner, Foto eines Gemäldes von 1843
Der Komponist Richard Wagner, Foto eines Gemäldes von 1843 © picture alliance / dpa / Zentralbild
Von Jürgen Liebing · 06.12.2012
Die Ausstellung ist geprägt durch eine kaleidoskopartige Darstellung. Dabei fordert sie den Zuschauer heraus und erhebt nicht den Anspruch auf enzyklopädische Vollständigkeit. Sie realisiert, was Bayreuth oft nur behauptet: Werkstatt zu sein.
"Es tönt ja viel in dieser Ausstellung."- Sven Neumann, einer der Kuratoren der Ausstellung. Und die beginnt mit einer kakophonischen Einstimmung. Aus verschiedenen Lautsprechern tönt die Musik des Komponisten, dazu sind auf mehreren Bildschirmen Filmausschnitte aus "Apocalypse now" von Francis Ford Coppola, "Der große Diktator" von und mit Charlie Chaplin oder "Melancholia" von Lars von Trier zu sehen. Sämtlich Filme, die sich der Suggestivkraft von Wagners Musik bedienen.

Und Kakophonie ist auch ein Grundprinzip dieser Schau, denn hinter dem neutral klingenden Titel "Wagner 2013. Künstlerpositionen" verbergen sich durchaus widersprüchliche Ansichten und Erfahrungen.

Klaus Staeck, Präsident der Akademie der Künste ist eher ein Antiwagnerianer und hat sich dennoch beteiligt: "Es gibt jetzt ein Spruchband 'Nichts ist erledigt', das ist, glaube ich, wirklich die Überschrift für die Beschäftigung mit Wagner, denn dass er eines der großen Genies ist, bezweifle auch ich nicht. Aber solche Genies sind immer gefährlich, und man muss sie im Auge behalten und im Ohr und zum Schluss in der Seele, und sie können in der Seele was anrichten, wo viele andere Leute Mühe haben, um den eventuell entstehenden Schaden wieder gut zu machen."

Die Idee zu dieser Ausstellung entstand aus einer etwas überraschenden Erkenntnis. Nele Hertling, Vizepräsidentin der Akademie der Künste:

"Vor einiger Zeit stellten wir in einer Sitzung der Sektion Darstellende Kunst fest, dass fast alle Anwesenden sich immer wieder auf die eine oder andere Weise mit dem Werk Richard Wagners auseinandersetzen, und wir haben uns dann gefragt, wie eine heutige Akademie der Künste in der Lage auf so ein überraschendes Phänomen einzugehen."

Die Schau bietet vieles - Bühnenbildmodelle, aber auch Teile beispielweise des Bühnenbilds von Anna Viebrock für Christoph Marthalers "Tristan" in Bayreuth. Noch mehr aber gibt es zu hören. Selten laden in einer Ausstellung so viele Kopfhörer ein, sich mit den unterschiedlichsten Positionen auseinanderzusetzen, die Künstler in Interviews vertreten, von Christoph Schlingensief über Kent Nagano, Andreas Homoki, Jonathan Meese, Hans Jürgen Syberberg bis Barrie Kosky.

Auch Hans Neuenfels ist dabei, der Regisseur, der erst spät zu Wagner fand und so im Alter von 69 Jahren auf dem grünen Hügel in Bayreuth debütierte mit seiner Sicht auf den "Lohengrin". Hans Neuenfels über Wagners Schrift "Das Judentum in der Musik":
"Wenn Kunst das Humane bewahren soll und der letzte Hort des Humanen ist, dann hat noch nie ein Genie wie es Wagner getan hat durch eine Schrift gegen das Humane verstoßen, es gibt keinen Menschen, der ein Vokabular geliefert hat, für den größten Schrecken Vorschub geleistet hat. Mit diesem unerklärlichen aber vollkommen sachlich vorhandenen Bewußtsein muss man dieses Genie Wagner auch hören und sehen.

Es gibt ja Kollegen, die behaupten, Barrie Kosky behauptet das, es gibt in der Musik bei ihm absolute antijüdische Tendenzen, ich habe nichts gehört dass diese Tendenz, das ist das erstaunliche, hätte in mir aufkommen lassen."

Richard Wagner, der übrigens Mitglied der Königlich Preußischen Akademie der Künste war, also der Vorgängerin der heutigen Akademie, provoziert noch immer, und das kann man hautnah erleben in dieser Ausstellung. Die Künstlerinnen der Gruppe "Hold Your Horses" haben auf großen Photos das Personal des "Rings" ins heutige Berlin verpflanzt. Die Rheintöchter tummeln sich im Schwimmbad des Olympiastadions, während Alberich frierend auf dem Zehnmeterturm sitzt, Siegmund und Sieglinde liegen einsam auf dem weiten Tempelhofer Feld.

Achim Freyer, dessen zweite "Ring"-Inszenierung sich gerade in Mannheim rundet, und von dem die Videoinstallation "Brünnhildes letzter Tag" zu sehen ist, bekennt sich zu Wagner:
"Wir haben es mit einem avantgardistischen, anarchistischen Aufrührer und Künstler zu tun, der mit einer Besessenheit an diesem Werk gearbeitet hat, das ohnegleichen ist. Zukunftsweisende Kunst zu machen, an der alle Komponisten der Gegenwart nicht drumrum kommen. Je mehr man sich damit beschäftigt, zeigt sich mir, dass in Wagners Werk nicht die geringsten Ansätze von Rassismus oder irgendwelchen tagespolitischen, mißbrauchbaren Elementen stecken. Brecht hat ihn ja nicht gemocht und ich bin ein Schüler von Brecht, und würde mich heute mit ihm schlagen, weil die Verfremdung, die Brecht erfunden hat, hat Wagner schon viel früher benannt, indem er von Zeitlosigkeit spricht. Zeitlosigkeit heißt ja, ein Stück in eine Ferne setzen, die uns nahe ist, mit der wir uns entdecken und sagen, dass sind wir ja."

Gerade diese Ferne, die uns nah ist, prägt diese kaleidoskopartige Ausstellung, die herausfordert und die nicht Anspruch auf enzyklopädische Vollständigkeit erhebt. Sie realisiert, was Bayreuth oft nur behauptet: Werkstatt zu sein.

Links auf dradio.de:

Konzert Wagner konzertant *
Konzert Webern - Wagner - Bruckner mit dem RSB *
Konzert Wagner und Debussy konzertant *
Verdi und Wagner in Frankfurt *
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