Ernährungssicherheit in der Krise

Nachhaltige Landwirtschaft ist kein Luxus für Friedenszeiten

29:32 Minuten
Ein Landwirt fährt mit seinem Trecker über ein Hanffeld und striegelt dieses, um das Unkraut mechanisch zu regulieren (Aufnahme mit einer Drohne).
Um die Ernährung auch in Krisenzeiten zu gewährleisten, müssten Elemente aus dem Ökolandbau in die konventionelle Landwirtschaft übernommen werden, rät Per Brodersen. © picture alliance / dpa / Philipp Schulze
Moderation: Annette Riedel · 16.04.2022
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Der Ukrainekrieg treibt die Lebensmittelpreise auf Rekordniveau. Welche Lehren sind daraus für die Landwirtschaft zu ziehen? Keinesfalls die, dass man sich Umwelt- und Klimaschutz jetzt nicht leisten kann, findet der Agrarexperte Per Brodersen.
Maßnahmen für die Ernährungssicherheit dürften nicht gegen solche zum Erhalt unseres Lebensraums ausgespielt werden, fordert Per Brodersen. Denn Klimaschutz „ist sicherlich kein Luxusthema“, lautet die Überzeugung des Agrar- und Osteuropa-Expertem beim Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft.
Brodersen warnt vor einer „Schwarz-Weiß-Diskussion“ in der Landwirtschaft. Zweifelsohne sei der Ökolandbau „ein ganz wichtiges Konzept“, das auch Schwachstellen in der konventionellen Landwirtschaft offengelegt habe.
Aber wenn es um Ernährungssicherheit gehe, müsse man sich darüber im Klaren sein, dass Ökolandbau gegenwärtig „viel mehr Fläche benötigt“ als der konventionelle Anbau, um zu einem vergleichbaren Ertrag zu kommen. Denn man müsse mit mehr „Vorernteverlusten“ durch Schädlingsbefall rechnen.

Mehr Nachhaltigkeit durch Smart Farming

Um die Ernährung der Bevölkerung auch in Krisenzeiten zu gewährleisten, müssten Elemente aus dem Ökolandbau in die konventionelle Landwirtschaft übernommen werden. So sei es etwa möglich, Pflanzenschutzmittel und mineralischen Dünger in sehr geringen Mengen und sehr genau einzusetzen und die Äcker nur sparsam zu bewässern.
Moderne Agrartechnologien des Smart Farming mithilfe von künstlicher Intelligenz hätten dafür einiges Potenzial. So könne es gelingen, Emissionen und die Belastung der Böden „auf das Minimum“ zu reduzieren, erläutert Brodersen.
Es dürfe jedenfalls nicht darum gehen, einfach die Produktivität pro Hektar zu steigern. Sie müsse eben „smart“ gesteigert werde. Letztlich könne es immer nur darum gehen, auf nachhaltige Art und Weise Landwirtschaft zu betreiben. Das verlange den Bauern einiges ab. Aber nur so könne gewährleistet werden, dass die Ernährung auch in der Zukunft sicher ist.

Ukraine benötigt Hilfe für Landwirtschaft

Die Rolle der Ukraine für die globale Ernährungssituation sei „von nicht zu unterschätzender Bedeutung“. In der aktuellen Kriegssituation brauche das Land, „jedwede mögliche Unterstützung“, damit es nicht zu erheblichen Ernteausfällen komme. Dazu gehörten neben Saatgut, Dünger und Pflanzenschutzmitteln vor allem Treibstoff für die Landmaschinen, um die Felder bestellen beziehungsweise düngen zu können.

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Allerdings blieben „verschiedene Flaschenhälse“, denn Felder seien verwüstet, Wege und Straßen blockiert oder zerstört, Lagerräume zerbombt, Häfen blockiert, Arbeitskräfte durch den Krieg gebunden – ganz abgesehen von den Gefahren durch andauernde kriegerische Handlungen.
Selbst wenn Aussaat und Ernte unter diesen Bedingungen gelingen würden, bestünden dann immer noch erhebliche logistische Probleme, „Agrargüter außer Landes zu bringen“, erklärt Per Brodersen.

Getreidelieferungen als Waffe

Bisher seien in der Ukraine selbst „noch keine Versorgungsengpässe in der Breite des Landes“ zu beobachten. Es hänge jetzt viel von der Ernte in diesem Jahr ab. Fiele die ganz oder teilweise aus, drohten in vielen Ländern Engpässe bei Getreide, Futtermitteln und Ölen.
Vor allem der Globale Süden und auch Hilfsorganisationen sind in starkem Maße abhängig von Lieferungen aus der Ukraine beziehungsweise Russland. In diesem Zusammenhang sei es bedauerlich, dass der frühere russische Präsident Dmitri Medwedew davon gesprochen habe, „wie vorteilhaft es für Russland ist, dass es seine Getreidelieferungen auch als Waffe einsetzen kann“, kritisiert der Agrarexperte. Russland hat bereits vorläufig verboten, Agrarprodukte zu exportieren.
Vor diesem Hintergrund und wegen der schon jetzt auf Rekordniveau gestiegenen Preise für einige Nahrungsmittel hält Brodersen die Warnungen der Vereinten Nationen für realistisch. Die UNO fürchtet, dass acht bis 13 Millionen Menschen zusätzlich durch die Folgen des Ukrainekrieges hungern werden.
Es bedürfe jetzt erheblicher internationaler Anstrengungen, um eine „Zuspitzung der Hungersituation“ zu vermeiden. Vor allem Länder in Nordafrika, im Mittleren und Nahen Osten, aber auch in Südostasien seien besonders stark betroffen.

Für den Topf statt für Trog oder Tank anbauen

Die Konsequenzen aus dem Ukrainekrieg verdeutlichten die Notwendigkeit, die Diskussion zu führen, „wofür wir zukünftig landwirtschaftliche Produktion betreiben wollen“, ist Brodersen überzeugt. Dabei gehe es zum einen um die Frage, wie viel Biomasse für die Herstellung von Treibstoffen verwendet werden sollte.
Und auch an einem weiteren Thema komme man nicht vorbei: „Ob wir überhaupt noch ein so großes Maß an Viehhaltung in Deutschland benötigen und uns in Zukunft leisten können.“ In diesem Zusammenhang müsse man in Deutschland und in der EU „von einigen lieb gewonnenen Gewohnheiten möglicherweise Abstand nehmen“ und den Fleischkonsum zurückfahren.
Er sehe nicht die Notwendigkeit, dass wegen der aktuellen Krise die geplanten EU-Reformen in der gemeinsamen Agrarpolitik ausgesetzt werden sollten. Zu den Reformen in Richtung einer nachhaltigeren Landwirtschaft gehört auch, dass ein kleiner Teil der Äcker zum Erhalt von Artenvielfalt und zur Erholung stark genutzter oder übernutzter Böden aus der Bestellung herausgenommen wird, rät er.
Für einen „guten Kompromiss“ hält der Agrarexperte den Vorschlag, dass aktuell ausgesparte Brachflächen, die als ökologische Vorrangflächen ausgewiesen sind, wegen der aktuellen Lage für den Anbau von Tierfutter genutzt werden könnten.

Per Brodersen ist Agrar- und Osteuropaexperte beim Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. In der Arbeitsgruppe Agrarwirtschaft vertritt der Ausschuss die Interessen von Verbänden und Unternehmen der Agrar- und Ernährungswirtschaft. Zudem positioniert er sich als Plattform für den Austausch und die Zusammenarbeit mit insgesamt 29 Transformations-, Schwellen- und Entwicklungsländern beim Thema Landwirtschaft und Ernährung. In Brodersens Zuständigkeit fällt die Kooperation mit Russland, der Ukraine und Kasachstan. Er studierte Geschichte, Politikwissenschaft und Russisch in Berlin und St. Petersburg. Vor seiner jetzigen Tätigkeit arbeitete er u.a. beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).

(AnRi)
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