Geheimtipp an der Havel

Fürstenberg legt sein Aschenputtel-Image ab

Blick über den Schwedtsee auf Fürstenberg in Brandenburg mit der evangelischen Kirche, fotografiert 2015
Blick über den Schwedtsee auf Fürstenberg in Brandenburg © picture alliance / ZB / Patrick Pleul
Von Vanja Budde · 10.07.2017
Potsdam kennt jeder. Doch Brandenburg hat noch mehr Städte-Perlen zu bieten. Fürstenberg an der Havel zum Beispiel. Das Städtchen liegt idyllisch inmitten von drei Seen – und in einer Stunde ist man mit dem Zug in Berlin. Aber es gibt auch Schattenseiten.
Fürstenberg liegt im Naturpark Uckermärkische Seen, auf drei Inseln verteilt am Röblinsee, Schwedtsee und Baalensee. Eine schöne Paddeltour führt nach Himmelpfort, wo der Weihnachtsmann seinen Sitz hat und Wunschbriefe aus aller Welt empfängt.
"Für Fürstenberg ist der Tourismus eklatant wichtig. Wir haben wunderbaren Besuch schon inzwischen. Die Gäste sind da, es wird hier Fahrrad gefahren, man leiht sich Boote auf dem Wasser aus, man schippert über die Havel Richtung Müritz und wo auch immer man damit hinfahren kann. Die Leute gehen spazieren, wir haben einen Radweg Berlin-Kopenhagen beispielsweise, da zählen wir 40.000 Radfahrer pro Jahr, insofern ist Tourismus für uns ein ganz wichtiger Faktor."
Schon im 19. Jahrhundert war Fürstenberg mit seinem Barockschloss eine vor allem bei Berlinern beliebte Sommerfrische, erzählt der parteilose Bürgermeister Robert Philipp. Seit neuem kommen die Großstadtmüden auch ganz her, kaufen oder bauen Häuser, werden sesshaft und pendeln vom denkmalgeschützten Bahnhof in einer Stunde zur Arbeit nach Berlin.
"Wir haben ja demografisch einen negativen Trend über die letzten Jahre gehabt und den sehr kräftig. Wir waren 1995 ungefähr 8500 Einwohner, sind jetzt 6000 Einwohner, und insofern freuen wir uns über jeden Zuzug, insbesondere natürlich junge Familien."
Die Neuen aus der Großstadt bringen andere Sichtweisen und Lebensarten in das Provinzstädtchen. Eine spannende Phase in der Stadtgeschichte sei das, meint Bürgermeister Philipp.
"Weil natürlich Einheimische sagen: Na, jetzt kommt der moderne junge Berliner und er kommt hier raus nach Fürstenberg und sagt: 'So, wie ihr das hier gehandhabt habt und wie ihr das jetzt organisiert, geht das gar nicht.'"

Streit um die Umgehungsstraße

Da ist zum Beispiel die Sache mit der seit Jahrzehnten gewünschten Umgehungsstraße, für die jetzt endlich Planungen laufen. Bis zu 20.000 Fahrzeuge täglich, darunter zahllose Lastwagen, wälzen sich auf der Bundesstraße 96 quer durch die zumeist schon schmuck sanierte historische Innenstadt mit der mächtigen Stadtkirche.
Die Einheimischen möchten die Umgehung außerhalb Fürstenbergs durch die Wälder und Felder legen. Doch da wohnten jetzt Künstler und Sternengucker aus Berlin, die wollten heile Natur und den Verkehr in der Stadt belassen, erzählt Philipp. Das wiederrum erzürne alteingesessene Fürstenberger.
Michael Wittke kennt den Konflikt um die Umgehungsstraße. Er ist schon vor 15 Jahren aus Berlin nach Fürstenberg gekommen. Im historischen Stadtzentrum betreibt er an einem Seitenarm der Havel den Kulturhof "Alte Reederei", mit Ferienwohnungen, einem Kino und "Kaffeefahrten" auf dem Nachbau eines Lastenseglers.
"Und der erste Eindruck, den wir damals gewonnen haben von Fürstenberg, waren die superfreundlichen Kassiererinnen in den Kaufhallen. Es ist verblüffend, gerade wenn man aus Berlin kommt. Und es geht also."
Die Fürstenberger beschreibt Wittke als ausgesprochen offen und auch bereit für Neues. Jedes Jahr werde mehr saniert, gewinne die Stadt an Charme zurück. Der Zuzug vieler kreativer Akademiker aus der Großstadt sei eine Riesenchance für Fürstenberg, meint Wittke. Das Städtchen werde bunter und kulturell lebendiger.
"Dieses Nebeneinander von Neu und Verfallen, von Aufbauperspektive und Vision und Stagnation, Verfall und Abbruch, dieses Spannungsfeld finde ich persönlich hier, überhaupt generell in unserer Gegend ziemlich spannend."

Unterschiedlicher Umgang mit KZ-Gedenkstätte

Und noch ein zweiter Kontrast sorgt für Spannungen: Gleich am Ufer des Stadtsees liegt das ehemalige Konzentrationslager Ravensbrück: Mehr als 150.000 Gefangene, fast 30.000 Tote. Wirft Ravensbrück einen Schatten auf die Idylle?
"Ich würde mir wünschen, dass man das auch auf verträgliche Weise miteinander verknüpfen kann. Ich meine, das geht. Bei meinen Gästen kann ich das beobachten: 20 Prozent besuchen auch die Gedenkstätte – und nicht nur, weil es regnet."
In der Gedenkstätte studiert Fahrradtourist Werner Knetsch eine Informationstafel. Er trägt schwarze Bikershorts, den Fahrradhelm hat er aufgelassen. Er habe eben ein interessantes Gespräch mit einer Einheimischen geführt, erzählt der sportliche 63-Jährige.
"Und ich habe gesagt: 'Wie war denn das damals hier mit dem Konzentrationslager? Waren da viele Einheimische beschäftigt?' 'Nee, nee. Das waren nicht die Einheimischen, das waren alles andere.' Also das kann ja irgendwie nicht sein. Ich glaube, die Einheimischen haben da eher Probleme mit als diejenigen, die hier durchreisen."
Die Einheimischen haben Anfang der 90er-Jahre für einen Skandal und bundesweiten Protest gesorgt, als sie nahe der Gedenkstätte einen Supermarkt bauen wollten. Die Fürstenberger gingen sehr unterschiedlich mit der Erinnerung um, sagt Bürgermeister Robert Philipp.
"Manche leugnen sie, manche wissen sehr wohl um die Umstände und können sich da gut erinnern und kommunizieren auch darüber. Die alte Generation, die jetzt 80, 90 Jahre alt sind, da kommt es wieder hoch und die erzählen darüber auch dann sehr bewegt und emotional."
1945 wurde Fürstenberg von der Roten Armee eingenommen, das KZ befreit. In die ehemalige Aufseherinnen-Siedlung zogen verschiedene Verbände der sowjetischen Streitkräfte ein. Bis zu 30.000 russische Soldaten waren Jahrzehnte lang in Fürstenberg stationiert. Die Russen zogen nach der Wende ab, und "Deutschlands einzige Wasserstadt" begann, sich neu zu erfinden, im Spannungsfeld zwischen dem Grauen und der Idylle.
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