Kulturgeschichte des Feuerwerks

Spektakel am Hofe

07:41 Minuten
Menschen schauen ein Feuerwerk an, beim 50. "Victory Day" in Bangladesh
Das Feuerwerk ist mehr und mehr zur Effektshows verkommen, die man überall auf der Welt erleben kann. © picture alliance / NurPhoto / Syed Mahamudur Rahman
Von Andrea und Justin Westhoff · 29.12.2021
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Häufig wird behauptet, unsere Silvester-Knallerei sei auf uralte Rituale zurückzuführen. Lärm und Licht sollten ursprünglich böse Geister vertreiben. Falsch, sagen Kulturwissenschaftler. Die Geschichte des Feuerwerks beginnt in der Neuzeit.
Feuervögel, Mikado-Raketen, Goldregen oder Silbersonnen: Ein Feuerwerk spricht unsere Affekte an. „Einerseits ist es, was das Visuelle betrifft, überwältigend und außeralltäglich, zum zweiten überwältigt es uns natürlich auch durch den Lärm“, findet der Regensburger Kulturwissenschaftler Manuel Trummer, und spannend ist es allemal, das Feuerwerk. „Es ist immer so ein gewisses Kribbeln in der Luft, was da denn jetzt eigentlich passiert, wenn die Rakete hochgeht.“ Welche Farben, welche Formen sind zu sehen? „Und was letztlich noch dazukommt, zu dieser Faszination des Feuerwerks, ist, dass es flüchtig ist.“
Der flüchtige Moment hat eine lange Geschichte, aber der Ursprung des Feuerwerks liegt im Dunkeln: Die eigentliche „Pyrotechnik“ ist auf jeden Fall im Mittelalter von Alchimisten entdeckt worden, bei ihrer Suche nach Gold.

Erfinder des Schwarzpulvers ist unbekannt

Ohne Schwarzpulver kein Knall. Aber wer hat diese explosive Mischung aus Salpeter, Kohlenstoff und Schwefel gefunden? Vielleicht der englische Alchimist Roger Bacon im 13. Jahrhundert? Für den Franziskanermönch Berthold Schwarz, der angeblich im 14. Jahrhundert in Freiburg lebte, spräche der Name – aber der geht wohl auf die Farbe des Pulvers zurück. Und die Chinesen bestehen darauf, ein Mönch namens Li Tian habe das Schwarzpulver entdeckt. Tatsächlich verwendete man im Reich der Mitte schon um das Jahr 1000 beim chinesischen Neujahrfest explodierende Bambusstäbe, um böse Geister zu vertreiben.
Die Vorstellung, dass an Neujahr eben geschossen wird, um die Geister zu vertreiben oder dass es ein Fruchtbarkeitsritual ist. Das seien „letztlich überholte Forschungsmeinungen, die größtenteils ins 19. Jahrhundert zurückweisen“, sagt Trummer. „Das war eine Zeit, in der man versucht hat, vieles, was wir an Ritualen und Bräuchen heute kennen, mit möglichst uralten Traditionen zu erklären.“

Feuerwerk als Statussymbol am Hofe

Denn Feuerwerk sei letztlich eine Erfindung der frühen Neuzeit. „Wir haben zuerst im höfischen Bereich Feuerwerke zu besonderen Anlässen, beispielsweise zu Hochzeiten oder Hoffesten.“ Ein Statussymbol, mit dem man gezeigt hat, was man sich leisten kann. „Mit dem man einfach seinem Publikum und sich selbst ein Spektakel bieten wollte.“
Zunächst waren es nur Salutschüsse als feierliches Ritual. Die ersten Feuerwerker waren „Artilleriemeister“, ein eigener Berufsstand in der Armee des Herrschers. Vorreiter der europäischen Feuerwerkskultur war Italien.
Fireworks to mark return of William III after Battle of Boy
Der Adel, Bürgerinnen und Bürger bei einem Feuerwerk in Covent Garden 1809.© picture alliance / Mary Evans Picture Library
Im 17. und 18. Jahrhundert dann die Hochzeit der Feuerwerke: Die absolutistischen Herrscher pflegen die Kunst der Verschwendung als Zeichen ihre Macht. 1770 gibt der französische König Ludwig der XV. im Park von Versailles das größte Feuerwerk dieser Zeit: Man hat gelernt, verschiedene Knall- und farbige Lichteffekte zu erzeugen, 20.000 Raketen, 6000 Vulkane und 80 brennende Sonnen werden gezündet. Gaukler und Tänzerinnen treten auf, Musikstücke erklingen, eigens zu diesem Anlass geschrieben.
Schon Georg-Friedrich Händel komponierte seine berühmte Feuerwerksmusik für den britischen König George II., der damit den „Aachener Frieden“ nach einem langen Erbfolgekrieg feiern wollte. Aber das Londoner Spektakel im April 1749 ist ein totales Desaster: Es regnet, die Salutschüsse kommen zu spät, die Ouvertüre beginnt zu früh – und am Ende setzen Feierwerkskörper auch noch die Bühne in Brand. 

Knalleffekte als Jahrmarktsspektakel

Mit dem Aufstieg des Bürgertums im 18. Jahrhundert laden immer mehr reiche Bürger zu Lustfeuerwerken ein – gegen Entgelt, versteht sich. Jahrmärkte bedienen sich der Licht- und Knalleffekte oder präsentieren komplette Feuerwerkstheaterstücke.

1796, im Wiener Prater: „Werthers Leiden, frei nach Goethe“ steht auf dem Programm. Der für Lotte schwärmende Werther: eine Holzfigur, der unaufhörlich sprühende Schwärmer entfahren. Und die Angebetete: umhüllt von einem Hemd aus weißen Funken.
In dieser Tradition steht der Wiener André Heller mit seinem „Feuertheater mit Klangwolke“, 1983 in Lissabon und 1984 vor dem Reichstag in Berlin aufgeführt, direkt an der Mauer. In zehn Bildern, mit flammenden Herzen oder Picassos Taube, unterlegt mit klassischer Musik wollte er für Frieden, Fantasie und „Widerstand gegen die Folter der Dummheit“ werben.
Aber die tiefere Bedeutung der Spektakel bleibt oft im Dunkeln, und so werden Feuerwerke mehr und mehr Effektshows, die man heute überall auf der Welt erleben kann: bei internationalen Sportwettbewerben wie Olympia, zu nationalen Feiern etwa in Frankreich am 14.Juli und in den USA am 4. Juli. –  oder in England am 5. November, beim Guy Fawkes Day. Die Briten feiern – mit einem Riesenfeuerwerk – den gescheiterten Sprengstoffanschlag auf das englische Parlament im Jahr 1605.

Silvester-Böllerei für alle

In Deutschland wird vor allem der Jahreswechsel offiziell gefeiert, mit einem großen Feuerwerk vor dem Brandenburger Tor in Berlin. Aber noch bedeutender hierzulande ist die private Silvester-Böllerei geworden: eine Entwicklung, „die erst auch dem Zweiten Weltkrieg, nach dem Wirtschaftswunder eingesetzt hat“, so Kulturwissenschaftler Trummer. Damals wurden die Feuerwerkskörper für die breite Bevölkerung erschwinglich. „Da hat sich dann auch richtiggehend eine Industrie gebildet, die dann Feuerwerk auf breiter Ebene ermöglicht hat.“
Doch auch wenn alle dürfen, nicht jeder oder jede will. Trummer beobachtet jedenfalls einen „sich verändernden sozialen Umgang in Bezug aufs Feuerwerk“. Einzelne Milieus unserer Gesellschaft verzichteten zusehends auf das Feuerwerk, aus Gründen des Umwelt- und Tierschutzes. „Wohingegen andere Bevölkerungsteile eben gerade aus Trotz ballern.“ (*)
Dieses Jahr könnte es beim Böllern zu einer „ziemlichen Corona-Reaktion“ kommen, meint Trummer, nach dem Motto: Alles will man uns verbieten und jetzt ballern wir erst recht. „Gewissermaßen als Protest, und da lassen sich dann schon milieuspezifische Unterschiede festmachen.“

Lasershow statt Böllerei

Die Bilder, die mit dem Feuerwerk heute gemalt werden, sind jedenfalls eher Bilder der Verwüstung. Abhilfe sollen Verbote der privaten Böllerei schaffen, und als Alternative staatlich oder kommunal organisierte Licht- und Lasershows.
Die könnten mittelfristig das Feuerwerk ablösen, prognostiziert der Regensburger Kulturwissenschaftler Manuel Trummer. „Wenngleich natürlich dieses sensorische und affektive Spektakel eines Feuerwerks – vom Rauchgeruch, über das Knallen bis hin zu diesen Lichtexplosionen – erst einmal schwer zu ersetzen sein wird.“ Und nicht zu vergessen: der Zauber des flüchtigen Augenblicks.
(*) Redaktioneller Hinweis: Wir haben den Artikel um einen Satz gekürzt, der nicht Teil des ausgestrahlten Audiobeitrags war.
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