André Hatting liest Musik

"Verstärker" von Blumfeld

Jochen Distelmeyer war Sänger und Kopf der deutschen Popband "Blumfeld"
Jochen Distelmeyer war Sänger und Kopf der deutschen Popband "Blumfeld" © dpa / picture alliance / Erwin Elsner
Von André Hatting · 13.08.2015
Cohen, Dylan, Lennon – alles wunderbare Balladendichter. In Deutschland brachten Blumfeld Anfang der Neunziger die Lyrik in die Songs. Ihre Texte waren gespickt mit Philosophie, Celan-Zitaten und Kafka-Referenzen – und wurden Kult.
Trockene Bassdrum, mit dem Besen gestrichene Trommel, D-Dur-Akkord und dann das:
Merkst du, was ich merke,
Wenn ich den Eindruck verstärke?
Jeder geschlossene Raum ist ein Sarg.
Jeder geschlossene Raum ist ein Sarg – was für ein Bild! Dieser tausendfach zitierte Vers aus Blumfelds Song "Verstärker"von 1994 zeigt, warum der Diskursrock der Hamburger Schule eine ganze Generation begeisterte: Deutsche Liedtexte können mehr als ABAB-Herz-Schmerz-Kreuzreim-Schlager-Schwulst. Denken und Tanzen verschmelzen zur dialektischen Einheit, Blumfeld sei dank, hurra! Was haben wir Germanistikstudenten damals begeistert über Distelmeyers Texte diskutiert!
Als Text, der kein Behälter-Sarg sein mag,
Schreib ich mich auf,
Um nicht zu ex- oder zu implodieren,
Platzangst reduzieren...
Ui, ein Text schreibt sich auf – das ist hochreflexiv, im wörtlichen Sinn.
Und mich selbst zu buchstabieren
Zeiträume neu im Sinn von weiter formulieren,
Um dann wie hier später bei dir zu sein,
Wie Tinte,
Die sich ausstrecken will,
Einsaugen lässt,
In ein Bett aus Papier.
Schmaler Grat zwischen Poesie und Pose
Der Text wird zur Person, wird zum lyrischen Ich. Das wiederum nähert sich einen Vers später mit dem Binnenreim ("hier – dir") einem Du an – einem anderen Text? Oder dem Hörer? Und das als Tinte, die "sich ausstrecken will/Einsaugen lässt in ein Bett aus Papier." Intellektuellenliebe in Zeiten der Entfremdung – ist sie jemals zugleich zärtlicher und verzweifelter beschrieben worden?
Aber "Verstärker" ist auf der anderen Seite auch ein gutes Beispiel dafür, wie schmal der Grat zwischen Poesie und Pose, großer Lyrik und großem Quatsch bei Blumfeld manchmal war:
Merkst du was ich merke,
Wie sich Mystery und Hysteria und History verstärken?
Falls das nicht Liebe ist, wird es die Bombe
beziehungsweise Kiste sein.
... beziehungsweise verschwurbelter Quark: Liebe, Bombe, Kiste – geht’s auch etwas schlanker? Mystery und History – reim dich oder ich fress dich?
Nanu, denk ick,
Jetz bin ick uff erst war ick zu,
Dann geh ick raus und kieke
und wer steht draußen? Icke.
Berliner Abzählvers der Wahl-Hamburger Blumfeld. Das findet nicht nur der Hauptstädter befremdlich. Sondern mittlerweile auch der Autor Jochen Distelmeyer selbst. In einem Interview zum 20-Jährigen Jubiläum der Platte "L‘état et moi", auf der "Verstärker" zu finden ist, hat Distelmeyer sein mitunter doch seeeehr freies Assoziieren eingeräumt.
Aber ein Vers von Jochen Distelmeyer von damals hat für mich trotzdem immer noch den Gegenwert von 1000 Xavier Naidoos von heute. Mindestens:
Jeder geschlossene Raum ist ein Sarg.
Jeder geschlossene Raum ist ein Sarg.
Mehr zum Thema