Europawahl

Wie die EU gegen Falschnachrichten kämpft

14:32 Minuten
Ein Wähler gibt am 25.05.2014 in Berlin-Mitte seinen Stimmzettel für die Europawahl und den Volksentscheid für das Tempelhofer Feld ab. Insgesamt sind rund 400 Millionen Wahlberechtigte in 28 EU-Ländern aufgerufen, über die Zusammensetzung des künftigen Europaparlaments zu entscheiden. Foto: Kay Nietfeld/dpa. |
Ein Wähler bei der Stimmabgabe zur Europawahl 2014. Im Mai dieses Jahres wird wieder gewählt und die EU fürchtet eine Beeinflussung der Wahlen durch Desinformation. © picture alliance / dpa / Kay Nietfeld
Nico Schmidt und Michael Kreil im Interview · 20.04.2019
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Vor der Europawahl geht die Angst vor Desinformation um. Die Sorge ist berechtigt, denn vor Wahlen werden Fake News-Betreiber besonders aktiv. Deshalb hat Europa Anti-Desinformations-Einheiten gegründet. Doch wie schlagkräftig sind diese?
Wie stark können Lügen Wahlen beeinflussen? Diese Frage wurde heiß diskutiert, nachdem bekannt wurde, dass vor der US-Präsidentschaftswahl 2016 massenhaft Fake News kursierten. Auch die Jahre danach haben gezeigt: Politische Hochphasen wie Wahlen oder Streitthemen wie die Migration lösen Wellen von Fake News aus, die die öffentliche Meinung beeinflussen können.
Bekannt für ihre Desinformationskampagnen ist zum Beispiel die Neue Rechte. Sie wurde unter anderem aktiv beim Streit um den UN-Migrationspakt. Rechte Gruppen und Migrationsgegner haben das Papier als Verschwörung umgedeutet. Wie das ablief, hat das Journalistenteam "Investigate Europe" recherchiert.

EU richtet Arbeitsgruppen gegen Lügen ein

Was kann man solchen Umdeutungen und ihrer massenhaften Rezeption wirkungsvoll entgegensetzen? Die EU versucht es mit Anti-Desinformations-Einheiten, die verhindern sollen, dass zum Beispiel die Europawahl durch Kampagnen und Panikmache beeinträchtigt wird. Der Wähler, so die Idee, soll nicht irgendwelchen Lügen zum Opfer fallen.
Es gebe derzeit zwei Einheiten der EU: die 2015 gegründete "East StratCom Task Force", zu deutsch das "Strategische Kommunikationsteam Ost", sowie das Rapid Alert System von 2018, berichtet Nico Schmidt von Investigate Europe. Bei der East StratCom arbeiteten elf Menschen, die öffentlich zugängliche Netzwerke, vor allem Twitter, beobachteten. "Sie haben dabei nur das Mandat Einflussnahme zu beobachten, die von außerhalb der EU kommt", sagt der Journalist Nico Schmidt von Investigate Europe. Die East StratCom dokumentiere ihre Arbeit auf einer Website.

Zu wenig Personal für zu viele Inhalte

Nach Einschätzung von Investigate Europe seien die Anti-Desinformationseinheiten der EU aber machtlos. Das habe mehrere Gründe: Die East StratCom habe mit ihren elf Mitarbeiten zu wenig Personal, um die vielen Inhalte auf Social Media zu überwachen. Zudem könne sie nur auf öffentlich zugängliche Informationen zugreifen. Außerdem dürften die Mitarbeiter der East StratCom nur Einflussnahme, die von außerhalb der EU komme, beobachten und dokumentieren.
"Als sie einmal mehrere niederländische Medien auf ihrer Plattform gelistet haben als mögliche Desinformationsverbreiter, hat die niederländische Regierung damit gedroht, die East StratCom zu schließen", sagt Schmidt.
Porträt des Journalisten Nico Schmidt von "Investigate Europe"
Journalist Nico Schmidt von "Investigate Europe"© Foto: Patricia Kühfuss
Die zweite Einheit gegen Desinformation, das Rapid Alert System, ist eine Plattform, welche den Mitgliedsstaaten der EU die Möglichkeit bietet, sich auszutauschen und sich gegenseitig zu alarmieren. Pro Land gebe es eine Kontaktperson, in Deutschland sitze diese im Auswärtigen Amt. Falle dieser Person etwas auf, solle sie es auf die Plattform stellen.
"Das Problem bei dem Rapid Alert System ist, dass in Deutschland nicht ganz klar ist, wie Informationen über mögliche Desinformationskampagnen am Ende bei dieser Kontaktperson im Auswärtigen Amt landen. Das geschieht weitgehend noch auf Basis eines informellen Austausches. Und wie Social Media hier in Deutschland zum Beispiel beobachtet wird, ist nicht geregelt", sagt Nico Schmidt. Bisher habe es aber noch keine Alarmmeldungen über das Rapid Alarm System gegeben.

Facebook und Co. übernehmen zu wenig Verantwortung

Aber auch die Plattformen Facebook, Twitter und Google würden nicht ausreichend mit der EU zusammenarbeiten. Zwar hätten sie 2018 einen Verhaltenskodex unterzeichnet, aber dessen Maßnahmen, wie Transparenz bei Wahlwerbung, würden häufig nicht eingehalten.
"Das Problem dabei ist: Wenn die Plattform nichts tun, hat die EU auch nicht die Möglichkeit zu handeln, denn es gibt keinerlei Sanktionsmöglichkeit bei dieser freiwilligen Selbstverpflichtung. Und man muss vielleicht noch sagen, dass in Deutschland bisher gar nichts passiert ist. Hier gibt es noch nicht mal eine freiwillige Selbstverpflichtung", sagt Nico Schmidt.

Unterscheidung zwischen Bewegung und Kampagne

Auch der Datenjournalist Michael Kreil steht den Einheiten der EU kritisch gegenüber. Zuallererst aber sei es wichtig zu unterscheiden zwischen Desinformationskampagnen oder Falschinformationsbewegungen. "Mehr und mehr beobachten wir, dass ganz viele dieser Dinge nicht zentral organisiert sind, sondern aus einer Bewegung heraus entstehen. Es gibt einen Unterschied zwischen Kampagne und Bewegung. Greta Thunberg zum Beispiel macht ja auch keine Kampagne. Sie hat eine internationale Bewegung gestartet", sagt Kreil.
Datenjournalist Michael Kreil hält ein Schild in der Hand, auf dem steht "Mehr Daten für alle".
Der Datenjournalist Michael Kreil beschäftigt sich mit Social Bots und kritisiert den öffentlichen Umgang mit dem Thema.© Foto: Viktor Rosenfeld (CC BY)
Trotzdem stelle sich die Frage: Wie wirkt so was? Lassen sich damit Wahlen manipulieren? "Ich glaube der zentrale Punkt ist, dass es überhaupt anschlussfähig ist. Das alleinige Entwickeln von Falschinformationen, das hat ja erst einmal noch keine Wirkung. Erst dadurch, dass sie sich verbreitet, und da sehe ich eigentlich das Kernproblem von allem."
Der Datenjournalist fordert in erster Linie Forschung zu dem Phänomen: "Wir müssen das erst verstehen und ich sehe ja auch, dass die ganzen Experten sich da noch uneinig sind. Wir haben zwar die ganzen Puzzleteile schon zusammen, aber wir haben sie noch nicht zu einem guten Bild zusammengesetzt."
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