Fred Vargas: „Klimawandel – ein Appell“

Das größte Verbrechen aller Zeiten

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Das Cover des Buches "Klimawandel" auf orangefarbenem Pastell-Hintergrund.
"Rettet die Welt": Krimiautorin und Wissenschaftlerin Fred Vargas ruft zum Umdenken auf. © Deutschlandradio / Limes
Von Susanne Billig · 07.08.2021
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Sie ist Historikerin und heißt eigentlich Frédérique Audoin-Rouzeau. Als Autorin hat sie sich unter dem Namen Fred Vargas mit schrägen Krimis einen Namen gemacht. Nun hat sie ein Buch zum Klimawandel vorgelegt – geschrieben mit Wucht und Leidenschaft.
Nichts existiert, bevor es nicht benannt wurde. Deshalb muss jemand das, was geschieht, energisch als Verbrechen bezeichnen – das größte Verbrechen aller Zeiten.
Das ist der Ausgangspunkt des neuen Buches von Fred Vargas, "Klimawandel – ein Appell". Wie kann der Verlag ein Buch wie dieses, das mit Lichtgeschwindigkeit ins Gehirn seines Publikums zu rasen versucht, nur mit einem so unglaublich langweiligen Titel belasten? Denn es ist beachtlich, was Fred Vargas einem Thema entlockt, das auf dem Buchmarkt schon so abgenudelt wirkt, dass man zu einem solchen Titel kaum greifen möchte, obgleich die drohenden Verwerfungen bislang "nur" Vorboten senden.

Unverblümte Sprache

In einer Tour de Force arbeitet sich die Autorin durch CO2-Quellen und Methan-Ausstöße, seltene Erden und Schmelzwasserströme, Fleischkonsum und absaufende Inseln, Regenwaldschwund und Pestizidverbrauch. Als Krimiautorin scheut Fred Vargas nicht vor einer unverblümten, mitunter fast derben Sprache zurück, duzt ihr Publikum und besteht darauf, Täter beim Namen zu nennen: tatenlose Regierungen, Lebensmittel- und Textilindustrie, Verkehrswirtschaft und Agrochemie.
"Seit vierzig Jahren und obwohl sie sehr wohl wissen, was auf dem Spiel steht, verheimlichen SIE uns, was wir hätten wissen müssen, sodass wir weiterhin blindlings, ahnungslos und vertrauensselig durchs Leben gelaufen sind", schimpft Fred Vargas.

Gut recherchierte Lösungswege

Die große Klimarede der Fred Vargas kommt ohne jede Gliederung aus. Was sie zu sagen hat, beginnt mit dem ersten Wort und hört mit dem letzten auf. Dazwischen sprudeln Fakten, Wutattacken, Appelle und immer wieder gründlich recherchierte Lösungswege.
Alternative Bremssysteme, die weniger Feinstaub erzeugen? Exakte Unterschiede im Wasserverbrauch konventionell und biologisch erzeugter Gemüsesorten? Ultrafeine, von Nanoporen durchzogene und mit einem speziellen Enzym beschichtete Membranen, die für 40 US-Dollar pro aufgefangener Tonne CO2 in Hydrogenkarbonat-Ionen verwandeln können? Die Autorin hat das alles im Blick.
Nur selten ist zu bemerken, dass das Buch im französischen Original schon vor zwei Jahren erschien. Die große Summe der Informationen ist nach wie vor valide – leider, denn was Fred Vargas auf die Seiten schmettert, liest sich streckenweise erschütternd, etwa wenn sie vorrechnet, wann die Rohstoffvorräte der Erde erschöpft sein werden.

Erdgas, Kupfer, Eisen – alles geht aus

Schon zwischen 2028 und 2039 geht es mit Zinn, Blei, Diamant und Helium zu Ende und damit auch mit dem Bau von Magneten, Bildschirmen, mit bildgebenden Verfahren in der Medizin und Kühlkreisläufen in Atomkraftwerken. Etwa zu derselben Zeit muss die Elektroindustrie ohne Kupfer auskommen – kaum vorstellbar.
Anfang der 2070er-Jahre wird das Erdgas versiegen, ein paar Jahre später gibt es kein Eisen mehr. Zwischen 2110 und 2350 ist es dann mit Phosphor vorbei, dem biologischen Kreislauf entzogen für Düngemittel. Kein lebendes Wesen kommt ohne diesen Baustein aus.
Und der Ausblick? Fred Vargas kennt ihn. "Krempeln wir die Ärmel hoch", sagt sie, "und machen uns an die Arbeit."

Fred Vargas: "Klimawandel – ein Appell"
Aus dem Französischen von Waltraud Schwarze
Limes Verlag, München 2021
285 Seiten, 14 Euro

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