Doris Knecht: "Die Nachricht"

Macht durch Angst

13:27 Minuten
Porträt von Doris Knecht in eine schwarzen Hosenanzug.
Schiebt ihre Protagonisten beim Schreiben gern an den Abgrund: Doris Knecht. © Heribert Corn
Doris Knecht im Gespräch mit Andrea Gerk · 06.09.2021
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In ihrem neuen Roman "Die Nachricht" setzt sich Doris Knecht mit Hassbotschaften in sozialen Netzwerken auseinander. Die Schriftstellerin verfolgt Debatten auf Twitter, beteiligt sich selbst aber nicht: Sie habe nicht die Kraft dazu.
In Doris Knechts Roman "Die Nachricht" arbeitet die Ich-Erzählerin Ruth als Fernsehjournalistin. Eines Tages bekommt sie Hassbotschaften über soziale Netzwerke. Ruth hat vor einigen Jahren ihren Mann bei einem Skiunfall verloren und lebt allein. Ihre Kinder sind fast erwachsen, sie hat sich mit ihrem neuen Leben als Witwe arrangiert.

Ein Netz aus Hassbotschaften

Über die Hassbotschaften ist sie zunächst nicht irritiert. Als Journalistin, die in der Öffentlichkeit steht, hat sie sich daran gewöhnt, für ihre Meinung angegriffen zu werden.
Sie kann damit umgehen. Doch dann hat sie zunehmend den Eindruck, dass der Absender sie beobachtet, dass er Dinge über sie weiß, die nicht jeder wissen kann. Dass er möglicherweise aus ihrer direkten Umgebung kommt.
"Angst zu verbreiten, ist ein gutes Mittel, um Macht über jemanden zu bekommen", sagt Doris Knecht. In Ruths Fall schickt der anonyme Absender seine Nachrichten auch an ihre Freunde, an den Arbeitgeber und an ihre Kinder. Es wird ein regelrechtes Netz um sie herum gespannt.

Wenn Sie sich durch Cybermobbing oder Cyberstalking bedroht fühlen, nehmen Sie Hilfe an. Hilfe bietet unter anderem der Verein Weisser Ring an. Er ist unter der Telefonnummer 116 006 zu erreichen.

Knecht bezeichnet sich selbst als "Durchscrollerin". Sie schaue sich bei Twitter an, wie Debatten verlaufen, doch sie steige auch schnell wieder aus. Es sei ihr zu brutal.

Bewunderung für Netzfeministinnen

Sie selbst sei nicht bei Twitter, sagt Knecht, weil sie nicht die Kraft habe, sich mit solchen Leuten anzulegen. Sie bewundere aber die jungen Frauen, die Netzfeministinnen, die das täten. Aber auch bei diesen nehme sie wahr, dass sie gelegentlich Abstand bräuchten.
Sie habe den Eindruck, dass nicht nur meinungsfreudige Frauen, sondern in erster Linie starke alleinstehende Frauen von Hassbotschaften bedroht würden, sagt Knecht. Ihre Erklärung dafür: Schwache Männer fühlen sich von starken Frauen eingeschüchtert - und wenn diese Frauen dann im Leben auch noch allein zurechtkommen, entstehe Aggression.

Verhalten am Abgrund

Im Roman gilt die Journalistin Ruth als jemand, der für eine gute Geschichte auch mal übertreibt. Daher glauben ihre Bekannten und Freunde ihr nicht restlos, als sie von den Hassbotschaften erzählt. Ruth kann zwar gut allein sein, doch als die Freunde und Freundinnen sich von ihr abwenden, beginnt sie, sich einsam zu fühlen.
Sie verliert die Fassung. "Ich wollte erzählen, wie sie mit dieser Situation umgeht", so Knecht: "In meinen Romanen schiebe ich gerne Personen an den Abgrund und schaue, ob sie herunterfallen oder sich irgendwie retten können."

Doris Knecht: "Die Nachricht"
Hanser Berlin, 2021
256 Seiten, 20 Euro

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