Kahlschlag in Europas Wäldern
Ein Bild der Zerstörung: Für Pellets abgeholzter Laubwald in einem Feuchtgebiet. © Dogwood Alliance 2022
Das fatale Geschäft mit Holzpellets
30:18 Minuten
Die EU hat das Verbrennen von Holz als nachhaltig definiert, um die Abhängigkeit von fossilen Energien zu verringern. Um von den Subventionen zu profitieren, stellen immer mehr Kohlekraftwerke auf Holz um. Mit dramatischen Folgen für Europas Wälder. (Erstsendung am 22.11.22)
Mit Marcel Mindrescu, Geografieprofessor an der Universität von Suceava, besuche ich den Rodna-Nationalpark in den Nordost-Karpaten Rumäniens, an der Grenze zur Ukraine. Weitab von jeder menschlichen Ansiedlung geht die Fahrt über eine Schotterstraße und schließlich einen steilen Weg hinauf. Fast nur Bäume sind zu sehen: Roteichen, dann dichter Fichtenwald. Nur da und dort blitzt zwischen den Wipfeln die Vormittagssonne auf. Ziemlich weit oben, auf fast 1800 Metern Höhe, halten wir. Hier, nahe der Baumgrenze, grasen Schafe, Pferde, eine Bergziege.
Marcel Mindrescu führt mich 200 Meter in den Wald hinein und zeigt auf die verwüstete Fläche vor uns. „Den Wald hier haben sie komplett abgeholzt“, sagt er. „Einen solchen Kahlschlag nennen sie bei uns in Rumänien ‚Durchforstung‘. Sie sehen ja: Nur eine Handvoll junger Bäume stehen noch da und dort. Nach dem Gesetz aber müssten hier, im Nationalpark, mindestens 75 Prozent der Bäume stehen bleiben bei einer Durchforstung. Stattdessen haben sie den Wald in eine Halbwüste verwandelt.“
Über die Hälfte der EU-Holzernte wird verbrannt
Die Abholzung im rumänischen Rodna-Nationalpark ist kein Einzelfall. Vielerorts in der Europäischen Union werden derzeit Wälder abgeholzt, um die wachsende Holznachfrage zu decken. Das Holz wird nicht gebraucht, um daraus Dachbalken, Dielenbretter oder Möbel zu produzieren. Das Holz wird verfeuert. Denn immer mehr Bürger kaufen Kaminöfen oder Holzheizungen; immer mehr Kohlekraftwerke stellen auf Holzpellets um. 2005 wurden noch gut fünf Prozent der EU-Holzernte verbrannt, 2018 waren es bereits fast 55 Prozent.
Dafür gibt es zwei wichtige Ursachen. Erstens: Russlands Krieg gegen die Ukraine hat die fossilen Energieträger wie Gas, Öl und Kohle drastisch verteuert. Das macht Holz als Brennstoff lukrativ. Zweitens: Die EU unterstützt das Verfeuern von Holz durch großzügige Subventionen. So will man die Abhängigkeit von fossilen Energien verringern. Unternehmen, die Holz verbrennen, müssen keine Abgaben für CO2-Emissionen entrichten. Denn Holz gilt als erneuerbarer Rohstoff, weil man davon ausgeht, dass ausreichend Bäume nachwachsen.
Zusätzlich zu den EU-Subventionen gibt es nationale Förderprogramme, in Deutschland zum Beispiel nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz. Insgesamt wird Holzverbrennung in der EU mit jährlich fast 30 Milliarden Euro subventioniert.
Viele Experten halten das für einen Irrweg: Auch deshalb, weil in der EU inzwischen deutlich mehr Holz geerntet wird als nachwächst. Mittlerweile werden schon Primärwälder in den USA und Kanada abgeholzt, um Europa mit Holzpellets zu versorgen.
Laxe Genehmigungspraxis in Rumänien
Von der fast zehn Hektar großen Verwüstung im Rodna-Nationalpark fahren wir weiter auf einen der höchsten Gipfel in der Region. Begeistert deutet Mindrescu auf Zirbelkiefern, die hier, umgeben von Wacholderbüschen, noch in 1800 Metern Höhe wachsen. Es gebe Tausende Bären und Wölfe in der Region, die größte Population Europas; und die Sedimente in den Gletscherseen weiter unten seien ein Tagebuch der Erdgeschichte.
Dann deutet der Geograf auf eine mehrere Kilometer entfernte Kahlfläche von rund 200 Hektar, durchzogen von Erdstraßen, abgeholzt über mehrere Jahre. „Die Verwüstung dieses Waldstücks deutet auf Gesetzesverstöße beim Management des Parks hin. Niemand kontrolliert die Situation vor und nach dem Einschlag“, erläutert Mindrescu.
„Als ich noch wissenschaftlicher Beirat des Rodna-Nationalparks war, sagte ich immer: ‚Lasst uns den Zustand des betreffenden Waldstücks vor dem Einschlag fotografisch dokumentieren. Und hinterher prüfen wir, ob ordnungsgemäß eingeschlagen wurde.‘ ‚Nein‘, sagten damals alle. Das sei zu aufwendig. Und so haben wir bei uns ein Waldmanagement auf dem Papier und ein ganz anderes in der Realität. Das ist das Problem in Rumänien.“
RomSilva heißt die rumänische Forstbehörde – die als Staatsunternehmen zugleich Gewinne erwirtschaften soll. Entsprechend lax sei – wenn genug Geld fließe – die Genehmigungspraxis für sogenannte Durchforstungen oder das Fällen kranker Bäume, sagt Mindrescu. Tatsächlich würden dann nicht nur einzelne markierte Bäume geschlagen, sondern oft das ganze Waldstück. Offiziell werden in Rumänien 18 Millionen Festmeter Holz pro Jahr geerntet, aber mehr als 38 Millionen verbraucht oder exportiert. Bei 20 Millionen Festmetern weiß also zumindest die Öffentlichkeit nicht, woher sie stammen.
„Ich bin Mitglied eines Wissenschaftsrats, der unseren Präsidenten zu den Auswirkungen des Klimawandels berät. Dazu aber brauchen wir Daten. Wir müssen wissen, wie groß, zum Beispiel, die CO2-Emissionen von Kraftwerken in Rumänien sind. Und um die Auswirkungen des Klimawandels auf unseren Wald und unsere Gewässer, auf Luftqualität, Ackerböden und die Wirtschaft zu ermitteln, brauchen wir ebenfalls Daten – Daten über die Struktur der Wälder, deren Biomasse und Wachstum, über legalen und illegalen Einschlag. Wir brauchen meteorologische und hydrologische Daten, um das Ausmaß extremer Wetterereignisse prognostizieren zu können.“
Kahlschläge in EU-geschützten Nationalparks
In Carlibaba, einem kleinen Städtchen in der Bukovina im Nordosten Rumäniens, besuchen wir das Ehepaar Forgacz. In der Wohnküche duftet es nach kochendem Gemüse. Ioanna Forgacz hat sich eine Schürze umgebunden und zeigt auf ihren dunkelbraunen Kachelofen, den sie zum Heizen und Kochen nutzt.
„Auf dem Herd koche ich gerade Suppe und nachher Mamaliga, unseren Maisbrei. Ab und zu brate ich auch ein paar Steaks; und im Backofen, der durch spezielle Züge im Innern des Ofens beheizt wird, backe ich Kuchen“, sagt Ioanna. „Jedes Jahr brauchen wir ungefähr sechs Fuhren mit dem Pferdewagen, das sind ungefähr zwölf Festmeter. Mal bringt uns ein Bauer das Holz, mal schlagen wir selber Brennholz. Wir haben ja den Wald direkt vor der Tür.“
Rund vier Millionen rumänische Haushalte heizen ausschließlich mit Holz, sagt Mindrescu. Dafür wird ein Teil des inoffiziell geschlagenen Holzes verwendet. Noch wichtiger aber sind die Lieferungen ins Ausland. Nach einer Studie von Greenpeace hat Rumänien seinen Export von Biomasse zwischen 2020 und 2022 verdoppelt. Die Folgen erklärt Gabriel Paun, Leiter der zivilgesellschaftlichen Organisation Agent Green, die sich dem Schutz der rumänischen Wälder verschrieben hat.
„Inzwischen sind – so sagt es die staatliche Bestandsaufnahme – 81 Prozent unserer Wälder zu jung, um dort Bäume zu schlagen. Und die verbleibenden 19 Prozent bestehen vor allem aus von der EU geschütztem Natura 2000-Wäldern, Nationalparks und anderen wertvollen Beständen. Und in genau diesen Beständen gibt es jetzt Kahlschläge, weil es ja sonst nichts mehr abzuholzen gibt.“
NGO hat gegen Rumäniens Regierung geklagt
Ein großer Teil des Holzes werde geschreddert und zu Holzpellets verarbeitet, sagt Paun. Er kenne österreichische Unternehmen, die illegal geschlagenes Holz in Rumänien gekauft haben. Eins dieser Unternehmen, Schweighofer, firmiert heute als HS Timber Group.
„Wir haben die Firma vor Jahren erwischt, als sie Holz aus jungfräulichen Nationalpark-Wäldern verarbeitete. Wir haben sie dafür bloßgestellt. Und weil das Unternehmen daraufhin Kundschaft und Zertifikate verlor, hat es sein Verhalten geändert. Heute kauft die HS Timber Group kein Holz mehr aus Nationalparks und Urwäldern, sie hat ein Tracking-System für von ihr erworbenes Holz und agiert auch sonst sehr transparent. Die Firma akzeptiert zum Beispiel unangemeldete Kontrollbesuche von uns, was ich als durchaus positiv bewerte.“
Michael Proschek, Sprecher der HS Timber Group, bestätigt: „Wir haben massiven Aufwand betrieben, um schwarze Schafe aus der Lieferkette auszulisten. Wir haben allein letztes Jahr, 2021, uns von fünf Lieferanten getrennt, von denen wir Hinweise erhalten haben, dass sie sich nicht zu hundert Prozent an unsere Einkaufsbedingungen gehalten haben.“
Wegen illegaler Praktiken beim Waldmanagement hat die Nichtregierungsorganisation Agent Green inzwischen auch Rumäniens Regierung verklagt und etliche Verfahren gewonnen. Weil die Regierung jedoch Gerichtsurteile einfach ignoriere, hat Agent Green auch bei der EU-Kommission Klage eingereicht. Dort läuft bereits ein Verfahren gegen Rumänien wegen illegalen Einschlags in sogenannten Natura 2000-Gebieten.
Nachfrage nach Brennholz wächst rasant
Angetrieben werden die großflächigen Abholzungen in Rumäniens Wäldern von der rasant wachsenden Nachfrage nach Brennholz in Europa. Diese Nachfrage schüren Millionen EU-Bürger, die mit Holz heizen. Vor allem aber Energieunternehmen, die Kohlekraftwerke auf Holz umstellen. Das ist ein lukratives Geschäft, das sogar noch mit EU-Subventionen unterstützt wird. Etwa 50 Prozent des in der EU verbrannten Holzes wird in Kraftwerken verfeuert – mit steigender Tendenz.
Vorreiter der industriellen Holzverbrennung ist das im britischen Yorkshire stehende Drax-Kraftwerk, betrieben ursprünglich nur mit Kohle, berichtet aus London Almuth Ernsting, Leiterin der britischen Organisation Biofuelwatch.
„2012 begann Drax, einen Großteil seiner Stromproduktion auf Pellets umzustellen. Derzeit verbrennen vier der sechs Blöcke Holz und zwei Kohle. Drax verbrennt somit mehr Pellets als jedes andere Kraftwerk weltweit – und zwar ausschließlich importierte Pellets. 60 Prozent kommen aus dem Südosten der USA, der Rest aus dem Baltikum und Kanada. Weil Drax ausschließlich Strom produziert und sämtliche Wärme durch die Schornsteine entweichen lässt, liegt die Effizienz des Kraftwerks bei gerade 38 bis 39 Prozent. Anders ausgedrückt: Von zehn verbrannten Bäumen werden sechs für ungenutzte Wärme verschwendet.“
Fast neun Millionen Tonnen Pellets pro Jahr verbrennt das Drax-Kraftwerk. Das entspricht dem Dreifachen der deutschen Pellet- und dem Anderthalbfachen der britischen Holzproduktion. Mit dieser gewaltigen Menge Holz erzeugt das Kraftwerk sieben Prozent des britischen Strombedarfs, großzügig gefördert aus der Staatskasse: 3,5 Millionen Euro gibt es dafür pro Tag an Subventionen.
Umstellung auf Holz ist für Kraftwerke lukrativ
Großbritannien liegt damit ganz auf EU-Kurs. Auch die EU fördert mit der Erneuerbare-Energien-Richtlinie die Umstellung von Kohlekraftwerken auf Holz. Die Abgaben für CO2-Emissionen aus fossiler Energie steigen ja weiter, die Holzverbrennung ist davon befreit. Mehrere Kraftwerke in den Niederlanden und Dänemark haben bereits von Kohle auf Holz umgestellt; die Betreiber des Onyx-Kohlekraftwerks im deutschen Wilhelmshaven erwägen, jährlich 2,9 Millionen Tonnen Pellets zu verbrennen; auch das Vattenfall-Kraftwerk im Berliner Stadtteil Moabit soll bis 2026 umgerüstet werden.
Ein ziemlich lukratives Geschäft, sagt Martin Pigeon, Sprecher der in Brüssel ansässigen Waldschutzorganisation FERN.
„Ich habe gerade eine Studie zu einem großen tschechischen Unternehmen namens EPH veröffentlicht. Dieses Unternehmen kauft Kohle-Kraftwerke, wo es dann neben Kohle auch Holz verbrennt. EPH zahlt deshalb viel weniger für CO2-Emissionen als die früheren Betreiber und macht – angesichts der aktuellen Preise für Emissionen und Energie – Riesen-Profite.“
Das tschechische Unternehmen hat vom deutschen Uniper-Konzern ein Kohlekraftwerk im südfranzösischen Gardanne gekauft. Dort werden jetzt 850.000 Tonnen Holz pro Jahr verbrannt, um 50.000 Haushalte mit Strom zu versorgen. Auch am ostdeutschen Energieunternehmen LEAG, das kürzlich eine Marktanfrage für ein bis zwei Millionen Tonnen Pellets pro Jahr lancierte, ist EPH beteiligt.
Weitere Länder im Visier der Holzwirtschaft
Das treibt die Nachfrage nach Brennholz weiter nach oben. Und so dürfte der Kahlschlag in Europas Wäldern in den kommenden Jahren weiter voranschreiten. Im Visier der Holzwirtschaft sind neben Rumänien, Bulgarien und Polen auch Skandinavien und das Baltikum. Die kleine baltische Republik Estland zum Beispiel, ein Land mit nur 1,3 Millionen Einwohnern und einer Fläche, die kleiner ist als Niedersachsen, ist zum größten Pellet-Lieferanten in Europa aufgestiegen, berichtet Liina Steinberg, Mitarbeiterin der Organisation Rettet Estlands Wälder in der Hauptstadt Tallinn.
„Das exzessive Abholzen in Estland begann in den späten 1990er-Jahren, als bestimmte Leute hier erkannten, dass sie mit dem Verkauf natürlicher Ressourcen viel Geld verdienen konnten. Das Tempo der Abholzung verschärfte sich, als 2009 die Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU in Kraft trat. Die Nachfrage des Auslands nach Pellets und Hackschnitzeln erhöhte sich dramatisch; und es lohnt sich seitdem, auch kleine Bäume in Feuchtgebieten zu fällen, die für Bauholz und Möbel nicht taugen, für Hackschnitzel und Pellets aber gut genug sind.“
Estlands Holzindustrie sei vor allem an den alten, teils hundertjährigen Kiefern- und Fichtenbestände interessiert, meint Liina Steinberg.
„Mehr als 90 Prozent unserer Holzernte stammen aus radikalem Kahlschlag. Hinzu kommt: Wir benutzen Maschinen aus Finnland und Schweden, die für unsere weichen Böden völlig ungeeignet sind. Die oft 15 Tonnen schweren Vollerntemaschinen und Lastwagen verursachen deshalb schlimme Schäden an unseren Böden. Sie verdichten die Böden derart, dass es nicht hunderte, sondern tausende Jahre dauern wird, bis sie wieder ihre vorherige Qualität erreichen.“
In der Folge wachsen neugepflanzte Bäume oft nicht an, sagt Liina Steinberg. Und die Artenvielfalt in Estlands Wäldern sinke dramatisch, weil jahrein, jahraus schwere Forstmaschinen durch die Wälder donnern – auch während der Brutzeit. Die Zahl von Gleithörnchen, Haselhühnern, Schwarzstörchen und anderen Waldvögeln sinke um 50.000 Paare pro Jahr.
Pellets werden auch aus den USA importiert
Doch nicht nur die heimischen Wälder leiden unter Europas explodierender Nachfrage nach Brennholz. Gewaltige Mengen Pellets werden inzwischen aus dem Südosten der USA importiert, aus den US-Bundestaaten North- und South Carolina sowie Mississippi. In den dortigen Küstenlaubwäldern und Feuchtgebieten operiert das Unternehmen Enviva, eine Firma aus Maryland, die vor zehn Jahren noch eine kleine Klitsche war. Heute sei sie der größte Pelletproduzent der Welt, mit einer Kapazität von 6,2 Millionen Tonnen im Jahr, sagt Rita Frost von der Organisation Dogwood Alliance in Asheville, North Carolina.
„Enviva konnte so stark wachsen, weil es von der Energiepolitik der EU profitierte, die das Verbrennen von Pellets als nachhaltig definiert hat. Enviva wäre bis heute ein kleines Unternehmen, gäbe es nicht die Subventionen der EU, Großbritanniens und Südostasiens. Es ist ein Unternehmen, das – aus unserer Sicht – ständig die Öffentlichkeit täuscht. Enviva helfe bei der Bewältigung des Klimawandels, sagt das Unternehmen – was wir für blanken Unsinn halten. Enviva verwandelt tatsächlich Holz aus Naturwäldern und sogar Feuchtgebieten in Pellets; die Firma fördert die Zerstörung unserer Wälder, indem sie Holz aus Kahlschlägen kauft, um daraus Pellets zu produzieren.“
Enviva besitzt keine eigenen Wälder. Die Firma kaufe Holz von Privateigentümern, berichtet Almuth Ernsting, die mit der Dogwood Alliance kooperiert.
„Es handelt sich meist um kleine, nicht besonders betuchte Waldbesitzer in einer Region, die zu den ärmsten der USA zählt. Diese Leute bekommen, wegen der wachsenden Nachfrage nach Pellets, immer häufiger Anrufe von Holzfirmen: ‚Brauchen Sie Geld? Wir können ihren Wald abernten. Die Bäume werden nachwachsen, oder wir pflanzen neue Bäume.‘ Und wenn ein Waldbesitzer lange genug mit solchen Anrufen bombardiert worden ist, sagt er sich oft: ‚Ja, ich brauche Geld für eine Arztrechnung.‘ Oder: ‚Ich brauche Geld für die Hochzeit meines Kindes.‘ Und er nimmt das Angebot an.“
Oft ohne zu wissen, worauf er sich einlasse, klagt Rita Frost. Bisweilen würden dann binnen Tagen Dutzende Hektar uralten Laubwaldes abgeholzt – mitten in Regionen, die als Horte biologischer Vielfalt gelten.
„Wenn ich in diesen Wäldern Orte besuche, wo Holz für Pellets geerntet wurde, habe ich oft das Gefühl, dort wäre eine Bombe eingeschlagen. Ich sehe fast kein Leben mehr dort, nur Zerstörung. Und oft sehe ich auch Tümpel, deren Wasser vor kurzem noch in Baumwurzeln gespeichert war. Ich sehe Schlamm überall, riesige Baumstümpfe – und Haufen von Kleinholz. Es ist ja üblich bei uns, dass Waldbesitzer Holz, das sie nicht zu einem ordentlichen Preis verkaufen können, aufhäufeln, um es später zu verbrennen.“
Ganze Baumstämme aus Primärwäldern
Enviva will, nach eigenen Angaben, bis 2030 seinen Pellet-Output verdoppeln. Und das will auch Envivas größter Kunde und Konkurrent: Drax. Der britische Kraftwerksbetreiber ist inzwischen der zweitgrößte Pelletproduzent der Welt – mit Niederlassungen im Südosten der USA und in Kanada. Kritik daran, dass Drax ganze Baumstämme aus Primärwäldern British Columbias zu Pellets verarbeite, beantwortet das Unternehmen mit dem Hinweis, dies sei erlaubt in Kanada.
Der globale Pellet-Markt wachse in kaum vorstellbarem Ausmaß, sagt Enviva-Sprecher Justin Tait. Noch exportiere man zwei Drittel der Produktion nach Europa. Schon 2025 aber werde die Hälfte nach Asien gehen – nach Südkorea und Japan vor allem.
Und: „Langfristig sehen wir eine wachsende Nachfrage nach Pellets auch für höherwertige Anwendungen. Als Rohmaterial für Kraftstoffe in der Luftfahrt zum Beispiel, als Biomasse für den Antrieb von Schiffen, als Prozesswärme in Zementfabriken. Die betreffenden Unternehmen müssen ja in einer Welt operieren, in der CO2-Emissionen und die Preise dafür eine zentrale Rolle spielen – dies insbesondere in der EU.“
Indem es seine Produktion ausdehne, kämpfe das Pellet-Unternehmen Enviva gegen den Klimawandel und für nachhaltige Waldbewirtschaftung, behauptet Justin Tait.
„Wir kaufen Holz ausschließlich von Waldbesitzern, die sich vertraglich verpflichten, das abgeerntete Land weiter als Wald zu nutzen. Wir kaufen nicht von Leuten, die sagen: ‚Ich verkaufe die abgeerntete Fläche als Bauland oder nutze sie für andere Zwecke als die Neupflanzung von Wald.‘“
Monokulturen in europäischen Wäldern
Die dramatischen Folgen des von der EU befeuerten Biomasse-Booms sind in Europa längst sichtbar: Ein Drittel der Wälder bestehen inzwischen aus Monokulturen; die Hälfte der Bäume sind gleich alt; das Ziel, klimaresistente Mischwälder aufzubauen, rückt in weite Ferne. Desgleichen das Ziel, unsere Wälder als CO2-Senken auszubauen. Im Gegenteil: Laut dem Forstinformationssystem der EU ist die Menge des in EU-Wäldern gespeicherten Kohlenstoffs zwischen 2015 und 2020 um 4,3 Prozent gesunken, in Südosteuropa um 13 Prozent, auf der iberischen Halbinsel sogar um 50 Prozent.
FERN-Experte Martin Pigeon meint: „Die vorgelegten Zahlen zeigen ganz klar, dass die Menge des in unseren Wäldern gespeicherten Kohlenstoffs abnimmt – und zwar schnell. Der Klimawandel – Dürren, Waldbrände, Käferplagen – spielt dabei sicher eine Rolle. Eine große Rolle spielen aber auch die EU-Anreize, Holz für die Produktion von Strom und Wärme zu verbrennen. Das Verbrennen von Holz in Kraftwerken nimmt dramatisch zu – wofür allein die EU-Gesetzgebung zu erneuerbarer Energie verantwortlich ist.“
Die Förderung industrieller Energieproduktion mit Holz unterstütze nicht, sie torpediere den Kampf gegen den Klimawandel, meint Pigeon. 500 europäische Wissenschaftler schickten deshalb am 21. Februar 2021 einen Brandbrief an die EU-Kommission, in dem sie davor warnten, Holz für die industrielle Energieproduktion einzusetzen. Das verstärke den Klimawandel, auch wenn Holz fossile Brennstoffe ersetze.
David Fritsch, Klimaschutzexperte der Deutschen Umwelthilfe fordert, „dass die Umrüstung von Kohlekraftwerken auf Holzverbrennung unter keinen Umständen gefördert, angereizt oder ermöglicht wird, weder in Deutschland noch anderswo in Europa. Insbesondere setzen wir uns auf europäischer Ebene dafür ein, dass Biomasse, die direkt aus dem Wald entnommen wird, mit dem einzigen Sinn und Zweck, sie zu verbrennen, dass das nicht als erneuerbare Energie gilt. Denn damit zerstören wir wichtige Ökosysteme.“
EU arbeitet seit kurzem an einer Reform
Immerhin: Die EU arbeitet seit kurzem an einer Reform ihrer Erneuerbare-Energien-Richtlinie. Der große Haken dabei: Nach dem September-Beschluss des EU Parlaments zur Reform der Richtlinie soll die EU bis 2030 45 Prozent ihres Energiebedarfs aus erneuerbaren Ressourcen decken. Wenn Holz auf diese Quote nicht mehr voll angerechnet wird, dann könnten vor allem die nord- und osteuropäischen Länder das Ziel verfehlen. Diese Länder produzieren nämlich um die 70 Prozent ihrer erneuerbaren Energie, indem sie Holz verbrennen. Und tausende Windräder als Ersatz für Holzenergie können sie binnen weniger Jahre nicht aus dem Boden stampfen. Kurz, der Widerstand aus Ost- und Nordeuropa gegen jede Neuregelung dürfte massiv sein – erst recht, wenn sich die aktuelle Energiekrise noch verschärft.
Schon der jüngste Beschluss des EU-Parlaments zur Holznutzung sei ein wachsweicher Kompromiss gewesen, erklärt der Österreicher Thomas Waitz, Mitglied der Grünen-Fraktion im EU-Parlament.
„Der Kompromissvorschlag besagt, dass die Menge an Primärholz, die energetisch verwendet werden kann, auf dem Niveau eingefroren wird, dass wir durchschnittlich zwischen 2017 und 2022 hatten. Dazu hat dieser Kompromiss aber leider das eine oder andere Hintertürchen: Schadholz gilt nicht als Primärholz. Also wenn das ein Holz ist, das aus einem Borkenkäferbefall kommt oder aus einem Windwurf oder einfach nur vertrocknet ist in einem dürren Sommer, dann gilt das nicht als Primärholz, ist also immer noch erneuerbar.“
Können wir die Wälder nachhaltig bewirtschaften und gleichzeitig nutzen, um unsere Abhängigkeit von fossilen Energien zu reduzieren und so den Klimawandel bremsen? Das frage ich Franz Straubinger. Er ist seit 30 Jahren verantwortlich für 15.000 Hektar Wald der Grafen von Hatzfeldt im Norden von Rheinland-Pfalz und Thüringen. In Deutschland und Österreich werde ja der größte Teil der Wälder nachhaltig bewirtschaftet, sagt Straubinger beim Spaziergang durch eine imposante Allee aus hochaufragenden Baumriesen. Es wächst mehr nach, als eingeschlagen wird; vor 60, 70 Jahren gepflanzte Monokulturen verschwinden vielerorts; der Umbau der Forste in artenreiche und klimaresiliente Wälder komm voran.
Straubinger deutet auf zwei Roteichen. „Wir möchten Mischwälder haben – mindestens vier, fünf Baumarten im selben Wald. Aber wir wollen auch die vertikale Stufung, also kleine und große, dicke und dünne, junge und alte Bäume nebeneinander haben. Und das gelingt nur, wenn wir den Wald regelmäßig pflegen, durchforsten und damit auch Holz gewinnen, das wir auf den Markt bringen. Unter anderem auch Brennholz. Wobei unser Hauptziel ist natürlich, sägefähiges Holz zu produzieren für den Dachstuhl, für Balken, für Bretter, für Fußböden und Möbel.“
Zu den Käufern des Hatzfeldtschen Holzes gehört Markus Mann, der im Westerwald ein kleines Säge- und Pelletwerk betreibt. Ein Öko-Freak, wie er sich selbst nennt. Nebenbei leitet er eine Genossenschaft, die Öko-Energie aus privaten Wasserkraftwerken, Wind- und Solaranlagen vermarktet. Markus Mann verarbeitet in seinem Betrieb vorwiegend Fichten aus der Region.
„Wir haben seit all den Jahren im Umkreis von 50 bis 100 Kilometern Rohstoffe einkaufen können, also Stammholz, was wir hier verarbeiten zu Schnittholz und das Sägenebenprodukt. Alles das, was nicht geeignet ist für die Sägeproduktion, für Schnittholz herzustellen, das geht dann in die Pellets hinein. Also der krumme Stamm, da wird noch versucht ein gerades Brett herauszuschneiden, und der Rest geht in die Pellets.“
Zurück im rumänischen Rodna-Nationalpark, wo die Bulldozer immer größere Lücken in uralte Fichtenwälder reißen; wo die schlichte Schönheit wilder Natur einer angeblich nachhaltigen Energieproduktion geopfert wird. Wo Umweltschützer wie Gabriel Paun von der Nichtregierungsorganisation Action Green beharrlich gegen die Zerstörung der Wälder kämpfen.
„Immer wieder haben wir in den letzten Jahren massive Kahlschläge dokumentiert im Rodna-Nationalpark. Und wir haben dokumentiert, wie riesige gesunde Bäume mit großer Bedeutung für die Biodiversität einfach gefällt und vor Ort zu Hackschnitzeln geschreddert wurden. Das schockiert mich auch deshalb, weil in solchen Fällen der weitere Weg eines Baums gar nicht verfolgt werden kann. Er wird ja schon geschreddert auf Lastwagen verladen, deren Ladeflächen mit Planen bedeckt sind. Niemand weiß dann, was die Lastwagen ins nächste Biomassekraftwerk transportieren.“