Meinung

Wie sich die Hamas mit dem 7. Oktober 2023 selbst zerstört hat

05:09 Minuten
Vermummte Hamas Kämpfer mit einem Wagen des Roten Kreuzes in Gaza City im Januar
Politisch ist die palästinensische Terrororganisation Hamas inzwischen isoliert. Ein Staat Palästina bleibt weiter nur ein Wunsch. © picture alliance / Abed Hajjar
Michael Wolffsohn |
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Zwei Jahre liegt das Hamas-Massaker in Israel zurück. Was ein strategisch genialer Coup der Terrororganisation werden sollte, wurde zur größten Katastrophe der palästinensischen Geschichte. Und nicht nur das: vier Punkte bleiben bemerkenswert.
Punkt eins: Jenseits der Unmoral war das Hamas-Massaker strategisch-theoretisch ein genialer Coup, aber faktisch die größte Katastrophe der palästinensischen Geschichte. Denn: Im Gazakrieg, also Israels Reaktion auf jene Hamas-Aktion, wurden so viele Palästinenser getötet wie nie zuvor und der Gazastreifen in Schutt und Asche gelegt; ebenso, durch den Überschwappeffekt, weite Teile des Westjordanlandes.
Politisch ist Hamas isoliert. Das beweist die nahezu weltweite Unterstützung des 20-Punkte-Planes von US-Präsident Trump. Daran ändert auch die nahezu globale Anerkennung des nur als Wunsch existierenden Palästina-Staates nichts.

Geplanter Siebenfrontenkrieg gegen Israel

Was war theoretisch genial an der Hamas-Strategie? Die Antwort: der geplante Siebenfrontenkrieg gegen Israel. Also erstens die Hamas vom und im Gazastreifen, zweitens Hamas und andere Palästinenser im und aus dem Westjordanland. Drittens der verlängerte Arm des Iran, die schiitische Hisbollah aus dem Südlibanon. Viertens ebenfalls die Hisbollah aus Assads Syrien, dem damaligen Satellitenstaat des Iran. Fünftens die proiranischen Milizen aus dem Irak. Sechstens der Iran selbst und siebtens die jemenitischen Huthi-Satelliten des Iran. Sie alle wurden militärisch besiegt, Assad aus Syrien vertrieben, und seine Nachfolger verhandeln mit Israel über einen modus vivendi. Ähnliches im Libanon, dessen Regierung die Schwächung der Hisbollah nutzt, um ein neues Kapitel mit Israel aufzuschlagen.

Ein neuer Naher Osten ist entstanden

Doch selbst die theoretisch geniale Hamas-Strategie hatte einen entscheidenden Schwachpunkt: Sie übersah, dass seit dem von US-Präsident Trump 2020 ermöglichten Abraham-Abkommen ein neuer Naher Osten entstanden war: Gegen den Iran hatten sich nämlich - scheinbar nur hinter den Kulissen – Saudi-Arabien, Jordanien und die Golfstaaten mit Israel gegen den Iran und seine Satelliten faktisch verbündet. Das bedeutet: Anders als allgemein behauptet und der äußere Schein sowie die verbalen Verurteilungen Israels vermuten lassen, hat sich Israels strategische Situation in der Region faktisch erheblich verbessert. Es wird gegen den Iran und dessen Partner militärisch gebraucht und ist als Partner für wissenschaftliche und wirtschaftliche Zusammenarbeit attraktiv.

Durch Boykott schaden sich die Strafenden selbst

Punkt zwei: Eben diese wirtschaftliche, wissenschaftliche und auch militärische Attraktivität – Stichworte: Raketenabwehr, Drohnen, IT, Start Ups und Terrorprävention – wird in Deutschland und dem Westen verkannt. Ausnahme: USA. Durch Distanz zu oder gar Boykott von und Sanktionen gegen Israel und Juden schwächt sich der Bestrafende selbst. Auch das nichts Neues in der Jüdischen Weltgeschichte.

Die Motive wechseln, der Judenhass bleibt

Punkt drei: Ja, global ist der Jüdische Staat isoliert! Als Überschwappeffekt werden Diasporajuden verbal und körperlich massiv attackiert. Isolation und Diskriminierung sind nichts Neues in der rund dreitausendjährigen jüdischen Weltgeschichte. Einst wurden die Juden isoliert, attackiert oder liquidiert, weil sie keine Christen oder Muslime waren. Dann galten sie als „rassisch“ minderwertig, Kapitalisten oder Kommunisten, und jetzt verantworten sie angeblich einen „Völkermord“. Der Ewige Mitläufer plappert alles nach wie Papageien. Die Mehrheit unterwirft sich, die Motive wechseln, der Judenhass bleibt.

Die Erfindungen der Kulturelite

Punkt vier: An vorderster Front verbreitet die vermeintliche Wissens- und Kulturelite global neuen Unsinn und (er)findet immer neue abstruse Thesen, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben. Womit sich der Kreis zur theoretisch genialen und praktisch katastrophalen Strategie der Hamas schließt: Propagandistisch gewonnen, die eigene Substanz selbst zerstört.

Der Historiker und Publizist Michael Wolffsohn ist u.a. Autor von „Eine andere Jüdische Weltgeschichte“ und „Wem gehört das Heilige Land?“

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