Doxing

Den "zornigen weißen Mann" gibt es auch in jung

26:58 Minuten
Ein Hacker mit Kapuzenpulli sitzt vor seinem Laptop.
In den USA steht ein Teil der Doxer-Szene der Alt-Right-Bewegung nah, meint der Kommunikationswissenschaftler Christian Stöcker. © MAXPPP
Christian Stöcker im Gespräch mit Katja Bigalke und Martin Böttcher · 12.01.2019
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Daten von anderen ausforschen, sammeln und veröffentlichen, um das Opfer bloßzustellen – im Darknet ist Doxing seit längerem schon fast eine Art Sport. Christian Stöcker zufolge steckt dahinter mitunter aber auch eine handfeste politische Motivation.
Die jüngste Doxing-Attacke gegen hunderte Prominente rückt ein Phänomen ins Licht, das es bereits seit Jahrzehnten gibt, bisher aber kaum von der breiten Öffentlichkeit beachtet wurde: das Ausforschen, Sammeln und Veröffentlichen privater Daten Dritter, um diese Personen bloßzustellen.
Entstanden sei Doxing ab den 1980er-Jahren im Kontext der sogenannten Cracker-Szene, sagt der Kommunikationswissenschaftler Christian Stöcker. "Es geht immer um Leute, die Software vom Kopierschutz befreien, sich dafür selbst auf die Schulter klopfen, damit natürlich im Zweifelsfall gegen Gesetze verstoßen und deshalb stark an ihrer Anonymität interessiert sind." Diese Anonymität durch Veröffentlichung der Identität des Crackers zu zerstören, war damals offenbar ein beliebtes Mittel, um Rivalen abzustrafen und die eigene Macht zu demonstrieren: "Die Informationen wurden dann in der Regel benutzt, um den Leuten sehr konkrete Streiche zu spielen, zum Beispiel ihnen 20 Pizzen nach Hause zu schicken oder einen Umzugswagen."

Früher die Newsgroup, heute die ganze Welt

Im Vergleich zu damals sei die Motivation heutiger Doxer zumindest zum Teil "deutlich extremer und aggressiver", so Stöcker. Natürlich gebe es heute auch ganz andere technische Möglichkeiten, sich Daten über Personen zu verschaffen. Denn inzwischen lägen fast alle Informationen über einen Menschen auch in digitaler Form vor. Und es gebe auch ganz andere Möglichkeiten der Veröffentlichung. "In den achtziger oder neunziger Jahren, da konnten sie das auf einer Mailbox oder in einer Newsgroup für ein im Zweifelsfall immer noch ziemlich kleines Publikum veröffentlichen. Aber heutzutage können sie unter Umständen ein globales Publikum erreichen mit einem solchen Leak, und das ist ja in den vergangenen Jahren auch immer wieder passiert."
Was aber offenbar seit den Anfängen unverändert geblieben ist: Intensiv wird Doxing vor allem von jungen Männern betrieben. Teilweise hätten diese sich in den letzten Jahren der sogenannten "Alt-Right"-Bewegung angenähert.
"Eine Untergruppe derer, die sich da so benehmen, die diese Methoden anwenden, vom Trollen bis zum Doxen, gehören eben dieser antifeministischen, zum Teil irgendwie 'maskulistischen' Subkultur an: junge Männer, die ein bisschen Probleme mit dem weiblichen Geschlecht oder überhaupt mit vielen Dingen haben, die irgendwie anders sind als sie selbst."

Prominentes Doxing-Opfer: die Gamerin Anita Sarkeesian

Deshalb seien auch ein Großteil der Doxing-Opfer Frauen oder Angehörige von Minderheiten, betont der Kommunikationswissenschaftler.
"Ganz prominentes Beispiel: Anita Sarkeesian, eine Kulturwissenschaftlerin, die sich mit Geschlechterstereotypen in Videospielen beschäftigt, die wird seit Jahren verfolgt von der amerikanischen Alt-Right und mittlerweile wahrscheinlich auch von ein paar deutschen Jungs, weil sie deren Vorstellung davon, was ihnen zusteht, in Frage stellt."
Tweet an Anita Sarkeesian
Seit Anita Sarkeesian Geschlechterstereotype in Computerspielen öffentlich angeprangert hat, ist sie zum Hassobjekt einer bestimmten männlichen Szene geworden.,© Courtesy of Train of Thought Productions
Zwar schätzt Stöcker das Bedrohungspotenzial von Doxern für die USA wegen der Nähe der Szene zu Alt-Right größer ein. Aber auch in Deutschland ist Doxing offenbar durchaus ein Problem:
"Es gibt da so eine Troll-Crew beispielsweise, die in Deutschland bei Twitter netzwerkartig organisiert schon seit zwei oder drei Jahren unterwegs ist. Wenn Sie zum Opfer oder zum Ziel dieser Gruppe werden, dann kann das für Sie zumindest in den sozialen Medien extrem unangenehm werden, weil Sie dann immerzu beschimpft werden. Es werden Screenshots von Ihren Tweets angefertigt und die wieder in Umlauf gebracht mit gehässigen Kommentaren, Ihre Fotos aus dem Netz gezogen, manipuliert und wieder in Umlauf gebracht etc. Also, da ist schon Aggression und auch Schädigungspotenzial da."

Welche Rolle Doxing bei Youtube spielt - den Beitrag von Jenny Genzmer können Sie hier nachhören: Audio Player

Auch der Doxer "Orbit", der mutmaßlich für den jüngsten Datendiebstahlsskandal verantwortlich ist, habe bereits in den letzten Jahren ähnliche Attacken gefahren, etwa gegen bekannte Youtuber, sagt Stöcker. "Die sind auch alle zur Polizei gegangen, aber da gab es keine Fahndungserfolge. Also, der Strafverfolgungsdruck scheint mir in diesem Bereich bis jetzt nicht allzu hoch gewesen zu sein."
Das könnte sich jetzt allerdings ändern, vermutet der Hamburger Professor für Digitale Kommunikation. Denn das Thema hat das politische Berlin erreicht:
"Und ich glaube schon, in dem Moment, in dem man klarmacht – und dafür ist dieser Fall jetzt wahrscheinlich ganz gut geeignet – das sind a) keine Kavaliersdelikte und b) du wirst erwischt und dann geht es dir richtig an den Kragen. Dann wird dieses Verhalten an Attraktivität deutlich abnehmen", sagt Stöcker.
"Denn bislang, glaube ich, haben die Leute sich mehr oder weniger unangreifbar gefühlt. Das sieht man ja daran, wie dieser mutmaßliche Täter in diesem Fall, wie unfassbar sorglos der umgegangen ist und was der für ein unfassbares Risiko eingegangen ist - mit dem Erfolg, dass er dann eben jetzt auch ziemlich schnell erwischt worden ist."
(uko)
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