Manfred Krug: "Ich bin zu zart für diese Welt"

Arbeitsjournal, Tratsch und hellsichtige Analysen

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Cover von Manfred Krugs zweitem Band seiner Tagebücher: "Ich bin zu zart für diese Welt".
© Kanon

Manfred Krug

Ich bin zu zart für diese Welt. Tagebücher 1998-1999Kanon, Berlin 2023

303 Seiten

24,00 Euro

Von Maike Albath · 25.01.2023
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Manfred Krug legt den zweiten Band seiner Tagebücher vor. Es geht um die Arbeit, die Ehefrau Ottilie und eine konkurrierende Geliebte, Kinder, Tratsch, politische Analysen und erste Gebrechen. Private Zeitgeschichte, krugisch schlitzohrig!
Manfred Krug, dieser Berserker unter den deutschen Schauspielern, hadert im zweiten Band seiner herrlichen Tagebücher mit der eigenen Schwäche. „Ich bin zu zart für diese Welt“ lautet der Titel folgerichtig, und tatsächlich kommt unter dem rauen Gehabe, das er weiterhin für allzu dumme Regisseure, freche Reporter oder begriffsstutzige Kollegen auf Lager hat, häufig der leidende Mann zum Vorschein.
Zunehmend machen Krug körperliche Gebrechen zu schaffen, und zunehmend scheint ihn die Komplexität seines Beziehungslebens zu überfordern. Dabei hat er es selbst so eingerichtet: Es gibt eben nicht nur die bewundernswert langmütige Ehefrau Ottilie, drei erwachsene Kinder, Enkel und einen sterbenden Vater, es gibt auch die Geliebte Petra, die sich mit der gemeinsamen Tochter Marlene regelmäßig abends bei ihm einfindet.

Und abends die Kinder

Zwar ist das Ganze auf zwei verschiedene Wohnungen im selben Haus verteilt, dennoch ist es für alle Beteiligten eine schwere Prüfung. Wie in einer französischen Komödie kommt es in ungünstigen Momenten zu Zusammentreffen. Für die Kränkung Ottilies hat Krug nur wenig Verständnis – manchmal wirkt es so, als sei vor allem er der Geplagte. Sie habe doch ein prima Leben, hält er der betrogenen Gattin mehrfach vor.
Anrührend ist dennoch, mit welcher Zärtlichkeit der 61-jährige an der kleinen Marlene hängt. „Abends die Kinder“ heißt es in den kurzweiligen Notaten häufig, und damit meint er bezeichnenderweise nicht nur Marlene, sondern auch seine Liebhaberin. Erst als die Liaison zerbricht, taucht sie mit ihrem Vornamen auf.
Der zweite Band der Tagebücher besticht genau wie der erste durch die Mischung aus Arbeitsjournal, Befindlichkeitsstudie, Tratsch und hellsichtigen Analysen der politischen Lage.
Beinahe täglich legt Manfred Krug Rechenschaft ab, gibt Auskunft über die „Tatort“-Drehtage in Hamburg, die Mühsal, alberne Telekom-Spots zu drehen, ausufernde Feste, Freunde, Flohmarktbesuche, Gewichtsprobleme und das Weltgeschehen. Sich selbst betrachtet er mit spöttischer Distanz. Dann wieder stellt sich Erschöpfung ein: Er könne sich nicht täglich den kleinen Teil der Welt zusammensuchen, in den er passe, barmt er.

Empfindlich gegenüber Opportunismus

Am Set macht ihm Textschwäche zu schaffen, was er mit Spickzetteln in Großbuchstaben zu lösen versteht. Dialoge werden verbessert, Szenen häufig umgeschrieben, und die Einschaltquote bleibt unverändert hoch. Unbeirrbar hält Krug an Qualität fest.
Geprägt durch seine Erfahrungen in einem totalitären System reagiert er empfindlich auf jede Art von Opportunismus. Er sieht erstaunlich viel fern. Leichtathletik-Wettkämpfe schaut er sich allerdings nur an, weil sie seinem besten Freund Jurek Becker gefallen hätten, um den er weiterhin tief trauert.
Nach außen muss Manfred Krug vor allem die Existenz der jüngsten Tochter vernebeln, weil ein „Bankert“ für die "Bild" das gefundene Fressen wäre. Zwar hat der zweite Teil der Tagebücher keine vergleichbaren Paukenschläge wie der erste zu bieten, die Lektüre ist dennoch äußerst vergnüglich. Private Zeitgeschichte, krugisch schlitzohrig.
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