Böllern zu Silvester

Abgesang auf das Feuerwerk

29:10 Minuten
Ein Feuerwerk am Nachthimmel
Schön anzusehen und plastikarm: Diese Pyrotechnik soll zumindest helfen, Müll zu vermeiden. Feinstaub wird trotzdem freigesetzt. © picture alliance / dpa / Lars Klemmer
Von Tobias Barth · 29.12.2022
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Bunte Raketen zum Start ins neue Jahr: Wegen der Pandemie ist diese Tradition zweimal ausgefallen. Die Folge: weniger Patienten in den Kliniken und sauberere Luft. Ist das Feuerwerk ein Auslauf unserer Feierkultur?
Da ist dieses eine Silvester, Anfang der 2000er-Jahre, als es noch die unschuldige Freude gibt an Böllerei und Feuerwerk, das unbedachte Jubilieren über Kanonenschläge und Raketen, über Rauchschwaden und den Mordslärm da draußen auf dem Marktplatz meiner Heimatstadt.
Ich habe mir den Schlüssel besorgt zum Roten Turm – ein Wahrzeichen von Halle an der Saale. 84 Meter hoch überragt der gotische Koloss auf dem Marktplatz die Gebäude der Stadt, in der Spitze das größte Glockenspiel Europas. Tonaufnahmen um Mitternacht für ein Hörbuch über die Hallenser. Sie stehen unten auf dem Marktplatz und schießen ihre roten und blauen und silbrigen Raketen in den Himmel, feiern sich, verjagen die bösen Geister des alten Jahres, begrüßen das neue.
Ich bin hochgestiegen bis zur höchsten Glocke. Beim Rausschauen aus einer Luke trifft mich fast eine der Raketen, die hier oben explodieren. Trotzdem ein unvergessliches Erlebnis: Faszination Feuerwerk.

Erbitterte Debatte über Feinstaub

Zwei Jahrzehnte später ist es vorbei mit der ungetrübten Freude an der Böllerei. "Auf der Karte des Umweltbundesamts war Leipzig tiefdunkelrot, 2500 Mikrogramm pro Kubikmeter Feinstaub. Der EU-weite Grenzwert liegt bei 50 Mikrogramm“, heißt es in einem Bericht des MDR. Ein Schleier hat sich vor das Bild geschoben, aus Feinstaub.
Den gab es auch früher schon, nur ist das Sensorium in der Gesellschaft dafür heute viel feiner. Die Deutsche Umwelthilfe fordert Verbote – zumindest in den Innenstädten. In Schwaden wabern 2019 die Debatten. "Allein in einer Nacht werden so viele Feinstaubemissionen in die Luft geblasen wie sonst zwei Monate vom Verkehr kommen“, empören sich die einen. "Wir sollten diese alte Tradition, dass wir das alte Jahr mit ordentlichem Böllern verabschieden und alle Geister verjagen und uns freuen auf das neue Jahr, nicht vermiesen“, die anderen.
Eine Haufen Feuerwerkskörper
Gegenstand heftiger Diskussionen: Böller und Feuerwerkskörper.© picture alliance / Robin Utrecht
In den Wochen vor der Jahreswende 22/23 flammt die Diskussion wieder auf. Berlin untersagt das Böllern am Alexanderplatz, Hamburg auf dem Rathausmarkt. Köln will das Areal um den Dom feuerwerksfrei halten und München verbannt Raketen aus der gesamten Innenstadt.

Müllberge nach der Silvesternacht

Manchen reichen solche Böllerverbotszonen nicht aus. Im Dresdner Stadtrat zum Beispiel fordern die Grünen, Feuerwerk und Raketen vollständig zu verbieten. "Das langfristige Ziel wäre ein Stadtratsbeschluss, der vorsieht, dass dieses unkontrollierte private Böllern mal eingedämmt wird und es auch gut annehmbare Alternativen von der Stadt gefördert gibt“, sagt der Grünen-Politiker Ronny Geißler. Er kommt ursprünglich aus Meißen, lebt seit mehr als 20 Jahren in Dresden und ist dort im Kultursektor tätig. Dresden, sagt er, sei eine Hochburg des Sprengstoffmissbrauchs. Ständig knallt es irgendwo: Hochzeiten, Geburtstage, Einschulungen. Selbst am Abend vor dem Buß- und Bettag, wo es ein Tanzverbot gibt, habe es in Dresden Feuerwerke gegeben.
Die Pyromanie seiner Mitmenschen nervt ihn, weil er die Folgen kennt. Seit Langem macht er mit in der Freiwilligeninitiative „Wir lieben Elbe“. "Wir räumen immer in unregelmäßigen Abständen Abfälle und Müll unten am Elbufer weg. Da ist Neujahr das Negativ-Highlight des Jahres, wo am meisten Abfälle und Müll und Dreck anfallen." Allein in der Innenstadt und an den Elbbrücken seien gewöhnlich um die 40 Tonnen Müll in der Silvesternacht zusammengekommen.
Am Elbufer im Stadtteil Pieschen kommen noch mal zwei Kubikmeter Müll dazu. Das war vor der Pandemie. Während Corona durften die Kommunen erst selbst entscheiden. „Ende kam dann doch das generelle Verbot. Aber das muss wirklich auf Bundesebene entschieden werden. Das sind letztendlich eigentlich zwei Sätze im Gesetz, die dafür geändert werden müssen“, sagt Louise Hummels-Schröter. Sie treibt zusammen mit Ronny Geißler die Stadtratsinitiative der Grünen voran. Böller grundsätzlich verbieten oder zumindest private Feuerwerke zu untersagen ist das Ziel.

Grundsatzdebatte über Freiheit

Doch damit stehen die Grünen allein auf weiter Flur. Schnell taucht da ein Begriff auf, der auf den Straßen von Dresden derzeit oft skandiert wird: Freiheit. "Ich finde, das muss man halt wirklich hinterfragen“, meint Louise Hummels-Schröter. „Am Ende hat eine Gruppe Freiheit und Spaß, und für viele andere Gruppen ist Silvester eben keine Freiheit. Die Leute, die zu viel Angst haben rauszugehen, die genau planen müssen wann komme ich? Wie komme ich zurück, ohne verletzt zu werden?“
Mit Spaß und Feierlaune hat das für Louise Hummels-Schröter nichts zu tun. Menschen mit Haustieren sind Silvester in ihren Wohnungen eingesperrt, weil der Hund verängstigt in der Ecke sitzt. Eltern mit Kindern bleiben lieber zu Hause, weil sie Angst um ihren Nachwuchs haben, und die Grünen-Politikerin denkt an eine dritte Gruppe von Menschen, die beim Knall eines Kanonenschlags dieser Tage ganz sicher nicht an ein gutes neues Jahr denken: kriegstraumatisierte Menschen.
„Für die ist Silvester sicherlich auch nicht einfach. Da muss man wirklich fragen: Ist es wirklich Freiheit, wenn ein Fest für viele Menschen eben Angst bedeutet? Bedeutet, eben nicht rausgehen zu können“, sagt Hummels-Schröter. Es sei ein wichtiges Fest für unsere Kultur und da sollten alle Leute teilnehmen können. „Mit der privaten Böllerei ist es einfach nicht inklusiv."
In den vergangenen beiden Pandemiejahren gab es vielerorts Feuerwerksverbote – um das Gesundheitssystem durch Unfälle mit Böllern und Raketen nicht zu überlasten. Dieses Argument bleibe auch nach dem Höhepunkt von Corona gültig, sagt die gelernte Augenoptikerin. "Als ich schwanger war, war ich in Geburtsvorbereitungskursen, die waren rund um den Jahresanfang. Da waren auch Frauen dabei, die gehofft haben, dass sie nicht Silvester Termin haben. Meine Geburt war relativ schwierig. Im Kreißsaal gab es einen Notfall. Da musste ein Kind schnell in eine andere Klinik transportiert werden. So etwas will man nicht haben. Wenn das Personal nicht da ist, weil Hände zusammengeflickt werden müssen wegen irgendwelchen Böller-Unfällen oder dass die Rettungskräfte nicht durchkommen oder attackiert werden. Das ja wirklich der Super-GAU. "

Immer wieder Unfälle mit Feuerwerkskörpern

Ich bin vielleicht elf oder 12, da lädt mich ein Schulfreund zu einer Silvesterfete ein. Seine Mutter zündet für uns kurz vor Mitternacht ein Tischfeuerwerk, Knaller oder Raketen sind verboten. Das war die Bedingung der klugen Frau für die Party ihres Sohnes. Um Zwölf dürfen wir draußen eine Wunderkerze abbrennen und den Erwachsenen dabei zuschauen, wie sie Raketen in den Himmel schießen. Ich erinnere mich noch, wie gerne wir selbst geböllert hätten. Ein Silvester in dieser präpubertären Mischung aus Neugier, Ungeduld und Neid.
Ein Sprengmeister zündet einen Böller der Klasse F2 (Kleinfeuerwerk), welcher auf einer aus Gelatine gefertigten Handattrappe liegt.
Eine aus Gelatine gefertigten Handattrappe, bevor der Böller in ihr gezündet wird.© picture alliance / dpa / Frank Hammerschmidt
Am Neujahrsmorgen ziehen wir um die Blocks, auf der Suche nach Böllern, die nicht explodiert waren. Wir werden fündig. Ich puhle die Pappe des Harzer Knallers auf, lasse das Pulver auf die kleine Steinmauer hinter dem Haus rieseln. Der Wind vereitelt es. Also beuge ich mich über das Pulver, mein Kopf und mein Körper als Windschutz.
Ich nehme ein Streichholz aus der Schachtel, ziehe es über die Reibefläche und zisch ist es blitzgrell vor meinen Augen. Dann Schwarz und Schmerz und der Geruch verbrannter Augenbrauen. Da ist er: dieser Moment vor dem Öffnen der Augen. Die Angst, dass es jetzt immer Schwarz bleibt.
Ein Feuerwerker hält einen Finger einer aus Gelatine gefertigten Handattrappe in der Hand. Dieser ist bei der Explosion eines Böllers von der Handattrappe abgerissen worden.
Und die Handattrappe, nachdem der Böller gezündet wurde.© picture alliance / dpa / Frank Hammerschmidt
Ganz vorsichtig bewege ich die Lider. Es ist dunkelgrau, nicht schwarz und von der Seite kommt Licht in die Augen. Ich nehme die rußgeschwärzte Brille von der Nase und zum ersten Mal in meinem Leben bin ich froh, ein Brillenträger zu sein.

Feuerwerkslust und militärischer Schrecken

Im Züricher Zeughaus erinnert eine Inschrift aus dem Jahr 1690 daran, dass Feuerwerkslust und militärischer Schrecken zusammenhängen:

Die Stücke, die Mörser und ander Geschütze,
So blitzen und krachen wie Donner und Blitze,
Wenn Jupiter zornig am Himmel erscheint,
Und alles in Asche zu kehren vermeint.
Die Mörser offt mahlen zu widrigen Zwecke,
Zu lustigen Spielen / Zu traurigem Schrecke,
Sie weiden die Augen / ergötzen den Muth,
Erschrecken die Herzen / verletzen das Blut.

Die Inschrift stammt von der „Gesellschaft der Constaffleren und Feuerwerker“ – eine Art einflussreiche Zunft, der jahrhundertelang auch militärische Aufgaben zufielen. Aus dem Spätmittelalter und dem Barock gibt es reich illustrierte Lehrbücher über Sprengstoffe und die Feuerwerkskunst.

China und die Erfindung des Schießpulvers

Gereon Sievernich hat aus Bibliotheken weltweit die Bilder und Belege zusammengetragen und die Kulturgeschichte des Feuerwerks erforscht. Der Anlass war ein anderer, als die meisten annehmen, sagt er. „Der chinesische Kaiser war auf der Suche nach dem Elixier der Unsterblichkeit. Das war im daoistischen Denken verhaftet.“ Alchemisten oder Chemiker hätten auf der Suche nach dem Elixier experimentiert und seien auf das Schießpulver gestoßen. „Man sagt, das war ein Zufallsfund, und in China wurde es dann bald auch für friedliche und für kriegerische Feuerwerke angewendet."
Drei Viertel Salpeter, ein Zehntel Schwefel und ein Sechstel fein gemahlene Holzkohle – so in etwa lautet die Formel für das explosive Gemisch. Ein Pulver, das ein bisschen Feuerwerksfreude und so unendlich viel Unheil in die Welt bringen sollte. "Das Prinzip des Schießpulvers ist ja, dass der Sauerstoff aus dem Material kommt, der in dieser Hülle enthalten ist“, sagt Gereon Sievernich. „Das haben die Chinesen erfunden, und in dem Moment konnte man Raketen bauen."
In Europa wird diese Erfindung dem Mönch Bertolt Schwarz zugeschrieben, der im 14. Jahrhundert das Schwarzpulver entdeckt haben soll. Wahrscheinlicher ist aber, dass das Rezept für das explosive Gemisch über die Seidenstraße ihren Weg nach Arabien und Europa fand.
Im sogenannten Mongolensturm fanden Pfeilraketen Verwendung, und folgt man einer in Polen populären Geschichte, wurde die Schlacht von Liegnitz im Jahr 1241 mit einem Feuerwerksdrachen der Asiaten gewonnen. „Das soll ein schrecklich angemaltes Feldzeichen gewesen sein, welches an einer langen Stange mitgeführt wurde. In einem entscheidenden Augenblick der Schlacht habe sich der Drachen heftig geschüttelt und fürchterlich stinkenden Rauch und Nebel über das Polenheer ergossen, so seien die Polen kampfunfähig geworden“, so fasst es Gereon Sievernich in seinem „Buch der Feuerwerkskunst“ zusammen. Er hat es 1987 geschrieben. In dem Jahr führten die Berliner Festspiele in der geteilten Stadt ein Japanisches Feuerwerk auf – ein friedliches Signal der Freude, auch im Ostteil der Stadt gut sichtbar am Himmel über Berlin.

Freudenfeuer und festliche Anlässe

 "Da man in China an Geister glaubt, wurde dann das Feuerwerk auch schnell eingesetzt, um an bestimmten Tagen im Jahr, wenn das chinesische Neujahr anbrach, die Geister zu vertreiben“, so Sievernich über die Entwicklung der Silvestertradition. „So wie es heute auch bei uns noch Glaubensformen gibt, von denen wir meinen, sie entsprächen nicht unserem rationalen Denken, so gibt es das auch in China.“ Besonders beim Drachenfest. „Da gibt es die Feuerwerksdrachen, die aus dem Mund Feuerwerk spucken. Ob man an die Geister glaubt oder nicht, ist unerheblich, aber es ist ein schönes Fest für alle."
Feuerräder, Feuerpötte, Feuerschlangen, Feuerschnüre, Spiralen, Böller, Karkassen, Raketen – schon in den Darstellungen des 16. und 17. Jahrhunderts gibt es eine höchst erstaunliche Formenvielfalt. Doch immer ist das Spiel mit dem Feuer gefährlich und teuer. In der Barockzeit habe sich dann die Tradition entwickelt, Freudenfeuerwerke zu errichten, so Sievernich. Zum Geburtstag eines Thronfolgers zum Beispiel. „Es gab tausend Gelegenheiten für Feste und insbesondere die absolutistischen Herrscher an den europäischen Höfen haben dieses Feuerwerk sehr geliebt und gigantische Summen eingesetzt. Man muss sich das wie eine riesige Bühne vorstellen, und das Feuerwerk war ein Teil dieses Theaterstücks.“

Experimente mit Backpulver und Wunderkerzen

Wir Kinder haben ein dreifaches Beschaffungsproblem. Erstens erlaubt auch das Sprengstoffgesetz der DDR nur an den Tagen vor Silvester den Verkauf von Pyrotechnik, zweitens nur an Erwachsene und drittens ist mit einer Mark Taschengeld pro Woche nicht nur kein Blumentopf zu gewinnen, sondern erst recht kein Feuertopf zu bezahlen. Also tun wir, was uns die Erwachsenen in der Mangelwirtschaft vorleben: improvisieren, selber machen.
Ein Schulfreund experimentiert mit Backpulvermischungen. Das gibt lustige, kleine Sprengsätze. Wenn man leere Spülmittelflaschen der Marke Fit anbrennt, dann tropft brennende Plaste pfeifend auf den Boden. Ein paar Dutzend abgeschnittene Streichholzkuppen in eine leere Patronenhülse vom Russenschießplatz gestopft und mit einer Wunderkerze auf Abstand gezündet, macht schöne Stichflamme. Noch ein bisschen Magnesium aus dem Chemieunterricht dazu und schon ist das ein gleißender Bengalo. Der Freund übrigens hat später Theoretische Physik studiert und ist jetzt Materialforscher an einem Fraunhofer-Institut.
Manchmal lässt sich die Pyromanie auch mit Erwachsenen zusammen ausleben: Auf dem Dorf bei meinen Großeltern wird einmal im Jahr das Laub verbrannt. Natürlich nur, wenn der Wind günstig steht und den Rauch Richtung Feld weht. Mein Onkel, ein Fahrzeugingenieur, holt dann die Altöl-Kanister von den Trabant-Reparaturen und – sagen wir es blumig – reichert den Feuerqualm an mit Duftkomponenten und farblichen Extravaganzen.
Auch das lässt sich steigern: Nach dem Feuer stecken wir die im Lauf des Jahres gesammelten leeren Sprayflaschen in die heiße Asche. Die explodieren mit ohrenbetäubendem Knall. Einmal entwende ich meiner Großmutter eine fast volle Spraydose Drei-Wetter-Taft. Das ist der teuerste Böller meiner Kindheit – für sie, weil sie die Dose von ihren wenigen D-Mark aus dem Westen mitgebracht hat, für mich, weil ihr großer Zorn das kurze, explosive Spektakel nicht wert war.

Das Feuerwerk als Kunstwerk

Das Feuerwerk ist die perfekteste Form der Kunst, da sich das Bild im Moment seiner höchsten Vollendung wieder entzieht. Dieses Adorno-Zitat wird immer wieder bemüht, wenn in sozialen Medien für das Silvesterböllern Stimmung gemacht wird. Nur: Es ist ein falsches Zitat, wie etwa der Blog falschzitate belegt.
Tatsächlich heißt es bei Adorno: Nicht durch höhere Vollkommenheit scheiden sich die Kunstwerke vom fehlbaren Seienden, sondern gleich dem Feuerwerk dadurch, dass sie aufstrahlend zur ausdrückenden Erscheinung sich aktualisieren. Adorno hält in seiner Ästhetischen Theorie 1970 auch fest, dass Feuerwerk „um seiner Flüchtigkeit willen und als leere Unterhaltung kaum des theoretischen Blicks gewürdigt wurde“ und belässt es im Übrigen dabei.

Händels Feuerwerksmusik

Dass sich an ein Feuerwerk sehr wohl so etwas wie ewig gültige Kunst binden kann, das hat ein Mann aus Halle bewiesen. Vor fast 300 Jahren komponierte Georg Friedrich Händel seine Feuerwerksmusik – und bis heute wird sie aufgeführt und zelebriert. "Natürlich hatte dieses Feuerwerk auch einen politischen Hintergrund. Das war jetzt nicht nur ein Feuerwerk aus Spaß an der Freude, sondern man hatte ja was zu feiern. Ein halbes Jahr zuvor war der Frieden von Aachen geschlossen worden. Georg II. hat das zum Anlass genommen, dass man das feiern sollte“, sagt Karl Altenburg. Er ist Musikwissenschaftler am Händelhaus in Halle.
Gleich neben einem berühmten Porträt des Komponisten hängt die kolorierte Darstellung der Szenerie, wie sie London im April 1749 erlebte. Im Green Park, gleich neben dem Buckingham Palace, wurde eine Bühne für ein riesiges barockes Feuerwerk geschaffen. "Eine Propagandamaßnahme“, nennt es Altenburg. „Man hatte ja kein Radio, kein Fernsehen, aber so ein Feuerwerk, das war natürlich öffentlichkeitswirksam wie nichts anderes."
Ein Stich zeigt geschmückte Gebäude, davor Zuschauer: Aufbau für die Uraufführung von Georg Friedrich Händels Feuerwerksmusik in London 1749.
Aufbau für die Uraufführung von Georg Friedrich Händels Feuerwerksmusik in London 1749.© picture alliance / akg-images / akg-images
Mit Pomp, Krawall und viel Effekt den Herrscher als den Sieger feiern – das war der Sinn der Zeremonie. Händel sollte dazu die Musik liefern. Auf Wunsch von König George II. ausschließlich mit Militärmusikinstrumenten arrangiert und ohne Streicher. Der Streit darüber ist in Teilen dokumentiert: Er ist eine königliche Posse, in der es untergründig darum geht, ob die Kunst oder die Macht vorherrscht.

Stau bei der Generalprobe

Bevor die Auflösung kommt, aber noch ein Wort zur Generalprobe – denn die war Ursache für den ersten dokumentierten Stau der Weltgeschichte. "London hatte ja das Problem, dass die Themse nur eine einzige Brücke hatte“, erläutert Altenburg. „Heute sind auf diesem Abschnitt zehn Brücken. Damals gab es aber bloß die London Bridge. Die war zu allem Überfluss auch noch bebaut. Da mussten durch so ein Nadelöhr von Toren alle Kutschen durchpassen. Wenn nun so viele Menschen gleichzeitig zu Vauxhall Gardens wollten, es sollen ja bis zu 15.000 Besucher dorthin geströmt sein, und alle wollten nun gleichzeitig durch dieses Nadelöhr, dann hat sich es sich natürlich gestaut.“ Bis zu drei Stunden Stau habe es dort gegeben.
Die Generalprobe am 21. April 1749 war einer der größten musikalischen Erfolge Händels. Auch ohne Feuerwerk – denn das ließ sich nicht proben. Bei der Uraufführung wenige Tage später regnete es und das Feuerwerk misslang. Eine Nebenbühne geriet in Brand und der Architekt schlug voller Zorn mit dem Degen auf den Feuerwerksmeister ein.
Und nun die kulturgeschichtliche Pointe: Die Feuerwerksmusik wurde wie vom König bestellt serviert – nämlich mit Pauken und Trompeten, ohne Streicher. Ein paar Wochen später führte Händel das Werk noch einmal auf, um Spenden zu sammeln für ein Waisenhaus, diesmal mit Streichinstrumenten. Das klingt viel besser, viel friedlicher – und ist die Fassung, die heute weltbekannt ist.

Neue Methoden der Feinstaubmessung

„Wunderbar, wunderbar!"
"Na, Herr Nachbar, wie hat Ihnen das Feuerwerk gefallen?"
"Wunderbar, schöne Farben. Aber stinken tut das nach einem Feuerwerk. Ja, ja, es riecht nicht alles gut, was kracht."

„Es riecht nicht alles gut, was kracht“ – ein typischer Karl Valentin. Die Szene von 1929 ist so ziemlich das älteste, was das Deutsche Rundfunkarchiv beim Stichwort Feuerwerk liefert, und schon der Münchner Sprachakrobat Valentin wies auf eine Kehrseite des schönen Scheins hin. Den Gestank, den Pulverdampf – mit heutigen Worten: die Feinstaubbelastung.
In den Debatten vor Corona hieß es: Feuerwerk setze 4000 bis 5000 Tonnen Feinstaub frei – diese Zahlen sind inzwischen korrigiert worden. „Wir haben zwei intensive Jahre mit dem Verband der pyrotechnischen Industrie zusammengearbeitet, bevor wir diese Korrektur in der Berechnungsmethodik übernommen haben“, sagt Ute Dauert von Umweltamt im Dessau. „Das war eine jahrelange und gute Zusammenarbeit, auch wenn manche denken, wir haben mit einem Teufel zusammengearbeitet.“ Dauert ist beim Umweltamt für alles zuständig, was mit der Beurteilung der Luftqualität zusammenhängt.
Kartons mit Feuerwerkskörpern in einem Verkaufslager
"Es riecht nicht alles gut, was kracht." 2023 darf wieder geknallt werden. Dieses Verkaufslager ist voll.© picture alliance / Robin Utrecht
Durch die neue Berechnungsmethodik hätten sich die Zahlen etwa halbiert, sagt sie.  „Wenn wir jetzt auf die Konzentration gucken, dann haben wir in der Silvesternacht um die 1000 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft in der Spitze, in Ballungsräumen und Städten und im Durchschnitt eines Jahres so 15, bis 18 Mikrogramm pro Kubikmeter." Selbst für Ute Dauert vom Umweltbundesamt ist das Feinstaub-Argument allein nicht entscheidend. Da machen ihr die Landwirtschaft, der Verkehr und die rasant steigende Holzverfeuerung mehr Sorgen.

Lasershow statt Feuerwerk?

Aber neben der Emission des so extrem gesundheitsgefährdenden Feinstaubes wirken ja noch mehr Faktoren auf die Umwelt: Der Lärm verschreckt und schädigt Tiere, Plastikabfall landet in den Flüssen und überhaupt werde durch Feuerwerke viel Müll in die Land- und Stadtschaft eingetragen.
Abgebrannte Feuerwerkskörper liegen im Berliner Ortsteil Alt-Hohenschönhausen auf der Straße.
Jede Menge Müll: das typische Bild am Neujahrstag. Hier in Berlin Alt-Hohenschönhausen.© picture alliance / dpa / Christoph Soeder
Die Hersteller reagieren inzwischen, ersetzen Plastik durch Kompostierbares oder bieten „Leisefeuerwerke“ an. Große Effekte ohne Knall verspricht Böllern mit gutem Gewissen, bloß: "Wenn man eben wirklich rein ökologisch denken will, dann muss man auf Druckluft betriebene Konfettikanonen oder auch Lasershows zurückgreifen“, sagt Dauert. „Dann müsste man sich vom Feuerwerk in dem Sinne wirklich verabschieden."
Umschwenken also auf Lasertechnik und Drohnenshows? Inzwischen gibt es etliche Veranstaltungsfirmen, die mit dieser Technik den Himmel illuminieren und riesige Events veranstalten. Elektrisches Spektakel statt brennender Rakete – keine Alternative für den Leipziger Pyrotechniker Felix Münch. ER spricht vom „Analogen des Feuerwerks“. Davon, dass es leuchtet, knistert, pfeift, knallt und auch gefährlich und mühsam ist. „Es ist ein bisschen Naturgewalt. Feuerwerk ist Feuerwerk. Egal, wie klein oder groß."
Selbst in den beiden Corona-Jahren, so erzählt Felix Münch, habe es trotz des Verkaufsverbotes eine große Nachfrage von Kunden gegeben. Oft emotional vorgetragen, sagt der Pyrotechniker. Feuerwerk scheint ein Stück Gefühlsleben im Land. Das zeigt auch ein Blick auf die Verkaufszahlen: Mit Ausnahme der beiden Pandemie-Jahre verkauft die Branche jedes Jahr Raketen und Böller im Wert von deutlich über einhundert Millionen Euro. Oder anders ausgedrückt: Diese Form der Pyromanie ist in Deutschland weit erbreitet.

Hälfte der Deutschen sind für Verbot

Kann es also überhaupt gewollt sein, solch eine irrationale Faszination zu verbieten? Und wäre das überhaupt durchsetzbar? Die Deutsche Umwelthilfe fordert im Herbst 2022 in einem Brief an die Innenministerin, „die erste Verordnung zum Sprengstoffgesetz zu überarbeiten und den privaten Kauf und Gebrauch von Pyrotechnik zu Silvester dauerhaft zu verbieten“.
In Umfragen sind etwa die Hälfte der Deutschen für ein generelles Verbot. Nur: Umfragen sind das eine, wirklich nicht mehr knallen zu dürfen, das andere. Und wie man weiß, steigt mit dem Verbot auch der Reiz am Verbotenen. Der Verband der Pyrotechnischen Industrie befürchtet für den Verbotsfall Massenimporte von illegaler und gefährlicher Ware aus Osteuropa und Asien. Die offiziellen Importe allerdings sind in der Coronapandemie um 80 Prozent eingebrochen. Der Fachhandel rechnet für 2022 mit doppelt so hohen Preisen für die Endverbraucher.
All das kommt einem Kompromiss-Vorschlag des Naturschutzbundes Deutschland entgegen: Der NABU schlägt kein Verbot vor, sondern setzt auf freiwilligen Verzicht, „und zwar nicht nur Silvester, sondern auch übers Jahr hinweg und zugunsten von zentralen Veranstaltungen“, sagt Rene Sievert vom sächsischen Landesverband des Nabu. In der Stadt könnte stattdessen ein zentrales Feuerwerk stattfinden. „Im besten Fall als Lichtshow ohne die normalen Böller."

Panik bei Tieren

Sievert geht seit Jahren an den Tagen vor dem Jahreswechsel in die Parks und Flussauen von Leipzig. Dort hängt er laminierte Plakate an die Bäume. Sie fordern dazu auf, Rücksicht auf Vögel und andere Tiere zu nehmen. Der Biologe nennt ein Beispiel, das sich im Internet anschauen lässt. Ein kameraüberwachter Nistkasten, in dem Meisen einen Schlafplatz finden. "Man sieht, wie durch das Silvesterfeuerwerk eine Meise, die da eigentlich in Ruhe drin schlafen wollte, in Panik gerät und dann sehr lange Zeit, über Stunden nicht wieder zur Ruhe kommt. Sie verliert Energie dabei. Im kalten Winter ist das für die Vögel gefährlich.“
Verbrannte Bäume stehen im Affenhaus des Krefelder Zoos.
Das Affentropenhaus im Krefelder Zoo brannte 2020 in der Silvesternacht komplett nieder.© picture alliance / dpa / David Young
Panik bei den Tieren, Feinstaub in den Lungen, Brände und Feuerwehreinsätze, an die 10.000 Knallereiverletzungen in der Silvesternacht – ist uns das Böllern das alles wirklich wert? Vielleicht muss nicht alles, worauf wir in der Pandemie verzichtet haben, auch wirklich zurückkommen. Fragen wir uns: Brauchen wir das Zischen der Raketen, das Ah und Oh über die bunten Lichtpunkte am Himmel um Mitternacht? Wenn sie doch nach wenigen Minuten verglühen und die Sterne hinter den Rauschschwaden verschwinden.

Stille in den Bergen

Noch ein Feuerwerkserlebnis zum Schluss: Eine Wanderung in den Voralpen, bei klirrender Kälte im Schnee. Übernachten im Zelt auf einer Bergkuppe, 1800 Meter hoch. Kurz vor Mitternacht ein Grog vor dem Zelt – über uns die Sterne, unter uns ein blassgraues Nebelmeer, wie ein Teetisch mit Milchglas. Vereinzelt steigen Raketen hoch aus den Dörfern im Tal, sie färben die Wolkendecke flächig von unten, das sieht wunderschön aus. Dann um Mitternacht böllern auch die Gäste in der Berghütte unter uns – deren Raketen durchstoßen knapp die Wolkendecke, sich bewegende Leuchtpunkte eines Gemäldes, animierter Impressionismus.
Nur der laute, durch die Täler hallende Lärm trübt die Freude. Und auch die ist noch zu steigern: Am Neujahrsmorgen kommt mit gleißender Wucht die Sonne ins Bild. Neues Jahr, neues Glück? Jedenfalls dreht sich unser Planet einmal mehr auf unserer Bahn. Noch tut er das, und hoch in den Bergen ist es still, richtig still.

Autor: Tobias Barth
Es sprechen: Maria Lang und Andreas Tobias
Regie: Anke Beims
Technik: Hermann Leppich
Redaktion: Martin Mair

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