John Updike: „Gegen Ende der Zeit“

Treffendes Gespür für das Jahr 2020

05:30 Minuten
Cover des Romans "Gegen Ende der Zeit" von John Updike vor orangefarbenem Aquarell-Hintergrund
Die USA im Jahr 2020: John Updike hat schon 1997 eine erstaunlich treffende Dystopie über die Vereinigten Staaten der Gegenwart verfasst. © Rowohlt Verlag / Deutschlandradio
Von Martin Tschechne · 15.08.2020
Audio herunterladen
Vor 23 Jahren hat der Schriftsteller John Updike in einem Roman bitterböse ausgemalt, wie schlecht es um die USA im Jahr 2020 stehen könnte. Wer “Gegen Ende der Zeit” heute liest, stellt fest: Updike hat viele Entwicklungen vorausgesehen.
Das Szenario: Es hat einen Krieg gegeben, die USA liegen am Boden. Jede öffentliche Ordnung hat sich aufgelöst, sogar der US-Dollar ist verschwunden. Auf den ersten Blick ist der Roman "Gegen Ende der Zeit" eine ziemlich heftige Dystopie. Bei den meisten Autoren ist so eine Geschichte mit der genussvollen Beschreibung von Niedergang und Katastrophe schon fertig erzählt, die Lektüre entsprechend ermüdend.
John Updike geht da subtiler vor. In seinem Vorgriff auf die Zukunft ist das alles schon geschehen. Es bildet den Rahmen für eine Parabel über das Ende des amerikanischen Traums, über das gnadenlos fortschreitende Alter seines Protagonisten Ben Turnbull und die Erkenntnis, dass es von den letzten wollüstigen Spielchen eines durchschnittlich zynischen Finanzmaklers seiner Generation bis zum Tod nur noch ein sehr kleiner Schritt ist.
Turnbull ist Mitte 60, der typische Vertreter einer Zeit, in der die Politik ihr Volk durch Korruption und Affären entfremdet hat, in immer neue Kriege verwickelt und moralisch reduziert auf die Suche nach dem persönlichen Glück. Wie es in der Verfassung steht. Nur war, als Updike seinen Roman schrieb, aus dem Versprechen längst eine drückende Pflicht geworden. Der Lebensinhalt einer ganzen Kultur.

Die Demütigungen des Schicksals

Updike hat diese Wesenszüge seiner Zeit fortgeschrieben in eine nicht allzu ferne Zukunft. Der Charme des Romans liegt darin, dass diese Zukunft nun da ist: "Gegen Ende der Zeit" erschien 1997 und spielt genau heute, im Jahr 2020. Wir sind eingeladen, die Vision von damals an der Wirklichkeit zu überprüfen.
Die Ausgangslage: Ein Krieg, der in Updikes Fiktion schon ein paar Jahre zurückliegt. Atombomben haben weite Teile der USA zerstört und die Bevölkerung ausgelöscht. Das ist natürlich frei erfunden und dazu noch ziemlich dick aufgetragen. Aber wenn klar wird, dass ausgerechnet China der Gegner in diesem Konflikt war, dann deutet sich schon ein ganz besonders waches Gespür für die Ironie an, mit der das Schicksal seine Demütigungen austeilt.
China war ein Schwellenland. In den USA hatte Bill Clinton die Wirtschaft ins Zentrum aller Politik gestellt, "it’s the economy, stupid!". Das Land platzte vor Selbstgefälligkeit. Updike hat sich da schon eine Strafe von wirklich exquisiter Bosheit ausgedacht. Dass er damit den Kern des Konflikts berührte, die Kultur, das Bild vom Menschen: Heute wissen wir’s.

Ein Roman zum Ende der USA

Andere Aspekte dieser Zukunft, die nun Gegenwart ist, beruhen eher auf Beobachtung und logischem Schlussfolgern. Die hitzige Verzweiflung, mit der Turnbull seine sexuellen Abenteuer sucht, die Gewalttätigkeit, mit der er seine Ziele durchsetzt, das allgegenwärtige Verbrechen, das ganz ungeniert im Garten hinter dem Haus campiert, die abgrundtiefe Spaltung der Gesellschaft in Abgehängte und Profiteure, die Macht der Konzerne.
Bei Updike hat FedEx das Monopol über Straßen, Sicherheit, sogar über die politische Entwicklung an sich gerissen. Die Gebühren, die das Unternehmen dafür kassiert, sind wohl so etwas, wie es früher mal die Steuern waren. Mit dem Unterschied, dass nun der Markt allein die Regeln diktiert. Hätte Updike geahnt, welche Macht Amazon heute haben würde, es hätte genügt, die Namen zu tauschen.
"Gegen Ende der Zeit" sind die USA wieder da, wo sie ganz an ihrem Anfang standen: ein Land auf der Suche nach einer Identität. Im Sommer 2020 bekommt Ben Turnbull eine Krebsdiagnose, im Herbst trägt er wieder Windeln. Auch sein Leben hört auf, wie es begonnen hat. Aber das öffentliche Leben, die Gemeinschaft, die Rolle der Politik, aufbauen, schützen, vermitteln – das alles ist vorbei.
Irgendwo gönnt sich der Autor sogar noch den Spaß, eine Mauer an der Grenze zu Mexiko zu erfinden. Als Leser heute reibt man sich die Augen. Allerdings sind es hier die Mexikaner, die das Bollwerk errichtet haben, weil immer mehr junge US-Amerikaner im eigenen Land keine Zukunft mehr sehen. Der Autor schont seine Leser nicht. "Gegen Ende der Zeit" ist der Roman zum Ende der USA. John Updike hat alles vorausgesehen.

John Updike: "Gegen Ende der Zeit"
Aus dem Amerikanischen von Maria Carlsson
Rowohlt, Hamburg 2000
400 Seiten, 9,90 Euro

Mehr zum Thema