Was wurde aus dem amerikanischen Traum?

"Welcome to an unhappy nation"

Ein Zelt von Obdachlosen, aufgestellt im Regierungsviertel von Washington D.C.
Ein Zelt von Obdachlosen, aufgestellt im Regierungsviertel von Washington D.C. © Deutschlandradio/ Nana Brink
Von Nana Brink · 30.10.2016
Der Glaube, dass jeder es schaffen kann - er ist vielen US-Amerikanern verloren gegangen. Nur noch wenige profitieren von den legendären unbegrenzten Möglichkeiten ihres Landes. Eine Reise durch die USA - auf der Suche nach den Überresten des amerikanischen Traums.
319 Millionen Menschen leben in den USA, macht 319 amerikanische Träume. Oder wie Präsident Obama bei seinem Amtsantritt 2009 sagte: Jeder hat einen verdient. Damals ging eine Aufbruchsstimmung durch das Land und alle hatten daran teil: Schwarze, Weiße, Latinos, Indianer, Inder, Pakistani - Amerikaner eben.
Acht Jahre später begrüßt der Passbeamte am Flughafen die Autorin mit: "Welcome to an unhappy nation". Was ist geschehen? Wo ist er geblieben, der amerikanische Traum? Gilt er nicht mehr, der Spruch: Arbeite hart und du wirst es schaffen?
Auf einer Reise, die in Washington beginnt und endet, begegnet man Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Phil, ein intellektueller Ostküstenbewohner und Demokrat, findet, dass der amerikanische Traum so etwas wie die DNA seines Landes ist - nicht wegzudenken.
"Ob ich einen Amerikanischen Traum habe? Er ist in unserer DNA. Auch wenn wir es nicht immer betonen, wir haben ihn. Du kannst es schaffen. Wenn du es nicht schaffst, dann liegt es an dir, dann bist du zu faul."
Phil lebt mit seiner Frau in einem bürgerlichen Viertel Washingtons. Sie gehören zur gut situierten Ostküsten-Elite. Nur wenige Straßen entfernt vom Regierungsviertel sieht es ganz anders aus.

Wer nicht mehr an sein Glück glaubt, hat schon verloren

Reginald Black, Obdachloser, Washington DC
Seine Mutter starb, dann kam die Rezession - und ein Unfall: Nun lebt Reginald Black auf den Straßen Washingtons.© Deutschlandradio Kultur / Nana Brink
Reginald trippelt an der Kreuzung auf und ab und verkauft eine Obdachlosenzeitung. Glaubt er an den amerikanischen Traum? - "Nicht mehr. Ich habe alles getan für diesen Amerikanischen Traum, aber das Puzzle geht nicht auf." - Er ist desillusioniert. Er hat alles versucht, es hat nicht geklappt. Mit dem Tod seiner Mutter fing der Abstieg an.
"Ich habe sie verloren, als ich sechs Jahre alt war. Dann hatte ich mit 14 einen Unfall und dann kam die Rezession und ich habe mich auf der Straße wiedergefunden. Es ist ein ewiger Kampf. Der traditionelle amerikanische Traum ist nicht für mich."
Reginald wird nicht zur Wahl gehen. Er hat sich nicht registrieren lassen. Wer nicht mehr an den amerikanischen Traum glaubt, der hat es schwer in einem Land, dessen Gründungsmythos auf Hoffnung und Optimismus beruht. Vielleicht glauben deshalb unverdrossen so viele, dass hier jeder irgendwann sein Glück machen kann.

Vom Tagelöhner zum Bauunternehmer zum Trump-Wähler

Antonio, ein Latino aus Guatemala, hat seit zehn Jahren einen US-amerikanischen Pass, seit 20 Jahren lebt er in den Vereinigten Staaten. Er hat ihn gelebt, den amerikanischen Traum, vom Tagelöhner ist er zum Bauunternehmer aufgestiegen. Heute verteidigt er mit Zähnen und Klauen das, was er erreicht hat. Er ist gegen die Einwanderer aus Mittelamerika, obwohl er selbst dort herkommt. Er will die Mauer. Er wählt Trump.
"Ich mag Trump, weil er betont, dass wir unsere Grenzen schützen müssen. Auch wenn meine Landleute sagen, er sei ein Rassist. Hey, ich liebe dieses Land, weil es hier Gesetze gibt. Wie Trump sagt: Wir müssen die illegale Einwanderung stoppen. Das ist ein Problem für uns."
Angst vor dem Abstieg hat insbesondere die Mittelschicht, und sie hat auch allen Grund dazu. Viele haben während der Finanzkrise alles verloren - und mussten von vorne anfangen und aufs Neue daran glauben, dass sie es schaffen werden. Längst nicht allen ist das geglückt.
Antonio Nova, vor seinem Pickup
Antonio Nova ist selbst Latino - und Einwanderungsgegner. Er wird Trump wählen.© Deutschlandradio Kultur / Nana Brink

Waffenlobby hat ihren Kandidaten

Auch Steve Clark hat etwas zu verlieren. Er besitzt ein Waffengeschäft in Virginia und verkauft Gewehre aller Art. Der Schießplatz zum Testen liegt gleich hinter seinem Laden. Dass er kein Fan von Waffengegner Obama ist, ist klar. Auch Hillary Clinton findet er indiskutabel, sie vertritt nicht seine Interessen. Für Clark gibt es nur einen echten Kandidaten: Trump. Dass der seinen Ruf inzwischen gänzlich verspielt hat, glaubt er nicht, er hält dies für eine Medienkampagne. Und Trump für den Retter der Nation.
"Die Medien wollen uns das glauben machen. Er hätte sich doch längst zurückziehen können, aber er hat sich entschieden zu kandidieren, weil dieses Land einen Wechsel braucht, es geht in die falsche Richtung."
Waffen mit Südstaatenfahne in einem Gunshop in Warrenton, USA
Für Waffenfans und die Waffenlobby gibt es nur eine Wahl: Trump.© Deutschlandradio Kultur / Nana Brink

Nach der Uni 100.000 Dollar Schulden

Die gut ausgebildeten, jungen US-Bürger, diejenigen, die studiert haben mit der Aussicht auf gute Jobs, werden wohl mehrheitlich für Hillary Clinton stimmen - nicht weil sie überzeugt von ihr sind, sondern aus Mangel an Alternativen. Der Wissenschaftler Jay und seine Kollegen hätten gerne den Kandidaten Bernie Sander als demokratischen Präsidentschaftskandidaten gesehen. Nun müssen sie Trump verhindern und wählen deshalb Hillary. Der amerikanische Traum ist für junge Akademiker wie Jay eine Utopie. Sie sind nach ihrer Ausbildung hoch verschuldet.
"Also, die klassische Beschreibung wäre: Arbeite hart, halte dich an die Gesetze, lebe gut und sterbe glücklich, aber das ist die romantische Idee, eher zynisch heutzutage. Ich habe 100.000 Dollar Schulden nach meinem Uni-Abschluss, wie viele meiner Generation, und wenn ich mir zehn Jahre später ein Haus kaufen will, habe ich wieder Schulden. Allein die Betreuung eines Kleinkindes kostet 18.000 Dollar im Jahr."
Obwohl Jay und seine Kollegen desillusioniert sind und mit der Prämisse "Jeder ist seines Glückes Schmied" wenig anfangen können, wollen sie ihn nicht begraben, den amerikanischen Traum. Er ist der Kit, der das Land zusammenhält.
"Ist der amerikanische Traum noch am Leben? Nein. Aber wir hoffen, dass er wiederkommt."

Das Manuskript zur Sendung im pdf-Format oder im barriererarmen Textformat.

Auf ihrer Reise, die in Washington begann und endete, ist Reporterin Nana Brink den unterschiedlichsten Menschen begegnet - immer auf der Suche nach dem amerikanischen Traum:
Reporterin Nana Brink vor dem Weißen Haus in Washington, USA
Reporterin Nana Brink vor dem Weißen Haus in Washington, USA© Deutschlandradio Kultur / Nana Brink
"Was mich am meisten fasziniert hat ist die Tatsache, dass der amerikanische Traum eigentlich längst nicht mehr funktioniert, aber trotzdem alle daran glauben - oder daran glauben wollen."
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