"Im Westen nichts Neues"

Was Remarques Antikriegsroman uns heute noch sagt

Historisches Schwarz-Weiß-Foto (ca. 1916) einer typischen Kriegsszene, wie sie Erich Maria Remarque im Roman "Im Westen nichts Neues" geschildert hat.
Aus der Jugend in den Krieg geworfen: Die historische Aufnahme zeigt deutsche Soldaten an der Westfront des Ersten Weltkriegs, um 1916. © Getty Images / Hulton Archive
13.03.2023
Gewinner von vier Oscars: Edward Bergers Verfilmung des Antikriegs-Bestsellers "Im Westen nichts Neues" hat auch das Interesse am Roman von Erich Maria Remarque neu entfacht. 1929 hatte Remarque damit den Antikriegsroman schlechthin geliefert.
Von der Schule direkt in den Schützengraben: Erich Maria Remarques Buch "Im Westen nichts Neues" aus dem Jahr 1929 schildert aus der Sicht junger Soldaten die Schrecken des Ersten Weltkriegs. Der pazifistische Roman avanciert schnell zum internationalen Bestseller und macht Remarque weltweit bekannt. Schon 1930 kommt eine US-amerikanische Verfilmung in die Kinos - und wurde in Deutschland nach wenigen Tagen verboten.

Ein Bestseller im Aufwind

Der erste deutsche Film nach der Romanvorlage, die Netflix-Produktion "Im Westen nichts Neues" von Regisseur Edward Berger, war für neun Oscars nominiert - und gewann vier Trophäen. Sieben BAFTA-Awards hat der Film bereits von der britischen Film-Academy erhalten. Seit dem Kinostart im September 2022 stieg auch die Nachfrage nach Remarques Antikriegsroman: Laut Verlag kauften im Januar und Februar 2023 dreimal so viele Leserinnen und Leser wie im Vorjahr das Buch "Im Westen nichts Neues". Für den schnellen Überblick: hier eine Zusammenfassung der wichtigsten Ideen und Hintergründe des Romans.

Wovon handelt Erich Maria Remarques Roman?

"Im Westen nichts Neues" erzählt von einer Gruppe junger Soldaten, die im Ersten Weltkrieg als Freiwillige zum Einsatz an die Westfront geschickt werden. Zunächst ergriffen von nationaler Propaganda, verlieren sie in den Schützengräben schnell ihre Illusionen. In einem zermürbenden Stellungskrieg, auf den sie kaum vorbereitet sind, kämpfen sie bald vor allem um das eigene Überleben.
Der Ich-Erzähler Paul Bäumer erlebt Hunger, Kälte und Todesangst. Im Granatenhagel und bei Gas-Angriffen sieht er Klassenkameraden an seiner Seite sterben. Mit einer klaren, schnörkellosen Sprache zieht Remarque uns mitten ins Geschehen hinein. Wir suchen mit Paul Bäumer Deckung hinter Sandsäcken und in Bombentrichtern, fühlen die Erde unter Panzerketten erzittern, hören das Pfeifen der Granaten oder die ersterbenden Rufe Verwundeter auf dem Schlachtfeld. Ein Jahrzehnt nach dem Ende des Ersten Weltkriegs treffen diese schonungslosen Szenen bei vielen einen Nerv, und "Im Westen nichts Neues" gilt bald als der Antikriegsroman schlechthin.
Neben der Schilderung von Kampfhandlungen, von Drill, Willkür und Schikane auf dem Kasernenhof und Elend im Lazarett lässt Remarque seine Figuren immer wieder darüber nachdenken, was sie nach dem Ende des Krieges zu erwarten haben. Sein eigentliches Thema ist die Frage, welche Folgen die psychischen Verletzungen der jungen Soldaten haben werden. Im historischen Rückblick wird Remarques Roman deshalb häufig als Literatur einer "verlorenen Generation" bezeichnet.

Was bedeutet der Satz "Im Westen nichts Neues"?

Am Ende des Romans wechselt die Perspektive, und ein distanzierter Erzähler berichtet vom Tod Paul Bäumers, der in den letzten Kriegstagen - wie zuvor die meisten seiner Kameraden - stirbt.

Er fiel im Oktober 1918, an einem Tage, der so ruhig und still war an der ganzen Front, dass der Heeresbericht sich nur auf den Satz beschränkte, im Westen sei nichts Neues zu melden.

Erich Maria Remarque: "Im Westen nichts Neues"

Weshalb wurde der Roman zum Bestseller?

Bevor "Im Westen nichts Neues" im Januar 1929 erscheint, wird das Buch im Herbst 1928 bereits als Fortsetzungsroman in der "Vossischen Zeitung" veröffentlicht. Der Verlag begleitet das mit einer "im deutschen Buchmarkt noch nicht dagewesenen Marketingkampagne", sagt der Literaturwissenschaftler Thomas F. Schneider, Leiter des Erich Maria Remarque-Friedenszentrums in Osnabrück. Das ursprünglich als Roman konzipierte Buch sei als Erfahrungsbericht eines ehemaligen Frontsoldaten hingestellt worden:
"Es wird angekündigt mit: Wir haben hier, mit 'Im Westen nichts Neues' einen Text, den es vorher so noch nicht gegeben hat. Es ist etwas Neues, hier berichtet erstmals der einfache Soldat, und er schildert uns genau die Wahrheit über die Grausamkeiten des Krieges."
Im ersten Weltkrieg werden die Soldaten zunehmend mit einer "industrialisierten" Kriegsführung" konfrontiert, erläutert Schneider in einem Radio-Vortrag: Maschinengewehre, feindliche Panzer und Flugzeuge schaffen eine völlig neue Situation, in der es für traditionelle Vorstellungen von Heldenmut keinen Platz mehr gibt.

Ebenso zufällig, wie ich getroffen werde, bleibe ich am Leben. Im bombensicheren Unterstand kann ich zerquetscht werden, und auf freiem Felde zehn Stunden Trommelfeuer unverletzt überstehen. jeder Soldat bleibt nur durch tausend Zufälle am Leben.

Erich Maria Remarque: "Im Westen nichts Neues"

Indem er die Brutalität der Kampfhandlungen aus der Perspektive von Frontsoldaten geschildert und dabei ihre Erfahrung des Ausgeliefertseins und der Sinnlosigkeit eingefangen habe, sei es Remarque zudem gelungen, die Perspektive international zu weiten, so urteilen Schneider und der Historiker John W. Chambers in einem Essay für die Zeitschrift "Text und Kritik": "Englische, amerikanische, französische, russische Leser identifizierten sich ausgerechnet mit dem Schicksal einer Handvoll deutscher Soldaten und machten deren fiktionale Erfahrungen zu ihren eigenen."
"Im Westen nichts Neues" ist zu einem Klassiker der Weltliteratur geworden. Eine Million Exemplare waren bereits im Sommer 1930 verkauft. Inzwischen liegt der Roman in über 50 Übersetzungen vor, und seine weltweite Auflage beträgt rund 20 Millionen.

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Erzählt der Roman eine wahre Geschichte?

Der beim ersten Erscheinen von "Im Westen nichts Neues" erweckte Eindruck, dass Erich Maria Remarque in seinem Buch durch die Figur Paul Bäumer von eigenen Kriegserlebnissen berichte, entspricht nicht der Wirklichkeit, betont Thomas F. Schneider vom Remarque-Friedenszentrum. Der 1898 als Erich Paul Remark geborene Autor wurde zwar im November 1916 in die Armee eingezogen und im Sommer 1917 als Schanzsoldat an die Westfront in Flandern geschickt. Dort verbrachte er jedoch nur einige Wochen.
Nach Verletzungen durch Granatsplitter gelangte er in ein Lazarett in Duisburg, wo er bis Ende Oktober 1918 blieb. Später hat Remarque selbst erklärt, dass er für seinen Roman vor allem auf die Kriegserfahrungen anderer zurückgegriffen hat, unter anderem aus zahlreichen Gesprächen, die er im Lazarett geführt hat.
Die Gruppe von Soldaten, die im Mittelpunkt des Romans steht, ist, wie Schneider und Chambers bemerken, "sozial repräsentativ zusammengesetzt: vier von der Schulbank in den Krieg gezogene Freiwillige ohne Lebensperspektive und vier weniger gebildete Unterschichtler (Bauern, Handwerker und Arbeiter), die bereits ihren Platz in der Gesellschaft durch Familie und Beruf gefunden haben."

Was hat uns Remarques Buch heute noch zu sagen?

"Im Westen nichts Neues" hat Leserinnen und Leser auf der ganzen Welt gefunden. Der Humanismus des Romans spreche auch heute noch viele Menschen an, beobachtet der Literaturwissenschaftler und Remarque-Forscher Thomas F. Schneider. Nicht zuletzt deshalb, weil die Inhalte des Romans "leider nichts an ihrer Aktualität verloren haben".
Das beobachte er etwa, wenn Schulklassen das Remarque-Friedenszentrum in Osnabrück besuchen: Nicht selten hätten Mitschüler selbst eine Fluchtgeschichte. Die Frage, die Remarque besonders bewegte, wie es möglich ist, nach der Erfahrung von Krieg und Gewalt neue Lebensperspektiven zu finden, kennen manche von ihnen aus dem eigenen Erleben.

Mein eigentliches Thema war ein rein menschliches Thema: dass man jungen Menschen von 18 Jahren, die eigentlich dem Leben gegenübergestellt werden sollten, plötzlich dem Tode gegenüberstellte, und was würde mit ihnen geschehen?

Erich Maria Remarque im Interview mit dem Kritiker Friedrich Luft, 1963

Warum wurde die US-Verfilmung 1930 in einigen Ländern verboten?

"Im Westen nichts Neues" wurde bereits im Jahr nach Erscheinen des Romans verfilmt. Der Film des US-amerikanischen Regisseurs Lewis Milestone gilt heute seinerseits als Klassiker des Antikriegsfilms. Für den Realismus der Schlachtszenen erntet die aufwändige Produktion viel Lob. Doch die Aussage des Films führt zu heftigen Kontroversen.

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Am 4. Dezember 1930 feiert der Film seine Deutschlandpremiere in Berlin. Schon eine Woche später verbietet ihn die zuständige Prüfstelle des Deutschen Reiches. Dem Verbot geht eine heftige Gegenkampagne voraus. Besonders den Nationalsozialisten ist der Film, ebenso wie Remarques Roman, ein Dorn im Auge. Sie werfen ihm unpatriotische Propaganda vor, erklärt Thomas F. Schneider.
Joseph Goebbels, zu dieser Zeit Gauleiter von Berlin, organisiert Demonstrationen, um die Vorführung des Films zu verhindern. In Kinos kommt es zu Schlägereien, Vorführungen werden mit Stinkbomben gestört. Nach einigen Tagen kommt das Verbot. "Die noch halbwegs demokratischen Institutionen waren vor der Macht der Straße eingeknickt", resümiert Thomas F. Schneider in seinem Nachwort zu "Im Westen nichts Neues".
Auch in anderen Ländern war Milestones Film verboten, darunter Italien und Österreich, die ebenfalls 1930 Verbote verhängten, Japan, aber auch Frankreich, wo der Film von 1939 bis 1963 nicht gezeigt werden durfte.

Wie überzeugend ist die neue Verfilmung?

Edward Bergers Film "Im Westen nichts Neues" nimmt sich gegenüber dem Roman einige Freiheiten heraus. Besonders aufwändig hat Berger die Schlachtszenen inszeniert. Es sei ihm darum gegangen, dass "die Brutalität, das Gefühl, das den Hauptdarsteller überfällt" bei den Zuschauern möglichst noch eine Weile nachwirke und zum Anstoß für Gespräche werde, sagt Berger. Alles Heroische, Glorifizierende habe er dabei unbedingt vermeiden wollen.

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Neben anerkennenden Besprechungen erfuhr Bergers Verfilmung in der deutschen Öffentlichkeit auch viel Kritik. Die Publizistin Katja Nicodemus etwa meint, dem Film fehle "ein gegenwärtiger Blick oder auch eine inhaltliche, ästhetische, visuelle Haltung". Wo Berger von Remarques Vorlage abweiche, verfalle er zum Teil ins Klischee. Das eindrucksvolle Spiel der Darsteller komme gegen ein allzu sehr ausgestelltes Ausstattungskino nicht an.
In den USA fällt der Blick der Kritik auf den Film anders aus. "Ein harter Film, aber mit einer starken Aussage", so eines der Urteile. Die moderne Machart und eindrucksvolle Kameraführung komme beim jungen Publikum gut an, beobachtet ein Kritiker. Skeptisch reagierten jedoch auch US-Medien auf das brutale "Spektakel", das der Film entfache.
"Im Westen nichts Neues" war für neun Oscars nominiert, darunter auch für den Preis als bester Film. Bei der Verleihung erhielt der Film vier Oscars - für den besten internationalen Film, beste Kameraführung, beste Musik und bestes Produktionsdesign.
Das Werk von Regisseur Edward Berger war damit erst der vierte Film aus Deutschland, der den Auslands-Oscar gewann (nach "Die Blechtrommel", "Nirgendwo in Afrika" und "Das Leben der Anderen"). Der frühere Berlinale-Chef Dieter Kosslick gratulierte Berger im Dlf zu dem "phantastischen Erfolg". Der Film habe in Zeiten des Kriegs in der Ukraine "Momentum" gehabt und sei hervorragend inszeniert. Dass ein Netflix-Film, der keine Mittel aus der staatlichen deutschen Filmförderung erhalten habe, "alles abräumt", zeige, dass ein "großes Nachdenken" über das Fördersystem angesagt sei.

Verwendete Literatur

Erich Maria Remarque: "Im Westen nichts Neues"
In der Fassung der Erstausgabe mit einem Nachwort von Thomas F. Schneider
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014
325 Seiten, 10 Euro

Text + Kritik. Zeitschrift für Literatur
#149 Erich Maria Remarque

Richard Boorberg Verlag, München 2001
104 Seiten, 13 Euro

(Quellen: fka mit Material von dpa, Deutsches Historisches Museum, Kindlers Neues Literaturlexikon, tei)
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