Fürstenwerder in der Uckermark

Ein Buchhändler bringt Menschen zusammen

05:47 Minuten
Blick durch das Fenster aus dem Buchladen und Antiquariat in Fürstenwerder
Die Buchhandlung von Nils Graf ist eine Oase. Hier begegnen sich Menschen und kommen miteinander ins Gespräch. © lux-fotografen.de / Philipp von Recklinghasen
Von Vanja Budde · 10.07.2020
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Die Buchhandlung in Fürstenwerder ist mehr als ein Ort für Literatur: Hier kommen Menschen miteinander ins Gespräch, die sonst eher aneinander vorbei gehen - wie konventionelle Landwirte und Berliner Bio-Dinkel-Großstädter.
Etwa 50 Männer, Frauen und ein paar Kinder treffen sich an einem freundlichen Sonntagnachmittag im Juni an einem Feldweg: am Eingang des Örtchens Rittgarten in der Nordwestuckermark. Doppelt so viele, wie Initiator Nils Graf erwartet hat.
Die Wanderung führt durch die Felder von Landwirt Bört Büttner-Janner. Junge, einheimische Eltern schieben Kinderwagen über den staubigen Weg. Berliner aus dem Prenzlauer Berg, die daheim im Bioladen einkaufen und hier ihre Wochenendhäuser haben, stellen dem Landwirt Fragen.

Gemeinsamer Spaziergang über die Felder

Man kommt ins Gespräch. Das ist genau das, was Buchhändler Nils Graf erreichen will: Nicht übereinander reden, sondern miteinander. Die Vorstellungen von Großstädtern und Ackerbauern, die lägen nämlich gar nicht so weit auseinander, sagt der schlanke, drahtige Mittvierziger.
"Eigentlich alle Landwirtinnen und Landwirte, die ich kenne, sagen, sie würden ja auch am liebsten alles ohne Gift machen. Und sind halt diesen Zwängen unterworfen. Aber es gibt schon gemeinsame Ziele. Und die müssen ausgearbeitet werden."
Sein Ziel sei es nicht, Vermittler zu sein, sagt Graf. Aber ohne Talent zur Kommunikation könne man wirklich gute Buchläden nicht betreiben.
"Und da ich aber aus dem ländlichen Raum komme und auch nicht studiert habe, ist mir oftmals nicht unbedingt die akademische Schicht näher, oder die, die man klassisch dem Feuilleton zurechnet - sondern eher die Leute, die jetzt gar nicht so wahnsinnig viele Bücher lesen. Da finde ich die Gespräche dann oft direkter und den Zugang einfacher."

Nicht in der eigenen Blase leben

Grafs Buchladen als Schnittstelle und Kontaktbörse sei eine große Bereicherung für die abgelegene Region zwischen Müritz und Feldberger Seenlandschaft, sagt Theaterregisseurin Margitta auf dem Rückweg entlang der Landstraße. Sie hat seit Ende der achtziger Jahre ein Häuschen hier und möchte ihren Nachnamen nicht im Radio nennen.
"Ich glaube, er trägt dazu bei, dass diese Grenzen oder Klischeebilder, die wir alle in uns tragen, aufgebrochen werden. Das muss man schaffen! Weil: Die Vorurteile sind ja gegenseitig. Es geht darum, wirklich zuzuhören, sich zu begegnen, damit man überhaupt zuhören kann. Und nicht in den eigenen Blasen zu leben. Und das schafft Nils."
In den Osten nach Brandenburg hat es Nils Graf aus Zufall verschlagen: Nach seiner Buchhändlerlehre in Aachen machte er eine Auszeit, besuchte Freundinnen in der Uckermark: "Ich wusste nach der ersten Nacht mit Fröschequaken und Stille, dass ich nicht wieder zurück möchte in das Ballungsgebiet rund um Aachen."

Der Buchladen als örtliche Oase

Im Buchladen Fürstenwerder ist es an einem heißen Tag Ende Juni trotz der großen Fenster angenehm kühl; der Espresso ist prima, das WLAN auch: eine Oase.
Blick auf die Bücherregale im Buchladen und Antiquariat von Nils Graf 
Der Buchhändler Nils Graf kam von Aachen in die Uckermark und wusste schlagartig, dort wolle er bleiben.© lux-fotografen.de / Philipp von Recklinghasen
Stammgäste plaudern miteinander, die Wände stehen voller Bücherregale, Bücherstapel bilden Inseln auf dem Holzfußboden, Sessel und Sofas laden zum Schmökern ein.
Nils Graf bittet zum Gespräch in den Hof, denn im Laden würde er dauernd angesprochen und hätte keine Ruhe. Eine Institution zu sein, kann auch ganz schön schlauchen.
"Das ist anstrengend. Wir haben jetzt gerade die Corona-Zwangspause genutzt, um uns nochmal neu aufzustellen."
Der Buchladen hat seine Geschäftszeiten verkürzt, ist jetzt nur noch Donnerstag, Freitag und Samstag offen. Das Pensum wurde ihm zu viel, erzählt Nils Graf. Er fährt ja auch in der ganzen Bundesrepublik herum, um sein Antiquariat zu bestücken.
"Weil wir hier leider, in einer solch abgelegenen Gegend, kein reines Neu-Buchgeschäft machen können. Es ist zu dünn besiedelt, es kommen pro Tag übers ganze Jahr verteilt zu wenige Leute an so einem Dorfbuchladen vorbei."

Als Kind über die Flohmärkte gezogen

Und die Einkommen in der Nordwestuckermark sind niedrig: Sich regelmäßig den neuesten Roman für 24 Euro 99 zu kaufen, ist bei den meisten nicht drin.
"Und deswegen ist es auch mein Anspruch, viele gute Bücher aufzutreiben, ein gutes antiquarisches Vollsortiment anzubieten, für alle, die einen kleineren Geldbeutel haben."
Schon als Kind ist Nils Graf gerne über Flohmärkte gezogen und hat nach Bücherschätzen gestöbert. Er ist auf einem Bauernhof in Wildenrath aufgewachsen, nahe der holländischen Grenze. Seine Eltern hatten wenig Zeit für Bücher, doch ihr Sohn verfiel der Literatur früh:
"Dieser Moment, ein Buch aufzuschlagen, dass ab der ersten Seite, den ersten Sätzen, Bilder entstehen und du eigentlich sofort das Gefühl hast, dich in einer anderen Welt zu befinden und alles um dich herum zu vergessen."
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