"Eine Odyssee" an der Berliner Volksbühne

Homer mit Panzer reicht nicht aus

06:22 Minuten
Die Schauspieler Theo Trebs und Jella Haase tanzen auf einem Panzer im Stück "Eine Odyssee“ an der Berliner Volksbühne
Trotz mancher Knalleffekte nicht überzeugend: Theo Trebs und Jella Haase tanzen auf einem Panzer bei "Eine Odyssee“ von Thorleifur Örn Arnarsson. © picture alliance/Annette Riedl/dpa
Von Elena Philipp |
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Thorleifur Örn Arnarsson erzählt die Odyssee von Homer an der Berliner Volksbühne neu - mit Anklängen an moderne Kriege, wie in Vietnam oder Afghanistan. Trotz mancher Knalleffekte hat die Inszenierung unsere Kritikerin nicht überzeugt.
Im ersten Teil von "Eine Odyssee" an der Berliner Volksbühne erzählen der Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson und der Schriftsteller Mikael Torfason weitestgehend den alten Homer-Epos nach. Im zweiten Teil wird der Stoff mit aktuellen Anspielungen angereichert, auf Kriege in Vietnam und Afghanistan.
Die Inszenierung konnte nicht überzeugen, auch wenn in den vier Stunden versucht wurde, Abwechslung zu erzeugen. Einen Panzer auf die Bühne zu stellen, reicht nicht aus.

Die Irrfahrten des Thorleifur Örn Arnarsson

Homers "Odyssee" berichtet von einer zehnjährigen Irrfahrt. Bei Thorleifur Örn Arnarsson wird "Eine Odyssee" zur Geschichte vom Krieg und dem, was er anrichtet. Neben Kritik am Krieg stellt er die Frage, wer die Geschichte(n) erzählt: der Sieger, also Odysseus – oder alle Beteiligten?
Bekannt für große Bühneneffekte, steigt Arnarsson im Stil eines Gesamtkunstwerks in seine Inszenierung ein. Auf der leeren weißen Bühne zeigen die zwölf Schauspielerinnen und Schauspieler eine Choreographie, die zwischen militärischem Drill, ritualhaftem Kriegstanz und mechanischem Ballett changiert. Eine Band begleitet die Aktion, und die brutalen Schilderungen vom Kampf vor Troja werden zu einer Art Schlachtgesang, zum Konzert. Die Energie steigert sich während dieser ersten von vier Stunden immer weiter, bis Text, Ton und Tanz in einen rauschhaften Höhepunkt münden. Danach sackt alles jäh ab.
Mit der Umdeutung des Epos startet der isländische Regisseur als neuer Schauspieldirektor an der Volksbühne Berlin. Thorleifur Örn Arnarsson entfesselt mit dem neuen Ensemble enorme Kräfte. Allerdings gelingt es nicht, die Dynamik auch in den Zuschauerraum zu übertragen. Die chorischen Passagen sind unpräzise gearbeitet, und der Text ist über weite Strecken akustisch kaum zu verstehen.

Verlorene Schauspieler

Die Schauspielerinnen und Schauspieler wirken in den oft länglichen Nacherzählungen des antiken Stoffes verloren. Durchschossen wird dieser zunehmend mit aktuellen Assoziationen: Auszüge aus Erroll Morris’ Dokumentarfilm "The Unknown Known" thematisieren das Versagen der Vorstellungskraft, bei der Kriegsführung wie im Leben. Homers berühmter "Schiffskatalog", der vom strahlenden Auszug der griechischen Helden, ihrer Herkunft und der üppigen Bemannung ihrer Schiffe kündet, wird zur Kriegsliste, die Millionen von Toten aufzählt, die in bewaffneten Konflikten seit dem 6. Jahrhundert vor Christus ermordet wurden. Und der Briefwechsel zwischen einem Afghanistan-Veteranen und seinem Bruder vermittelt, wie schmutzig und elend der Alltag des Krieges ist.
Daniel Nerlich als Odysseus in "Eine Odyssee" an der Berliner Volksbühne
Daniel Nerlich als Odysseus in "Eine Odyssee" an der Berliner Volksbühne.© Vincenzo Laera
Die Sprache von "Eine Odyssee" ist heutig. Auch Homers Figuren werden unsere Zeitgenossen, denn Thorleifur Örn Arnarsson und sein Co-Autor Mikael Torfason haben sie psychologisiert: Odysseus und Agamemnon stellen Fragen nach ihrer Schuld und Verantwortung, Penelope und Helena fordern Gerechtigkeit und die Chance auf ein erfülltes Leben. Sie alle leiden am Krieg, an der Heldenrolle oder an der Genealogie, die den Sohn eines Helden an dessen Leistungen misst, und nicht wenige von ihnen wünschen sich den Tod.

Odyssee im Ungefähren

All diese Zweifel und Verzweiflungsgefühle stehen so im Text der Stückfassung, die kaum Spielraum für Interpretationen lässt und weder auf Homers Sprache noch auf die Figuren vertraut. Die Rolle des Odysseus spielt ein engagierter Daniel Nerlich. Menelaos (Theo Trebs) ist hier ein Macho, der mit seiner Frau Helena (Jella Haase – übrigens die Chantal aus dem bekannten Film "Fack Ju Göthe") auf einem Panzer die Bühne befährt, das Agitproptheater sowie den Revolutions-Chic feiert und über seine Paläo-Diät referiert. Während Menelaos mit Odysseus’ Sohn Telemachos Pläne schmiedet, posiert Helena, wie ein Pin-up Girl kieksend und mit roter Fahne, auf dem Kriegsfahrzeug – und wird von einem Schluffi im Bademantel (Claudio Gatzke) aus ihrem eigenen Monolog gedrängt.
Die Inszenierung unterläuft nicht selten ihre eigene Intention: feministische Lesarten der misogyn gefärbten Odyssee zuzulassen, das Erzählen von Geschichte als vielstimmige Kollektivleistung darzustellen und die Komplexität realen Geschehens zu würdigen. Thorleifur Örn Arnarssons collagenhafter Inszenierungsstil, der disparaten Materialien mit einer bildstarken Bühnensprache begegnet, findet hier nicht zu einem inhaltlichen Kern. "Eine Odyssee" versendet sich im Ungefähren. Was bleibt, ist Thesentheater in Überlänge.
Als Einstieg an der Volksbühne, die während Frank Castorfs Intendanz von markanten Regiehandschriften und handwerklichem Können geprägt war, ist die "Odyssee" gekentert.
Informationen der Volksbühne Berlin zu "Eine Odyssee"
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