Florian Werner liest Musik: "Toxic" von Jochen Distelmeier

Die bezaubernde Dealerin

Der Sänger und Gitarrist Jochen Distelmeyer steht während der Buchpremiere zu seinem ersten Roman "Otis" in Berlin mit einem Mikrofon in der Hand auf einer Bühne.
Der Sänger und Gitarrist Jochen Distelmeyer während der Buchpremiere zu seinem ersten Roman "Otis" in Berlin © imago/IPON
Von Florian Werner · 07.01.2016
Seit der Auflösung der Band Blumfeld im Jahr 2007 ist Sänger und Gitarrist Jochen Distelmeyer solo unterwegs. Nach dem Roman "Otis" veröffentlicht er nun sein zweites Soloalbum, auf dem findet sich eine Coverversion von Britney Spears' "Toxic".
Baby, can't you see - I'm calling
A girl like you should wear a warning
It's dangerous - I'm falling
Eine Szene wie in einem Stummfilm: Ein Mann stürzt in die Tiefe, er ruft um Hilfe - aber die Frau kann oder will ihn nicht hören, sie betrachtet nur seine sich lautlos bewegenden Lippen: "can't you see?" Offenbar nicht. Als er begreift, dass seine Schreie ungesehen verhallen, fügt sich der Sänger bereitwillig in sein Schicksal.
There's no escape, I can wait
I need a hit, baby, give me it
Slowly it's taking over me
"I need a hit, baby", gib mir einen Zug: Das ist die Sprache des rauchförmigen Rauschmittelkonsums. Aber wer oder was ist die inhalierte Droge? Handelt es sich tatsächlich um ein Cannabisprodukt, wie die Brücke zum Refrain nahelegt?
Too high, can't come down
Losing my head, spinning round and round
Wer ist die bezaubernde Dealerin?
Oder doch eher um die angesungene Dame?
With the taste of your lips I'm on a ride
You're toxic, I'm slippin' under
Taste of a poison paradise
I'm addicted to you, don't you know that you're toxic?
Womöglich beides: Die Lippen der Frau, so der Sänger, schmecken nach einem "poison paradise", nach den von Charles Baudelaire besungenen "Künstlichen Paradiesen". Sie ist und sie macht süchtig. Aber: Wer ist die bezaubernde Dealerin?
It's getting late to give you up
I took a sip from your devil's cup
Slowly it's taking over me
Unterschied zur Originalversion von Britney Spears
Eine Vermutung, mit Jochen Distelmeyers Odyssee-Adaption "Otis" im Hinterkopf: Es handelt sich um die sagenhaft attraktive und legendär rauschmittelkompetente Zauberin Kirke. Diese bezirzt den listenreichen Odysseus im Homerschen Epos so nachhaltig, dass er ein geschlagenes Jahr auf ihrer Insel verbringt. Und: Sie verwandelt Odysseus' Gefährten mithilfe einer "devil's cup" voll teuflischer Kräuter in kommunikationsunfähige Schweine.
I better go now
Don't want trouble
You're toxic, babe
It's dangerous
I better go now
Anders als bei Britney Spears, von der die Originalversion des Songs stammt, wagt der Irrfahrer in Distelmeyers Fassung am Ende einen Ausbruchsversuch: "I better go now" - tut mir leid, Schatz, ich muss los. Es ist die Stimme der Vernunft, die hier spricht. Ob sie, im Gegensatz zu dem stummen Hilferuf vom Anfang, erhört wird? Schon möglich. Aber: Der nächste Rückfall kommt bestimmt.
And I love what you do
Don't you know that you're toxic?
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