Bilanz des 75. Filmfestivals Locarno

Geballte Frauenpower

07:37 Minuten
Die brasilianische Regisseurin Julia Murat nimmt den Goldenen Leoparden für ihren Film "Regra 34" entgegen.
Die brasilianische Regisseurin Julia Murat wurde für ihren Film "Regra 34" mit dem Goldenen Leoparden ausgezeichnet. © IMAGO/Independent Photo Agency Int. / Nick Zonna
Anke Leweke im Gespräch mit Gabi Wuttke · 13.08.2022
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Das 75. Filmfestival in Locarno war geprägt von starken Regisseurinnen. Auch die Siegerfilme kamen von Frauen. Für unsere Kritikerin Anke Leweke ist klar, dass Frauen andere Perspektiven und ganz andere Geschichten zu erzählen haben.
Am Samstag ist die 75. Ausgabe des Locarno-Filmfestivals zu Ende gegangen. Der Goldene Leopard für den besten Film ging an „Regra 34“, übersetzt „Regel 34“, aus Brasilien.* Julia Murats Film bezieht sich auf die sogenannte Regel 34, wonach im Internet zu allem, was sich dort finden lässt, auch pornografisches Material existiert.

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Im Zentrum des Spielfilms steht die angehende Juristin Simona, die sich mit Fällen häuslicher Gewalt und sexuellen Übergriffen beschäftigt. Zugleich ist sie in der BDSM-Szene unterwegs und probiert immer neue sexuelle Spielarten aus.

Sexualität und brasilianische Gegenwartspolitik

„Simona lebt in einer Welt der Paragrafen – und BDSM ist ja auch ein sehr striktes Regelwerk. Aber im Grunde sucht sie die Entgleisung. Sie möchte immer weiter gehen, alle Grenzen hinter sich lassen – so abgefahren wie das ist, so körperlich ist das auch erzählt“, erklärt unsere Filmkritikerin Anke Leweke.
Nebenbei verhandelt der Film brasilianische Gegenwartspolitik, „man bekommt mit, wie sehr Schwarze, Indigene und eben auch Frauen noch unterdrückt werden“.

Physisch erzähltes Coming-of-Age-Kino

Als beste Regisseurin wurde Valentina Maurel aus Costa Rica für „I Have Electric Dreams“ ausgezeichnet. Darin geht es um die 15-jährige Eva, die mit ihrer Umwelt mit dem Körper kommuniziert, wie Leweke erklärt, und sich dabei an Männerbildern abarbeitet.
„Was so spannend an diesem 15-jährigen Mädchen ist: Sie wird sehr aktiv dabei, sie ist nie Reaktion, sie provoziert auch. Sie will eben über den Körper die Welt kennenlernen – und das ist ganz konsequent physisch erzähltes Coming-of-Age-Kino.“

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Hier schließt sich der Kreis zu Simona aus „Regra 34“, wie Leweke erklärt: „Wir haben es in Locarno immer wieder mit Frauen zu tun bekommen, die mit ihrem Körper gegen tradierte Geschlechterverhältnisse angehen, diese umschreiben und auch neue Situationen provozieren.“

Selbstverständlichkeit des Andersseins

Die zwei deutschen Produktionen gingen zwar leer aus, waren aber nicht weniger herausragend: In Ann Orens „Piaffe“ geht es um Eva, deren Schwester Tontechnikerin ist und ins Krankenhaus muss, weshalb sie einspringen und einen Pferdespot vertonen muss. Während sie mit Händen das Hufgetrampel nachmacht und verschiedene Schuhe anzieht, wächst ihr ein Pferdeschweif.

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„Und den trägt sie dann ziemlich selbstverständlich rum, geht durch die Berliner Clubszene und entdeckt ihre Sexualität noch mal neu, weil man mit dem Pferdeschweif auch Bondage machen kann. Alles ist sehr spielerisch. Es geht um das Anderssein, aber auch um die Selbstverständlichkeit des Andersseins – und alles verschmilzt in diesem Film. Das ist einfach ein sehr vergnügliches Fantasy-Märchen, das alle Geschlechterzuschreibungen ad acta führt.“

Ein richtiges Seherlebnis

Helena Wittmanns „Human Flowers of Flash“ ist für Leweke „wirklich großes, großes Kino einer jungen Regisseurin, die einfach auf die klassische Narration verzichtet, die uns mit ihren Bildern mitnimmt“ – aufs Meer. Wir folgen einer Frau und vier Männern bis nach Nordafrika auf den Spuren der Fremdenlegionäre.

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„Es geht darum, dass man diesen Fremdenlegionären nachsagt, dass sie so eine unstillbare Sehnsucht haben, in die Fremde zu ziehen." Und Wittman versucht, diese Sehnsucht in ihren Bildern vom Meer, von Wellen, mit Unterwasseraufnahmen zu fassen.
„Das war ein richtiges Seherlebnis. Die Bilder nehmen einen einfach auf. Man kann sich ihnen anvertrauen, und man treibt mit.“

Ein Trostpreis für die Männer

Für die Männer gab es eine Art Trostpreis, wie Leweke sagt: Der Spezialpreis der Jury ging an den Italiener Alessandro Comodin für „Gigi – das Gesetz“. Darin geht es um den gutmütigen Polizisten Gigi, der Freund und Helfer. Alles in allem nett, wie Leweke findet, aber doch manchmal zu sehr auf der Stelle tretend.

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„Dieser Mann ist letztlich einfach noch in einer tradierten Männerrolle gefangen. Er ist liebenswert, freundlich. So ist auch der Film. Aber ich muss, sagen: Frauenpower hat in Locarno auf der Leinwand doch mehr hergebracht.“

Bilanz der 75. Ausgabe des Filmfestivals

„Die klassische Narration löst sich auf. Das Kino fragt sich ja gerade sowieso, welche Stoffe noch funktionieren. Vielleicht wird es dadurch experimentierfreudiger - das konnte man alles beobachten. Dann freut es mich natürlich, das vier Regisseurinnen so schöne Filme gemacht haben. Da kriegt man einfach mit, dass Frauen doch noch andere Perspektiven und ganz andere Geschichten zu erzählen haben.“
*Redaktioneller Hinweis: Wir haben eine Preisbezeichnung korrigiert.

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