Eli Sharabi: „491 Tage“
© Suhrkamp Verlag
Vom Überleben
06:54 Minuten

Eli Sharabi
Aus dem Englischen von Ursula Kömen
491 TageSuhrkamp Verlag, Berlin 2025200 Seiten
24,00 Euro
Eli Sharabi war etwa 16 Monate eine der Geiseln der Hamas. In seinem Memoir „491 Tage‟ schildert der 53-jährige Israeli, wie er diese Zeit erlebt, was er über die Hamas und vor allem auch über sich selbst gelernt hat. Ein zutiefst eindrucksvoller Bericht.
Während der beiden Waffenstillstände im Israel-Gaza-Krieg wurden die Geiseln der Hamas nach und nach dem Roten Kreuz übergeben. Zuvor gab es für die Kameras eine Inszenierung auf einer Bühne irgendwo im Gazastreifen: Es waren Aufnahmen, die um die Welt gingen.
Von einer solchen Bühne musste auch Eli Sharabi winken, als er am 8. Februar 2025 freikam – elend und bis auf die Knochen abgemagert.
Auf Eli Sharabi warteten schreckliche Nachrichten: Seine Frau und die beiden Töchter waren noch am 7. Oktober 2023 von Hamas-Kämpfern ermordet worden. Der Gedanke an seine Familie und der feste Glaube, dass er sie wiedersehen würde, hatten ihm das Überleben in den Tunneln der Hamas leichter gemacht. Vom Überleben schreibt Eli Sharabi in seinem Memoir, das er unmittelbar nach Ende seiner Gefangenschaft verfasst hat – „bevor die Erinnerungen verblassen“.
Fast von einem Mob gelyncht
Während andere ehemalige Geiseln und Überlebende des Massakers eher den Rückzug suchen, will Eli Sharabi Zeugnis ablegen. Er erzählt von dem Moment im Kibbuz Be`eri, als die Hamas-Kämpfer in sein Haus eindringen. Er und seine Frau wehren sich nicht, in der Hoffnung, so zu überleben. Seine Frau und seine Töchter bleiben zurück, er wird mitgenommen.
In Gaza wird Eli Sharabi fast von einem Mob gelyncht. Ausgerechnet seine Entführer retten ihn im letzten Moment. Dann hat er panische Angst, in einem Tunnel zu landen. Doch in den ersten 50 Tagen seiner Geiselhaft geht es ihm und den Mitgefangenen noch einigermaßen gut, schreibt er. Sie sind gefesselt und werden erniedrigt, aber sind in einem Haus untergebracht und werden mit regelmäßigen Mahlzeiten versorgt.
Als der Krieg andauert, geht es doch in die Tunnel. Die Bewacher werden immer aggressiver. Auch sie haben Angst, ihre Häuser, ihre Familien sind bedroht. Die Essensrationen werden schmaler, die hygienischen Verhältnisse sind katastrophal. Der 53-jährige Eli begegnet dieser Situation besonnenen und reflektiert. In der kleinen Gruppe von Geiseln ist er der Wortführer, fordert von sich und den anderen Disziplin und Rücksichtnahme.
Namen für die Bewacher: "Maske", "Ausputzer", "Orange"
Der Zusammenhalt, der Respekt gehört zur Überlebensstrategie sowie der tägliche Sport und ein einziges Buch, das sie immer wieder lesen. Sie machen sich einen Spaß daraus, Namen für die Bewacher zu erfinden – die Maske, der Ausputzer, der Orange. Da Sharabi arabisch spricht, kann er die Wärter verstehen. Er staunt, wie wenig diese Männer von Israel wissen, wie viel Hass und wie viele Vorurteile in ihnen stecken. Das ist das Bemerkenswerte an diesem Buch: Sharabi beschreibt und beobachtet. Er nimmt bei den Umzügen von einem in den anderen Tunnel mit Schrecken die Trümmerlandschaft wahr.
Er bewertet kaum. Kein Pathos. Kein Wort des Hasses. Auch nicht, als er zuschauen muss, wie die Bewacher sich aus Lebensmittelpaketen bedienen, die sicher nicht für sie gedacht sind, während er selbst vor Hunger fast vergeht. Er weiß, dass er am besten überlebt, wenn er sich den Lebensmut erhält – und wenn ihm dabei eine kleine Flasche Fanta hilft, die er findet, oder eine halbe Pita mehr am Tag.
Auf den Bestsellerlisten
Am wichtigsten jedoch sind die Beziehungen zu den Mitgefangenen. Eines Tages stößt Alon Ohel zu ihnen, ein 23-jähriger Musiker, der vom Nova-Festival verschleppt wurde. Sharabi nimmt ihn unter seine Fittiche wie seinen eigenen Sohn und lehrt auch diesen sensiblen jungen Mann die Kunst des Überlebens. Ein schrecklicher Moment, als Alon Ohel allein im Tunnel zurückbleibt und Eli Sharabi gehen darf.
Das Buch wurde in Israel schon im Mai veröffentlicht, im eher als konservativ geltenden Sella Meir Verlag. Binnen einer Woche wurden 20.000 Exemplare verkauft. Ähnlich in den USA, wo es unter dem Namen „Hostages“, also „Geiseln“, sofort die Bestsellerlisten eroberte. Man darf gespannt sein, ob das Buch auf dem deutschsprachigen Markt auch so viel Interesse findet.
















