Boykottdrohungen wegen Israel
Die israelische Sängerin Yuval Raphael wurde beim ESC 2025 Zweite. Sie ist Überlebende des Massakers der Terrororganisation Hamas am 7. Oktober 2023. Während ihres Auftrittes kam es zu Störungen durch Protestaktionen © picture alliance / dpa / Jens Büttner
Das politische Gezerre um den ESC

Israel will trotz Boykottdrohungen mehrerer Länder am ESC teilnehmen. Der Gesangswettbewerb hat für das Land eine große Bedeutung. Das hängt auch mit der queeren Fan-Community zusammen. Doch einige werfen Israel nun Pinkwashing vor.
Um den 70. Eurovision Song Contest (ESC) 2026 in Wien gibt es schon Monate vor dem Start einigen politischen Wirbel. Der Grund: der Gazakrieg. Fünf Länder haben ihren Verzicht erklärt, sollte Israel teilnehmen: Irland, Island, Slowenien, Spanien und die Niederlande. Belgien hält sich die Entscheidung noch offen.
Der massivste Protest kommt aus Spanien. Die Stimme des Landes hat besonderes Gewicht, denn es gehört zu den „Big Five“. So werden die Länder genannt, die am meisten Geld in den Musikwettbewerb stecken. Neben Spanien sind das Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien.
Israel und das „Coming-out“ des ESC mit Dana
Israel selbst hält an seiner Teilnahme fest. 1973 war das Land erstmals beim Wettbewerb dabei – und in der Folge über die Jahrzehnte hinweg ziemlich erfolgreich. Dafür gibt es einige Gründe, sagt der Kurator und ESC-Fan Peter Rehberg.
Zum einen habe Israel den ESC von Anfang an als Instrument verstanden, um trotz seiner geografischen Randlage „die kulturelle Zugehörigkeit zu Europa zu zeigen“. Hinzu kommt eine unglaubliche Begeisterung für den Wettbewerb in Israel. Dort werde der ESC sehr gefeiert und popkulturell ernst genommen, so Rehberg. „Von daher sind eben auch ganz andere Stars oder auch eine andere Infrastruktur, vielleicht auch ein anderes Budget in den ESC geflossen.“
Die Geschichte des ESC wäre ohne Israel jedenfalls eine andere. Viermal gewann das Land den Wettbewerb. Unter anderem 1998, als die Transgender-Künstlerin Dana International mit ihrem bunten Vogelkostüm auf der Bühne stand. Aus Rehbergs Sicht so etwas wie „das offizielle Coming-out des ESC“. Dana und Israel sei es zu verdanken, dass es im öffentlich-rechtlichen Fernsehen „eine Plattform gibt, wo queere Kultur ganz selbstverständlich ihren Platz bekommt und auch ganz offen besprochen wird“. Seitdem ist die queere Fangemeinschaft beim ESC immer wichtiger geworden.
Pinkwashing-Vorwürfe und die queere Community
Unter Gender-Theoretikern und in der queeren Community wird die Rolle Israels bezüglich LGBTQIA+ beim ESC allerdings unterschiedlich bewertet. Während die einen den Verdienst Israels hervorheben, werfen andere dem Land Pinkwashing vor - also dass die Rechte von Lesben, Schwulen und Transgender nur als Vorwand benutzt werden, um eine eigentlich koloniale, militaristische Politik zu kaschieren.
Boykottaufrufe und politische Proteste gegen Israel sind nichts Neues in der Geschichte des ESC. Bereits beim diesjährigen Wettbewerb (2025) forderten Spanien und mehrere andere Länder, Israel auszuschließen. Außerdem unterschrieben mehr als 70 ehemalige ESC-Teilnehmende einen offenen Brief, in dem der Ausschluss des israelischen Senders KAN vom ESC gefordert wurde.
Die Unterzeichner verwiesen darauf, dass Russland nach seinem Angriff auf die Ukraine vom Wettbewerb ausgeschlossen wurde. "Wir akzeptieren diese Doppelmoral gegenüber Israel nicht", hieß es in dem Brief.
Beim ESC 2024 in Malmö demonstrierten Tausende Menschen, darunter auch die Klimaaktivistin Greta Thunberg, gegen Israels Vorgehen in Gaza. Das Motto der Proteste: "Schließt Israel von der Eurovision aus".
Auch 2019, als der ESC in Tel Aviv stattfand, habe es Proteste gegeben, erinnert sich Publizist Rehberg. „Die haben sich damals vor allen Dingen auf die Situation in der Westbank konzentriert.“
ESC: politisch oder einfach nur ein Gesangswettbewerb?
Eigentlich soll der ESC ein Gesangswettbewerb sein, bei dem Politik keine Rolle spielt: „Texte, Ansprachen und Gesten politischer Natur sind während des Contests untersagt“, heißt es in den Regularien.
Beispiele für politische Konflikte und Boykottaufrufe gibt es aber einige in der Geschichte des Gesangswettbewerbs. Da ist zum einen der Ausschluss Russlands aufgrund seines Angriffskriegs gegen die Ukraine.
Aber schon 1969 blieb Österreich dem Grand Prix fern, um gegen die Franco-Diktatur in Spanien zu protestieren. 1975 trat der Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei offen zutage, als Griechenland dem Wettbewerb fernblieb und damit gegen den Einmarsch der Türkei auf Zypern demonstrierte. Ein Jahr später war Griechenland wieder beim Wettbewerb dabei – mit einem Lied, das die Besetzung Zyperns indirekt thematisierte. Dieses Mal boykottierte die Türkei den Grand Prix.
„Es gab immer wieder politische Konflikte und eben auch militärische Auseinandersetzungen, die dann ihre Spuren beim ESC hinterlassen haben“, so Rehberg. Weil verschiedene Nationen gegeneinander antreten, gehöre „das Politische unwillkürlich auch zur DNA des ESC dazu“.
Kritik an Boykottdrohungen wegen Israel
Im Gastgeberland Österreich stoßen die derzeitigen Boykottdrohungen auf wenig Verständnis: Ein Boykott würde „die Möglichkeiten für einen wichtigen Dialog zwischen Künstlern und der Bevölkerung verunmöglichen - ohne die Lage vor Ort in Israel und Gaza zu verbessern“, schrieb Österreichs Außenministerin Beate Meinl-Reisinger.
Ähnlich sieht es Deutschlands Kulturstaatsminister Wolfram Weimer. Der ESC lebe davon, dass Künstlerinnen und Künstler nach ihrer Kunst, nicht nach ihrer Nationalität beurteilt würden, betonte er. Sollte der Wettbewerb zu einer "Bühne der Ausgrenzung" verkommen, würden andere davon profitieren: "Russland etwa versucht längst, mit einer Neuauflage des alten Ostblock-Wettbewerbs 'Intervision' eine eigene Gegenwelt aufzubauen."
Die Europäische Rundfunkunion (EBU) will voraussichtlich im Dezember über den Umgang mit Israel entscheiden.
Leila Knüppel


























