Elin Cullhed: "Euphorie"

Das Bild einer ungerecht Leidenden

06:59 Minuten
Das Cover des Buchs "Euphorie" von Elin Cullhed zeigt ein Foto der Schriftstellerin  Sylvia Plath.
© Insel-Verlag

Elin Cullhed

Übersetzt von Franziska Hüther

Euphorie. Ein Sylvia-Plath-RomanInsel, Berlin 2022

335 Seiten

24,00 Euro

Von Manuela Reichart  · 24.09.2022
Audio herunterladen
Sylvia Plath wurde zur feministischen Ikone. Zu ihrem 90. Geburtstag erzählt ein Roman von ihrem letzten Jahr, in dem alles Glück zerbrach. Doch für kurze Zeit war sie enorm produktiv - bis sie sich 1963 umbrachte.
In der Verlagsankündigung wird mitgeteilt, die schwedische Autorin habe gleichsam als Überlebenstraining diesen – in Schweden hochausgezeichneten – Roman geschrieben: Die knapp 40-jährige ist wie Sylvia Plath Mutter von Kleinkindern, Ehefrau eines Schriftstellers und selber Autorin. Elin Cullhed versetzt sich in das Leben, die Gefühle, die Kämpfe ihrer Protagonistin. Sie erzählt in einer ungebrochenen Ich-Perspektive von den inneren und äußeren Ereignissen im letzten Lebensjahr von Sylvia Plath 1962.
Gemeinsam mit ihrem Mann Ted Hughes und der kleinen Tochter war sie aufs Land gezogen, in ein altes renovierungsbedürftiges Haus, ein zweites Baby war unterwegs. Das Paar hatte hochfliegende Pläne, wollte dichten und gärtnern, die Kinder in der Natur aufwachsen sehen, Gemüse und Blumen verkaufen. Der Traum der begabten Amerikanerin, die den aufstrebenden englischen Dichter in Cambridge kennengelernt und leidenschaftlich lieben gelernt hatte, schien erfüllt: „Ich hatte alles bekommen, was ich mir je gewünscht hatte. Ich hatte fast die Ziellinie im Plath’schen Traum erreicht: zwei Kinder von vieren. Ehemann, der schrieb, Ich, die schrieb. Stipendiatin.“

Leidenschaft hält dem Alltag nicht stand

Das Paar lebt von dem Stipendium, das Sylvia Plath für den Roman „Die Glasglocke“ bekommen hat (der kurz vor ihrem Tod 1963 erscheint). Die äußeren Bedingungen sind nicht schlecht. Er verdient Geld beim BBC, muss dafür allerdings immer wieder nach London fahren und die junge Mutter erst mit einem Kind, dann mit zwei Kleinkindern allein lassen. Es geht um das Drama von zwei künstlerisch tätigen Menschen, die Zeit für ihre Arbeit brauchen, aber eben auch Zeit für die Kinder, den Haushalt. Die ungerechte Aufteilung in einem gemeinsamen Leben. Die Leidenschaft, die dem Alltag nicht standhält.
Es gibt vermutlich wenig, was man über dieses berühmte Paar der Literaturgeschichte nicht schon weiß. Die Rollenaufteilung ist seit 60 Jahren ziemlich eindeutig: Sie ist das Opfer, er der Täter. Sie kämpft um ein eigenständiges Leben als Dichterin, er geht fischen, wenn sie mit Fieber im Wochenbett liegt, er betrügt und verlässt sie.

Nichts Neues über das berühmte Paar

Elin Cullheds Roman bedient sich zwangsläufig dieser Stereotypen. Sie gibt dem Opfer eine Stimme, nistet sich ein im Plath’schen Denken und Fühlen, das nicht nur durch Biografien und Erzählungen, Dokumentationen und einen Hollywoodfilm bekannt ist. Vor allem gibt es die großartigen Gedichte, die sie in einem Schaffensrausch im letzten Jahr geschrieben hat - und auch seine, die 35 Jahre nach ihrem Tod erschienen: „Birthday Letters“.
Der bekannten Lesart fügt die Autorin inhaltlich nichts hinzu, formal bemüht sie sich um einen Ton, der dem von Sylvia Plath entspricht. Sie zitiert die berühmten Briefe an die Mutter, in denen immer alles wunderbar und großartig ist, Zeilen aus Gedichten und den Tagebüchern. Die Geschichte einer unmöglichen Liebe und Gemeinsamkeit bedrückt bei der Lektüre natürlich nach wie vor. Und wenn die Autorin die Geburt des Sohnes beschreibt, wird auch plötzlich eindrucksvolle und eigenständige Literatur aus diesem Roman, der auf totaler Identifikation beruht.

Abonnieren Sie unseren Weekender-Newsletter!

Die wichtigsten Kulturdebatten und Empfehlungen der Woche, jeden Freitag direkt in Ihr E-Mail-Postfach.

Vielen Dank für Ihre Anmeldung!

Wir haben Ihnen eine E-Mail mit einem Bestätigungslink zugeschickt.

Falls Sie keine Bestätigungs-Mail für Ihre Registrierung in Ihrem Posteingang sehen, prüfen Sie bitte Ihren Spam-Ordner.

Willkommen zurück!

Sie sind bereits zu diesem Newsletter angemeldet.

Bitte überprüfen Sie Ihre E-Mail Adresse.
Bitte akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung.

Plath war auch unerträglich und konkurrenzhaft

In einer schwedischen Kritik heißt es, der Roman sei „ ein leuchtendes Kunstwerk, das allen Frauen auf der Welt eine kollektive Stimme gibt, die mit einem Fuß im häuslichen Leben und mit dem anderen in der Kunst stehen“. 
Das – möchte man hinzufügen – entspricht hoffentlich nicht der Realität, denn Sylvia Plath dient nicht wirklich als Blaupause für feministische Identifikation. Sie war auch unerträglich und konkurrenzhaft. Sie hing auf absurde Weise am amerikanischen 50er-Jahre-Traum von der perfekten Familie, sie litt an schweren Depressionen. Diese Motive gibt es auch in „Euphorie“, aber sie werden von dem Bild der ungerecht Leidenden überstrahlt.

Judith Zander übersetzt erstmals späte Gedichte

Es empfiehlt sich eine andere Erinnerungslektüre zum Jahrestag der Dichterin: Judith Zander hat die späten Gedichte zum ersten Mal und kongenial ins Deutsche übertragen – und ein kluges Nachwort geschrieben. Natürlich könne man diese Gedichte nicht losgelöst von ihrem biografischen Hintergrund lesen, schreibt Zander, aber sie ließen sich trotzdem nicht „vom Tode aus lesen, begreifen, erklären, denn als sie sie schrieb, war sie nicht tot.“

Sylvia Plath: "Das Herz steht nicht still – Späte Gedichte 1960 -1963" Zweisprachige Ausgabe, herausgegeben, aus dem Englischen übersetzt und mit einem Nachwort von Judith Zander, Suhrkamp Verlag, Berlin, 2022, 216 Seiten, 25 Euro.

Sie verweist auf die Logik der Poesie, „die schließlich die einzig reelle ist, die einzige Chance auf ein Leben, das mehr ist als Überleben“. Womit auch und vor allem ein Plädoyer gehalten ist für die Lektüre der Werke von Sylvia Plath.

Hinweis der Redaktion: Sollten Sie Hilfe in einer schwierigen Situation benötigen, können Sie sich jederzeit an die kostenlose Hotline der Telefonseelsorge wenden: 0800/1110111. Spezielle Hilfsangebote zum Thema Suizid finden Sie bei der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention unter https://www.suizidprophylaxe.de/

Mehr zum Thema