Jörg Lau: "Worte, die die Welt beherrschen"

Die versteckte Agenda der Worte

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Das Bild zeigt das rote Cover des Buches "Worte, die die Welt beherrschen". Der Titel ist auf einem weißen Kreis gedruckt, in dem die Weltkarte angedeutet ist.
© Droemer Knaur

Jörg Lau

Worte, die die Welt beherrschenDroemer Knaur, München 2025

192 Seiten

18,00 Euro

Von Steffen Wurzel |
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In "Worte, die die Welt beherrschen" analysiert Jörg Lau 80 außenpolitische Standard-Phrasen aus Politik und Medien. Ob "Weckruf" oder "Frieden": Lau zeigt, wie harmlose Worte Debatten prägen, verschleiern - und manchmal auch gefährlich werden können.
Irgendetwas stimmt nicht mit der Sprache, in der wir hier in Deutschland über die großen außenpolitischen Dinge diskutieren. Das schreibt Jörg Lau im Vorwort seines Buchs, in dem er sich mit 80 außenpolitischen Standard-Phrasen befasst. Seine Lieblingsphrase, sagt der Autor, ist unter dem Buchstaben W zu finden: „Also … eine, die ich am offensichtlichsten doof finde, ist die Phrase Weckruf!“  
„Was ist das für ein komisches Bild, dass wir ein Weckruf brauchen. Und das kommt immer und immer wieder, wenn uns etwas überrollt. Der Angriff Putins soll ein Weckruf sein. Die erste Wahl Donald Trumps war schon ein Weckruf, und das wird immer wieder gesagt. Und dann kommt der offenbar nicht oder man legt sich wieder schlafen, um im Bild zu bleiben. Dieses Weckruf-Klischee ist, glaube ich, wirklich totgeritten.“  

Von "Abnutzungskrieg" bis "Zeitenwende"

Jörg Lau befasst sich in seinem Buch mit 80 außenpolitischen Standard-Floskeln, die einem in Politikerreden und journalistischen Texten fast täglich begegnen: von A wie „Abnutzungskrieg“ und „Augenhöhe“ bis Z wie „Zweistaatenlösung“ und „Zeitenwende“. Auf jeweils zwei bis drei Seiten analysiert er die jeweiligen Begriffe sprachlich und inhaltlich. Und er zeigt auf, dass diese Floskeln nicht nur dazu dienen, komplexe Inhalte auf ein vermeintlich einfaches Niveau herunterzubrechen. Immer wieder stecke auch Ideologie dahinter.
Als Beispiel nennt Jörg Lau den eigentlich harmlosen und positiv konnotierten Begriff „Frieden“. Im zurückliegenden Wahlkampf aber hätten die Parteien diesen Begriff ideologisch aufgeladen. „Die einen wollten ‚Frieden sichern‘ (SPD), die anderen ‘Frieden schützen‘ (AfD), die nächsten gar dem ‚Frieden wieder eine Heimat‘ geben (BSW). Gemeint war mit diesen sehr ähnlichen Parolen Gegensätzliches: Die einen waren für Waffenlieferungen an die Ukraine, die anderen wollten diese sofort beenden. ‘Frieden‘ ist, so paradox es klingt, ein Kampfbegriff, hinter dem sich bei genauerem Hinsehen unvereinbare außenpolitische Wertvorstellungen verbergen.“  

Die Wirklichkeit verschwimmt hinter Phrasen

Phrasen zu verwenden, in Artikeln oder Reden zur Außenpolitik, das sei nicht automatisch falsch, betont Jörg Lau im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Aber häufig stelle man durch sie die Wirklichkeit falsch dar. Und dann werde es eben problematisch. Beispiel: der „Globale Süden“ – ein Begriff, der früher vor allem im Zusammenhang mit Entwicklungszusammenarbeit verwendet wurde.
Inzwischen wird die Formulierung vom „Globalen Süden“ häufig verwendet, wenn es um die Machtverschiebung auf der Welt geht. Dass Länder wie Uruguay, Pakistan, die Fidschi-Inseln, China und Nigeria völlig unterschiedliche Staaten sind, obwohl alle zum Globalen Süden gehören, fällt dabei unter den Tisch. „Das Irreführende an diesem Begriff ist, wenn man suggeriert, das sei eine politische Einheit. Da gibt es die unterschiedlichsten Modelle: Demokratien, Autokratien, Diktaturen. Es gibt die unterschiedlichsten Interessen auf dieser Seite. Es gibt ein gemeinsames Interesse daran, die Weltordnung gerechter zu gestalten. Das ist auch völlig in Ordnung. Aber das ist nicht ein Block, wie man das früher in Zeiten des Kalten Krieges kannte.“

Nachschlagewerk und Abrechnung zugleich

Die knapp 200 Seiten über die „Worte, die die Welt beherrschen“ sind nicht nur eine Abrechnung mit der oft schlampigen Art und Weise, wie Politiker und Journalisten diese Phrasen verwenden. Das Buch ist auch ein praktisches Nachschlagewerk für alle, die sich für außenpolitische Zusammenhänge interessieren. So erklärt Jörg Lau anschaulich den Unterschied zwischen „Ein-China-Politik“ und „Ein-China-Prinzip“, wenn es um den Status der Inselrepublik Taiwan geht. Klingt ähnlich, ist aber nicht das Gleiche, auch wenn die Propaganda der Kommunistischen Partei China das immer wieder behaupte, schreibt der Autor.  
„Leider ist Pekings Propaganda erfolgreich: Journalisten und Politiker werfen die verschiedenen Ein-China-Konzepte durcheinander und verwenden die Begriffe synonym. Sigmar Gabriel behauptete Ende 2023 in einem Interview, dass ‚wir alle Anfang der 1970er-Jahre akzeptiert haben, dass die Volksrepublik ganz China vertritt, also auch Taiwan‘. Ein Ex-Außenminister sollte es besser wissen. Die Ein-China-Politik will den Status quo taiwanischer Selbstregierung unterhalb der Schwelle voller staatlicher Souveränität bewahren; das Ein-China-Prinzip hingegen ist die Legitimationsbasis für eine kommende Annexion – ein Unterschied, der über Krieg und Frieden entscheiden kann.“  

Plädoyer für eine neue Debatte über Außenpolitik

Jörg Lau hat das Buch nicht geschrieben, um besserwisserisch zu belehren, oder um pedantisch auf Ungenauigkeiten hinzuweisen. Vielmehr ist „Worte, die die Welt beherrschen“ ein Plädoyer dafür, sich ausführlicher mit den bedeutenden außenpolitischen Fragen zu befassen, statt nur an der Oberfläche zu kratzen. Das ist tatsächlich wichtiger denn je. Trotzdem nutzen Journalistinnen und Journalisten, Politikerinnen und Politiker allzu häufig Floskeln, um sich vor komplizierten Zusammenhängen und mühsamen oder unbequemen Diskussionen zu drücken.  
„Ich finde sinnvoll, dass man, wenn man sie benutzt, sich klar wird darüber, was man eigentlich meint, was man eigentlich genau vorschlägt. Also mir geht es eigentlich mehr darum, dieses Diffuse zu durchstoßen. Wir brauchen nämlich eine konkrete neue Debatte über die Außenpolitik. Wir leben in sehr gefährlichen, unsicheren Zeiten, in denen vieles neu zu bedenken ist.“ Jörg Lau hat ein interessantes, kluges und kurzweiliges Buch geschrieben - für alle, die sich für Außenpolitik und/oder die bewusste, genauere Verwendung von Sprache interessieren.
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