Kinder und Smartphones

Handyverbote an Schulen: Ist das sinnvoll?

Die Mobiltelefone der Schüler einer Schulklasse in Bern (Schweiz) werden vor dem Unterricht eingesammelt, in einer Handygarage aufbewahrt und anschliessend in einem Schrank eingeschlossen.
Mehr Konzentration und Ruhe: vor dem Unterricht eingesammelte Mobiltelefone. © picture alliance / KEYSTONE / Christian Beutler
Einige Bundesländer haben Handyverbote an Schulen erlassen, andere überlassen es den Schulen selbst, wie sie mit der Handynutzung auf dem Schulgelände umgehen. Befürworter von Verboten betonen den Jugendschutz, Gegner setzen auf digitale Kompetenz.
In mehreren Ländern - etwa in Frankreich, den Niederlanden, Italien und Australien - gibt es bereits Smartphone-Verbote an Schulen. Auch in Deutschland wird darüber immer wieder diskutiert. Doch Bildungspolitiker, Elternräte, Wissenschaftler, Lehrkräfte und Schülervertretungen sind sich uneins, ob Verbote tatsächlich sinnvoll sind. Da Bildung Ländersache ist, regelt jedes Bundesland die Frage auf seine Weise. Eine bundeseinheitliche Regelung wird es nur dann geben, wenn sich alle Länder auf eine Vorgehensweise einigen.
Nach einer Studie der DAK in Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum Hamburg haben mehr als ein Viertel der Kinder und Jugendlichen in Deutschland Probleme wegen ihres Medienkonsums. Der Medienverband Bitkom hält ein Handyverbot an Schulen dennoch nicht für zeitgemäß - und auch für wenig praktikabel. Die Schulen wiederum bewegen sich im Spannungsfeld zwischen Kinder- und Jugendschutz einerseits und der Vermittlung von Medienkompetenz andererseits. Welcher Weg ist der richtige?

In welchen Bundesländern und Schulen gibt es in Deutschland Handyverbote?

Viele Bundesländer haben inzwischen Regelungen für die Handynutzung an Schulen getroffen. In Bremen gilt neuerdings, dass Handys an Grundschulen und weiterführenden Schulen bis zur 10. Klasse auf dem Schulgelände ausgeschaltet bleiben müssen. Schülerinnen und Schüler dürfen ihre Smartphones während des gesamten Schultags nicht benutzen.
Auch Hessen hat den Gebrauch von Handys an allen Schulen untersagt. Einige Ausnahmen gelten ab der fünften Klasse. Brandenburg verbannt mit Beginn des neuen Schuljahres Handys aus dem Unterricht an Grundschulen. Auch im Saarland ist die Nutzung privater Smartphones in den ersten vier Jahrgangsstufen der Grund- und Förderschulen seit Kurzem verboten.
In Nordrhein-Westfalen sollen hingegen alle Schulen altersgerechte Regeln für die Handynutzung aufstellen. Auch in Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen sollen die Schulen die Frage selbst regeln. Und in Berlin gibt es ebenfalls eine eher kritische Haltung gegenüber einem pauschalen Handyverbot. Es gelte das Prinzip der Eigenverantwortung, heißt es aus der Bildungsverwaltung Jede Schule könne im Rahmen ihrer Schul- und Hausordnung eigenständig regeln, ob und in welchem Umfang Handys mitgeführt oder genutzt werden dürfen.
Wenn es in einem Bundesland keine schulgesetzlichen Rechtsvorschriften zur Handynutzung gibt, haben die Schulen die Möglichkeit, Regeln mithilfe ihrer Schul- beziehungsweise Hausordnungen festzulegen, erläutert Stephan Rademacher, Direktor des Landesinstituts für Schule in Bremen.

Wie argumentieren die Befürworter eines Handyverbots?

Pädagogisch begleitete Smartphone-Verbote an Schulen führen dem Pädagogen Klaus Zierer von der Universität Augsburg zufolge dazu, dass sich Kinder wohler in die Schule fühlen und ihre Lernleistung steigt.
Bildungsexperten führen die schlechten Pisa-Ergebnisse auch auf Konzentrationsschwächen bei Schülern zurück, die mit der intensiven Nutzung von digitalen Geräten wie Smartphones, Tablets und Smartwatches zu tun haben. Bei Tests in den Niederlanden schnitten Schülerinnen und Schüler mit hoher Bildschirmzeit beim Leseverständnis und den Sprachfertigkeiten schlechter ab als Kinder, die weniger Zeit mit Handy und Tablet verbrachten.
Entscheidend ist aus Sicht von Zierer der „richtige Zeitpunkt" für das erste Smartphone. Digitale und mediale Kompetenz setzten Bildung voraus. Erst wenn Jugendliche medial kompetent seien, seien sie auch in der Lage, digitale Geräte sinnvoll zu nutzen und mit Fake News oder Cybermobbing umzugehen.

Gefährliche Challenges auf TikTok

Neben Cybermobbing und Cybergrooming sind auch TikTok-Challenges ein wachsendes Problem: Laut einer aktuellen Studie der Landesmedienanstalt NRW ist ein Drittel der digitalen Mutproben physisch und psychisch potenziell schädlich, ein Prozent sogar potenziell tödlich.
Die Befürworter flächendeckender Handyverbote an Schulen fordern einheitliche Regeln, die Kinder sollen ihre Geräte vor dem Unterricht abgeben. Das würde die Kontrolle wesentlich erleichtern, heißt es. Dort, wo es schon länger Verbote gibt - wie an einigen niederländischen Schulen - sind die Ergebnisse positiv: Es herrscht deutlich mehr Ruhe im Unterricht.
Dass ein Handyverbot an Schulen sinnvoll ist, finden vor allem die Eltern: Rund 80 Prozent von ihnen sprechen sich in einer neuen Umfrage dafür aus. Laut der von der Postbank in Auftrag gegebenen Studie waren 49 Prozent der Befragten mit Kindern der Auffassung, dass Smartphones den Unterricht und die Konzentration stören. Weitere 32 Prozent befürworten demnach ein Verbot, finden aber, dass es Ausnahmen für bestimmte Situationen geben sollte.

Was sagen die Gegner eines Handyverbots?

Der Deutsche Lehrerverband lehnt ein absolutes Handyverbot an Schulen ab. Im Fall eines Verbots werde für Kinder und Jugendliche der heimliche Gebrauch attraktiv, sagt Verbandspräsident Stefan Düll.
Lehrkräfte halten das Verbot außerdem für nur schwer umsetzbar. Zum einen aus praktischen Gründen, denn ein Verbot muss durchgesetzt werden. Das bedeutet einen höheren Aufwand für die Lehrerschaft – und potenziell auch Konflikte im Kollegium, wenn manche Pädagogen durchgreifen, während andere über die unerlaubte Handynutzung hinwegsehen.
Der dänische Schulleiter Henrik Jensen sieht im Handy ein praktisches Werkzeug mit vielen verschiedenen Funktionen, vom Taschenrechner bis zur Kamera. Eine dosierte Handynutzung im Unterricht, und nur dort, hält er deswegen für sinnvoll.
Auch Schülervertreter kritisieren grundsätzliche Handyverbote: Wo, wenn nicht in der Schule, sollte Medienkompetenz vermittelt werden? Nicht alle Eltern sind dieser Aufgabe gewachsen. Ted Krämer von der hessischen Landesschülervertretung schlägt daher vor, Handys sinnvoll in den Unterricht einzubinden – auch, um auf die Gefahren und Risiken des Internets aufmerksam zu machen.
Dass ein Handyverbot an Schulen dazu führt, dass Kinder und Jugendliche insgesamt weniger Zeit vor dem Bildschirm verbringen, wird zudem von einigen Experten angezweifelt. Vielmehr würde das Versäumte dann zuhause nachgeholt, meint etwa die Erziehungswissenschaftlerin Karen Wistoft.

Gibt es einen Mittelweg?

Silke Müller ist Schulleiterin in Oldenburg und spricht sich für ein Handyverbot an Grundschulen aus. "Das Netz kennt keine Altersbegrenzung", sagt sie. Was bei TikTok viral gehe, könnten Acht- oder Neunjährige genauso sehen wie die Erwachsenen. Die Folge sei Verrohung, nicht nur der Sprache.

Redaktionell empfohlener externer Inhalt

Mit Aktivierung des Schalters (Blau) werden externe Inhalte angezeigt und personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt. Deutschlandradio hat darauf keinen Einfluss. Näheres dazu lesen Sie in unserer Datenschutzerklärung. Sie können die Anzeige und die damit verbundene Datenübermittlung mit dem Schalter (Grau) jederzeit wieder deaktivieren.

Gleichzeitig warnt die Digitalbotschafterin des Landes Niedersachsen aber auch davor, dass ein Handyverbot die Probleme nur verlagere und die Eltern aus der Pflicht nehme. Müller fordert, dass Eltern und Schule zusammenarbeiten.
Kinder müssten lernen, Smartphones richtig und konstruktiv zu nutzen, betont sie. Eltern und Lehrkräfte sollten sich gleichermaßen den sozialen Medien öffnen und den Kindern entsprechende Kompetenzen vermitteln. Es brauche eine „Begleitkultur“ statt Verbote. So finde etwa an ihrer Schule eine Social-Media-Sprechstunde für die Kinder statt.

Gefahren von Cybergrooming besprechen

Müller schlägt vor, dass Eltern mit ihren Kindern klare Regeln für den Umgang mit dem Smartphone festlegen. Kinder bräuchten zudem Ansprechpartner bei Problemen. Auch über Cybergrooming sollten Eltern mit ihren Kindern sprechen, also die Gefahren durch pädophile Nutzer.
Timo Off, Schulleiter im schleswig-holsteinischen Nortorf, wirbt dafür, stärker auf die tieferliegenden Bedürfnisse der Kinder zu schauen. Bei der Nutzung des Smartphones gehe es ihnen um Gemeinschaft, darum, Kompetenzen zu zeigen - und auch um das Austesten von Grenzen: „Jedes Kind möchte gesehen werden.“ Das sollten Eltern wie Lehrer beachten.
Tatsächlich spricht einiges für die Ideen der beiden Schulleiter. Nach einer schwedischen Studie sind die Lernergebnisse an jenen Schulen besser, die eine offene Einstellung gegenüber Smartphones pflegen und an denen eine sinnvolle Nutzung digitaler Geräte im Vordergrund steht.

ahe, pj, tha
Mehr zu Handyverbot und Schule