Sammelband "Frenemies"

Spiegelbild eines Diskurses

21:13 Minuten
Am Tag nach dem Abhängen des Großbanners People's Justice des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi bleiben auf dem Friedrichsplatz das leere Gerüst sowie die Ständer für die ebenfalls entfernten Pappfiguren zurück.
Die Ruhe nach dem Sturm: Das Gerüst des Großbanners "People´s Justice" des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi, das nach Antisemitismus-Vorwürfen abgehängt wurde. © picture alliance / dpa / Uwe Zucchi
Saba-Nur Cheema und Meron Mendel im Gespräch mit Christian Rabhansl |
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Antisemitismus und Rassismus sollten von allen gleichermaßen bekämpft werden. Warum kriegen sich Gegner dieser Ideologien dann oft selber in die Haare? Der Sammelband "Frenemies" sucht nach Antworten - und wäre daran beinahe gescheitert.
"Frenemies", das sind Freunde, die eigentlich Feinde sind, eine Neuschöpfung aus "Friend" für Freund und "Enemy" für Feind. So heißt auch ein neuer Sammelband der Edition Anne Frank. Herausgegeben haben ihn Meron Mendel, Saba-Nur Cheema und Sina Arnold.
Im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus sieht Saba-Nur Cheema zwei Fronten, die sich immer wieder gegenüberstehen, aber eigentlich dasselbe wollen: die Anti-Antisemitismus-Fraktion und die Anti-Rassismus-Fraktion. Entsprechende Debatten ließen sich im akademischen, aktivistischen Zusammenhang oder in Bildungszusammenhängen regelmäßig beobachten.

Bei der Documenta zeigten sich die verschiedenen Lager

Beide Seiten geraten immer wieder massiv aneinander, zuletzt etwa in der Documenta-Debatte. Für die einen war klar: Einige der in Kassel gezeigten Kunstwerke seien antisemitisch. Kritiker plädierten für den vorzeitigen Abbruch der Ausstellung, denn Antisemitismus sei entschieden entgegenzutreten.
Dem entgegnete die andere Seite: "Das ist ganz schön harter, purer Rassismus, denn diese Kunstausstellung wurde von Menschen aus dem sogenannten globalen Süden kuratiert."

Je nach Brille ist die Sicht unterschiedlich

Man könne sich diese Perspektiven vorstellen wie zwei Brillen, sagt Historiker und Erziehungswissenschaftler Meron Mendel: "Wenn man sich die antirassistische Brille aufsetzt, dann schaut man auf die Welt durch die Color Line: Die Welt wird aufgeteilt zwischen den Weißen, die eher die Rolle der Kolonialisten haben, der Unterdrücker, und den People of Color, Schwarze, die Unterdrückten, die im globalen Süden leben in den ehemaligen westlichen Kolonien."
Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, spricht bei einem Podium der Bildungsstätte Anne Frank und der Trägergemeinschaft documenta gGmbH zum Thema "Antisemitismus in der Kunst".
Genau zum Thema: Meron Mendel spricht bei einem Podium der Bildungsstätte Anne Frank und der Trägergemeinschaft documenta gGmbH zum Thema "Antisemitismus in der Kunst". © picture alliance / dpa / Swen Pförtner
In dieser Aufteilung würden in der Regel Juden auf der Seite der Kolonialherren, als Weiße gesehen. Wenn man diese Brille aufsetze, sei klar: Der Hauptkampf gehe gegen die Unterdrückung von Menschen, die rassistisch angegangen werden.
Setze man aber die anti-antisemitische Brille auf, blicke man aus der Perspektive der relativ jungen deutschen Geschichte und des Holocausts darauf und blicke auf die jahrhundertealte Tradition des Judenhasses in Deutschland. In dieser Perspektive stehe der Kampf gegen Judenhass im Mittelpunkt.

Wie lässt sich ein geeigneter Modus Vivendi finden?

Die Documenta zeigte es mal wieder: Gerade wenn auf der einen Seite Menschen aus dem globalen Süden stehen und auf der anderen Seite Juden, spaltet sich die Linke: „Sind wir jetzt solidarisch mit den Menschen aus dem globalen Süden oder sind wir solidarisch mit den Juden?“
Um diese Frage bilden sich rasch Fraktionen. In den letzten Jahren habe sich diese Entwicklung noch verstärkt. Entsprechende Entscheidungen für die eine oder die andere Seite fielen rasch. Daher ähneln die Loyalitäten und die Argumentationsmuster einander sehr.
Dabei gehe es nicht darum, welche Gruppe am meisten leide oder am meisten unterdrückt werde. Vielmehr sollte es darum gehen, einen Weg zu finden, um miteinander auszukommen, wo also gleichermaßen verschiedene Bedürfnisse berücksichtigt und verschiedenen Formen von Diskriminierung bekämpft werden könnten.
Gefragte Expertin: Saba-Nur Cheema bei der Frankfurter Buchmesse 2019.
Gefragte Expertin: Saba-Nur Cheema bei der Frankfurter Buchmesse 2019. © imago images / Manfred Segerer / Manfred Segerer via www.imago-images.de
Letztendlich geht es darum, sich dessen bewusst zu werden, dass die Haupt-Gefahr sowohl für Juden als auch für andere Minderheiten nicht von der Linken oder den Liberalen ausgehe, sondern von rechten Kräften.

Es geht ums Anerkennen der anderen Perspektive

Doch warum geht es in der Debatte so oft um den Nahost-Konflikt, in der Israel je nach Perspektive Zufluchtsort oder Kolonialprojekt ist?
Es sei schwierig, beide Perspektiven zu vereinen, sagt Saba-Nur Cheema. Dies sei auch eher nicht das Ziel des Buches gewesen, betont sie. Einen "Schein-Konsens" habe man nicht schaffen wollen. Sondern es ging "vor allem darum, die andere Perspektive zunächst einmal kennenzulernen, anzuerkennen, dass diese vielleicht auch ihre Berechtigung hat."

Schon im Vorfeld Diskussionen

Auch gab es bei der Arbeit an dem Buch Diskussionen um die geplanten Beiträge von Kerem Schamberger und Ramsis Kilani. Beide stehen der BDS-Bewegung nahe, die von vielen als antisemitisch kritisiert wird.
"Man könnte sagen: Wir sind mit unserem Vorhaben schon vor Drucklegung gescheitert", sagt Saba-Nur Cheema. Das Team habe trotzdem über 40 Leute gefunden, die sich in ihren Beiträgen "über ganz viele andere Dinge streiten". Aber die in Sachen BDS verhärteten Fronten habe man in diesem Buch nicht überwinden können.

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Einige hätten sich gefragt: Was heißt das jetzt für uns, wenn die Beiträge von Kerem Schamberger und Ramsis Kilani wie geplant erscheinen: "Sind wir jetzt BDS-Unterstützer, nur, weil wir kein Problem damit haben?"
Auf solche Unsicherheiten hätte das Team keine Antworten gehabt. „Einige hatten durchaus Angst und waren unsicher, ob sie noch im Buch drinbleiben möchten.“  
Um das Projekt zu retten und dieses Scheitern zum Thema zu machen, hätten die Herausgebenden die umstrittenen Autorinnen und Autoren daher aus dem Buch herausgenommen.

Keine extremen Positionen

Dies gelte aber auch für Texte der anderen Fraktion, ergänzt Meron Mendel. „Die beiden extremen Positionen sind im Buch nicht vertreten.“ Weder für den BDS, noch für die Seite Israels werde undifferenziert Partei ergriffen. Stattdessen habe man in den Texten "eine große Bandbreite von Positionen und Pluralismus" versammelt.

Das Buch ist ein Spiegelbild eines Diskurses. Ein Diskurs, der momentan in dieser Polarisierung feststeckt.

Herausgeber Meron Mendel

Das grundlegende Problem reiche über solche Probleme beim Zusammenstellen eines Sammelbandes hinaus. Es sei ein Diskursproblem, das derzeit das gesamte Feld bestimme. Insofern könne man die in der Einführung transparent offengelegte Herangehensweise bei diesem Buch als Work in Progress verstehen. "Wir lassen uns in die Karten schauen, wir besprechen mit den Leserinnen und Lesern das Problem."
Damit verbunden sei letzten Endes auch die Hoffnung, bei der Lösung des zugrunde liegenden Problem beim nächsten Sammelband ein Stück weiter zukommen.

Meron Mendel wurde 1976 in Israel geboren und wuchs in einem Kibbuz in der Negev-Wüste auf. Er studierte in Haifa (Israel), München und Frankfurt am Main. Seit 2010 leitet der Historiker und Erziehungswissenschaftler die Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt/Main und Kassel.

Saba-Nur Cheema 
ist pädagogische Leiterin der Bildungsstätte Anne Frank. Sie studierte Politikwissenschaften und Volkswirtschaftslehre an der Goethe-Universität und ist Dozentin an der Frankfurt University of Applied Sciences im Bereich Soziale Arbeit.

(ros)
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